Sonntag, 11. April 2010

Ungarn ist angekommen

Daran kann sogar ich Vielgeprüfter nicht wortlos vorübergehen: Es ist halb zehn, und es gibt noch keine Ergebnisse der ungarischen Parlamentswahlen. Nicht weil sich die Auszähler in den Haaren liegen würden oder zu langsam wären - nein: wegen der großartigen und in den meisten Ländern der Welt völlig unbekannten Einrichtung des Kampagnenverbots. Von Samstag 0 Uhr bis Sonntag 19 Uhr, da schließen normalerweise die Wahllokale, darf nicht einmal im Nebensatz von Politik gesprochen werden, weil jedes kleine linke oder rechte Hüsteln laut Gesetzgeber zur Beeinflussung des Wählerwillens geeignet ist — der Wähler wird vom Gesetzgeber also als lallendes Kindlein, das man mit ein paar Pralinen verführen kann, als absoluter Vollidiot behandelt.
Das ungarische Staatsfernsehen hat pünktlich um 7 mit der Berichterstattung begonnen, sie aber dann nach einer viertel Stunde abgewürgt, weil die Nationale Wahlbehörde um zehn vor 7, so lange hat es wohl gedauert, bis die Nachricht zu den Medien vordrang, beschlossen, daß das Kampagnenverbot verlängert wird, bis der letzte Wähler seine Stimme abgegeben hat.
Der letzte Wähler hat seine Stimme noch nicht abgegeben, da man mit der Bestätigung eine Amtsnotars fern von seinem Wohnort abstimmen kann. Das ist aber in einem Bezirk, einem Wahlkreis nur in einem bestimmten Wahllokal möglich, weil man sich davor fürchtet, daß mache mit der Bestätigung in mehrere Wahllokale abstimmen gehen.
Hier setzt meine österreichische Logik aus. Hier verstehe ich nix mehr. In Afrika und in Ländern mit hohen Analphabetenraten werden die Leute abgestempelt, damit sie nicht 2x abstimmen. In Österreich gibt es eine Wahlkarte, einen Zettel, den man abgibt. Aus. Dann kann man nicht mehr abstimmen.
Hier war es nicht möglich, dieses scheinbar äußerst schwierige Problem zu lösen, deshalb stehen auch jetzt noch 300 Leute an verschiedenen Wahllokalen an, um ihre Stimme abzugeben. Um 19 Uhr wurden die Schlangen abgeschlossen und alle, die anstanden, dürfen noch abstimmen gehen.
Die Nationale Wahlbehörde hält wieder eine Sitzung, sie wird im Fernsehen übertragen: Alte Männer in schlecht sitzenden Anzügen, die mit blechernen, papierungarischen Sätzen versuchen, ihre Fehlentscheidung zu begründen und inzwischen schon die Schuld auf den Gesetzgeber schieben, in dem sie z.B. vorrechnen, daß eine Stunde 60 Minuten hat.
Ich denke, es ist schön-böser Zynismus, der die Redakteure des Staatsfernsehens dazu bewog, Boban Markovic als Pausenfüller auszuwählen. Ein Balkanisches Blechblasorchester. Wenn Ungarn bisher auf dem Weg zum Balkan war – jetzt ist es endlich angekommen.