Beim Zigeunerpfarrer von Alsószentmárton
"Ich bin Zigeuner unter Priestern und Priester unter Zigeunern", mit diesen Worten umschreibt Pfarrer József Lankó seine Situation. Seit acht Jahren lebt er in der kleinen ungarischen Gemeinde Alsószentmárton als Seelsorger mitten unter den Zigeunern. Alsószentmárton - kurz vor der Grenze zum heutigen Kroatien gelegen - ist ein Ort, der den dort beheimateten Menschen keine wirtschaftliche Zukunftsperspektive geben kann. Heute liegt die örtliche Arbeitslosenquote bei etwa 90 Prozent. Diese, in den vergangenen Jahren rapid gestiegene Chancenlosigkeit ließ schon vor Jahren den einstigen Bewohnern - Kroaten, Donauschwaben, Ungarn - nur eine Alternative, den Wegzug in die Städte Siklos oder Pecs. Nur die Zigeuner blieben, Alsószentmárton ist heute ihr Dorf. Pfarrer József Lankó erklärt, daß sie im Durchschnitt zehn Jahre im Ort leben, bevor sie weiterziehen
Draußen vor dem Alsószentmártoner Pfarrhaus herrscht bis in den Abend hinein Leben. Zumeist sind es Kinder, die sich um das Pfarrhaus herum treffen. Kommen Besucher, so sind sie eine willkommene Abwechslung, sie werden neugierig umringt und abgeschätzt. In einem Sandkasten an der Kirche spielen zwei Kinder. Ihre Eltern gehören zu einer Gruppe anonymer Alkoholiker, die sich im Gruppenraum der Gemeinde treffen. Es wird gesungen, gemeinsam über Probleme des Alltags und über die Bewältigung der Alkohol-Krankheit gesprochen... Soziale Ausgrenzung und Alkoholismus gehen auch in Ungarn oft Hand in Hand
Immer wieder ist zu hören, daß die Zigeuner die ärmste Bevölkerungsgruppe im heutigen Ungarn sind. Eine Einschätzung, die auch der zuständige Diözesan-Caritasdirektor von Pecs, János Szalay, teilt. Die Zigeuner hatten am meisten unter den gesellschaftlichen Umbrüchen der vergangenen Jahre zu leiden, erklärt Janós Szalay. Was nicht heißt, daß es den Ungarn heute gut geht. Gerade im südungarischen Raum gibt es große Armut. Besonders ältere Menschen leben mit ihrer kargen Rente oft am Rand des Existenzminimums. Laut persönlicher Einschätzung von Janós Szalay liegt die Arbeitslosigkeit im Land bei durchschnittlich 13 bis 14 Prozent. Erschwerend kommt hinzu, daß Ungarn nach 1989 auf keinerlei soziale Absicherungssysteme zurückgreifen konnte, wie sie etwa in Deutschland bestehen. Eine schlagartige Verelendung weiter Kreise der Bevölkerung war nicht aufzuhalten
In Pecs engagiert sich die Caritas heute in vielfältiger Weise gegen die alltägliche Not. Was ebenfalls nicht einfach ist. Janóz Szalay: "Wir werden vom Staat nicht unterstützt, es ist einfach anders als in Deutschland, wo die Caritas auch von staatlicher Seite ein gesuchter und gefragter Ansprechpartner ist." Die sozialdemokratisch-liberale Regierung zeichne sich statt dessen durch eine kirchenfeindliche Politik aus, die keinerlei Verbindung zu kirchlichen Organisationen suche. Dennoch gelingt es der Diözesancaritas Pecs heute, beachtliche Hilfe für Obdachlose, sehr arme Leute, kinderreiche Familien und Flüchtlinge zu leisten. Speziell für Zigeuner lief kürzlich eine Ausbildung für 23 Jugendliche. In ihren Pfarrgemeinden sollen sie einmal als eine Art Sozialarbeiter tätig werden. Sie erfahren alles, was sie brauchen, um in konkreten Alltagssituationen reagieren zu können
Hilfe, die auch Pfarrer József Lankó, eine Katechetin und zwei Zivildienstleistende in Alsószentmárton Tag für Tag leisten. Sie reicht von der Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen, der Stiftung Collegium Martineum für junge Zigeuner, die das Gymnasium besuchen bis hin zum Organisieren einer Küche, in der täglich rund 50 warme Mahlzeiten ausgegeben werden. Dazu kommen die traditionellen sonstigen Aufgaben eines Ortspfarrers
Doch für den Seelsorger József Lankó steht immer der ganze Mensch im Mittelpunkt seines Engagements, und das bedeutet eben nicht nur die Sorge um die Seele. "Wenn die Kinder Hunger haben oder sie brauchen Schuhe, dann muß ich helfen." Daß dies oft bis in die Nacht gehen kann, ist nicht zu vermeiden. Einmal mußte József Lankó eine schwangere Frau im Eiltempo ins Krankenhaus fahren, sie stand kurz vor der Entbindung. "Ich hatte Angst, daß sie es nicht aushält, wußte ich doch gar nicht, was in einem solchen Moment zu tun ist", berichtet der Seelsorger. Lachend fügt er hinzu: "Das habe ich in der Theologie nicht gelernt." Und was er auch nicht lernte, war die Antwort auf die Frage, was ist, wenn der Priester plötzlich eine Familie übernehmen muß
Und genau diese stand für ihn in Alsószentmárton. József Lankó: "Ich habe oft gegen Abtreibung gesprochen und plötzlich blieb ein Mädchen allein zurück im Krankenhaus Siklos, die Eltern wollten es nicht haben. Dann habe ich gedacht, als Priester kann ich leicht gegen Abtreibung reden. Was sollte ich machen, ich nahm die Kleine zu mir." Später kamen zwei Zigeuner-Mädchen aus Jugoslawien dazu, die inzwischen zu ihren Familien zurückkehren konnten. Derzeit leben mit Pfarrer József Lankó und seinem Mädchen noch zwei Jungen im Alsószentmártoner Pfarrhaus. Der eine absolviert eine Lehre zum Maschinenschlosser, der andere sollte aus einem Heim in Pecs geworfen werden, bis ihn der Alsószentmártoner Pfarrer zu sich nahm. "Der Junge hat viel im Kopf und ein gutes Herz, er brauchte einfach eine Familienatmosphäre", betont József Lankó. Inzwischen besucht sein Pflegesohn das Gymnasium in Pecs.
Das Zusammenleben im Dorf vergleicht József Lankó immer wieder mit einer großen Familie. Es hat zwar eine Weile gedauert, bis er von den Bewohnern akzeptiert wurde, doch jetzt gehört er dazu. "Zuerst kamen die Kinder und über sie kamen dann ihre Eltern." Bleibt die Frage was ist, wenn es einmal zu Problemen kommt. József Lankó lächelt: "Wie regiert man, wenn die Kinder Blödsinn machen...?" Und das hin und wieder etwas verschwindet gehört zum Alltag in einem Zigeunerdorf dazu. Nach dem Denken der Zigeuner leben alle Menschen im Grunde in einer Familie, berichtet József Lankó und wenn einer etwas braucht, dann nimmt er es sich. Beispielsweise die Jacke aus dem Schrank, wenn er friert. Einmal, so erzählt der Zigeunerpfarrer, war sein ganzes Zimmer ausgeräumt. Wenige Tage später wurde jedoch alles zurückgebracht
Die Bezeichnung Zigeuner - so Pfarrer József Lankó - heißt Mensch, und Gott hat den Menschen nach seinem Abbild erschaffen, Zigeuner sollten als solche gesehen und behandelt werden, "sie sind auch Abbild Gottes." "Vorurteile und allgemeine Meinungen sind falsch, auch hier leben Menschen wie überall mit Fehlern und Schwächen.
Neben den sozialen Erfahrungen brachte das Leben mit den Zigeunern für József Lankó auch zahlreiche persönliche Bereicherungen mit sich. "Ich mußte neu nachdenken, was das Evangelium für uns und für die Kirche bedeutet, mußte nachdenken, wie es für die Zigeuner verstehbar wird", sagt Pfarrer Lankó. Dabei machte er die Erfahrung, daß die Zigeuner eine sehr tiefe Beziehung zu Gott haben, auch wenn sie manchmal nicht mit dem christlichen Bild übereinstimmt. József Lankó: "Für die Zigeuner ist Gott der da oben, einer der alles sieht und weiß, einer der das Leben koordiniert." Manchmal paßt dieses Bild zur Bibel. Daß Gott aber Vater ist, für die Menschen Gutes tut, dieses Bild muß oft noch vermittelt werden, betont József Lanko und ergänzt: "Das verstehen sie nur, wenn es ihnen vorgelebt wird. Wenn ich einmal etwas mache, was nicht gut ist, dann kommt gleich ihre Frage: Was für ein Priester bist du, wo ist dein Gott?
József Lanko kann es sich nicht mehr vorstellen, Alsószentmárton zu verlassen. Nüchtern sagt er: "Das geht gar nicht". Zahlreiche Kontakte wurden in den vergangenen Jahren aufgebaut. Auch nach Deutschland, beispielsweise zum Zigeunerseelsorger des Bistums Paderborn, Ulrich Weiß, und zur Pfarrgemeinde St. Pius in Witten, die die Menschen in Alsószentmárton unterstützen. Jetzt kommen Kontakte zur Gemeinde Leipzig-Lindenau hinzu, wo Kaplan Thomas Bohne aus Anlaß seines 40. Geburtstages im Mai für eine neue Gemeinschafts-Küche in Alsószentmárton sammeln will. József Lankó und seine Zigeuner sind dankbar für jede Hilfe. Doch der Pfarrer begreift sie nicht als Almosen: "Jede Hilfe hat Sinn, wenn sie persönlich ist. Wir alle sind Schwestern und Brüder und gehören zusammen, egal wo oder wie wir leben. Das verstehe ich unter Katholizität.
Holger Jakobi
Quelle: http://www.tag-des-herrn.de/artikel/3790.php
Abgesehen vom katholischen Gewäsch, ein kleiner, eindringlicher Einblick ins ungarische Zigeunerleben.
Sonntag, 12. Juli 2009
Donnerstag, 9. Juli 2009
Anitsemitischer Überfall in Budapest
"Bist Du ein Jude?" - 27-Jähriger von drei Angreifern zusammengeschlagen
Budapest - Ein 27-jähriger Budapester ist offenbar wegen seiner jüdischen Herkunft zusammengeschlagen worden, berichtete die ungarische Tageszeitung "Nepszabadsag". Laut dem Budapester Polizeipräsidium ereignete sich der Angriff am 30. Juni kurz vor Mitternacht, als drei Männer das Opfer bis zu dessen Wohnung in der Dohany-Straße verfolgten. Dort stellte einer der drei Angreifer die Frage: "Bist Du ein Jude?" Als das Opfer mit Ja antwortete, wurde es geschlagen, getreten und als "dreckiger Jude" beschimpft.
Laut Slomo Köves, dem Oberrabbiner der ultraorthodoxen Einheitlichen Israeltischen Kultusgemeinde in Ungarn (EMIH), beschrieb das Opfer die Täter als junge Männer mit Kapuzen. Köves zufolge habe es bereits in den vergangenen Monaten mehrere ähnliche Angriffe gegen Juden gegeben.
Die Gemeinde habe sich laut Köves an Premier Gordon Bajnai mit dem Ersuchen gewandt, möglichst schnell für die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit zu sorgen und dafür, dass eine "gewaltbereite Minderheit nicht meint, sich alles erlauben zu können". Bereits seit eineinhalb Jahren würde man darum bitten, Polizeischutz für frequentierte Synagogen zu erhalten, doch bisher vergebens, beklagte der 30-jährige Rabbiner, dessen Gemeinschaft in enger Verbindung mit der weltweit tätigen ultraorthodoxen jüdischen Bewegung Chabad Lubawitsch steht.
Premier Bajnai ersuchte Justizminister Tibor Draskovics am Donnerstag, die Tat in der Dohany-Straße, die in Ungarn vor allem für ihre berühmte Synagoge bekannt ist, umgehend zu untersuchen und ihn über die Geschehnisse zu informieren, berichtet die ungarische Nachrichtenagentur MTI. Der Minister soll zugleich Vorschläge zur Vermeidung ähnlicher Angriffe unterbreiten.
Die größte Oppositionspartei, die rechtskonservative Fidesz-MPSZ, verurteilte umgehend die Tat. Die Partei lehne jegliche Gewalt ab, die jemandem wegen seiner Herkunft oder seiner Religion zustoße, erklärte Zoltan Balogh, der auch Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Menschenrechte ist, gegenüber MTI. (APA)
Quelle: http://derstandard.at/1246541831533/Anitsemitischer-Ueberfall-in-Budapest
http://index.hu/bulvar/2009/07/08/megvertek_egy_zsido_ferfit_a_dohany_utcaban
Budapest - Ein 27-jähriger Budapester ist offenbar wegen seiner jüdischen Herkunft zusammengeschlagen worden, berichtete die ungarische Tageszeitung "Nepszabadsag". Laut dem Budapester Polizeipräsidium ereignete sich der Angriff am 30. Juni kurz vor Mitternacht, als drei Männer das Opfer bis zu dessen Wohnung in der Dohany-Straße verfolgten. Dort stellte einer der drei Angreifer die Frage: "Bist Du ein Jude?" Als das Opfer mit Ja antwortete, wurde es geschlagen, getreten und als "dreckiger Jude" beschimpft.
Laut Slomo Köves, dem Oberrabbiner der ultraorthodoxen Einheitlichen Israeltischen Kultusgemeinde in Ungarn (EMIH), beschrieb das Opfer die Täter als junge Männer mit Kapuzen. Köves zufolge habe es bereits in den vergangenen Monaten mehrere ähnliche Angriffe gegen Juden gegeben.
Die Gemeinde habe sich laut Köves an Premier Gordon Bajnai mit dem Ersuchen gewandt, möglichst schnell für die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit zu sorgen und dafür, dass eine "gewaltbereite Minderheit nicht meint, sich alles erlauben zu können". Bereits seit eineinhalb Jahren würde man darum bitten, Polizeischutz für frequentierte Synagogen zu erhalten, doch bisher vergebens, beklagte der 30-jährige Rabbiner, dessen Gemeinschaft in enger Verbindung mit der weltweit tätigen ultraorthodoxen jüdischen Bewegung Chabad Lubawitsch steht.
Premier Bajnai ersuchte Justizminister Tibor Draskovics am Donnerstag, die Tat in der Dohany-Straße, die in Ungarn vor allem für ihre berühmte Synagoge bekannt ist, umgehend zu untersuchen und ihn über die Geschehnisse zu informieren, berichtet die ungarische Nachrichtenagentur MTI. Der Minister soll zugleich Vorschläge zur Vermeidung ähnlicher Angriffe unterbreiten.
Die größte Oppositionspartei, die rechtskonservative Fidesz-MPSZ, verurteilte umgehend die Tat. Die Partei lehne jegliche Gewalt ab, die jemandem wegen seiner Herkunft oder seiner Religion zustoße, erklärte Zoltan Balogh, der auch Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Menschenrechte ist, gegenüber MTI. (APA)
Quelle: http://derstandard.at/1246541831533/Anitsemitischer-Ueberfall-in-Budapest
http://index.hu/bulvar/2009/07/08/megvertek_egy_zsido_ferfit_a_dohany_utcaban
Mittwoch, 8. Juli 2009
Körperbehinderter in Siófok angefahren
Ein Rollstuhlfahrer wurde in Siófok auf der Hauptstraße 7 überfahren. Der 69-jährige wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.
Der Mann versuchte an einem Fußgängerübergang die Straße zu überqueren und wurde von einem Fahrzeug, das aus Richtung Zamárdi kam, angefahren. Laut Aussage des Rollstuhlfahrers fuhr er deshalb nicht über den Zebrastreifen, sondern überquerte in dessen unmittelbarer Nähe die Straße, weil dieser nicht barrierefrei war, obwohl er direkt an einer Bahnstation liegt.
Quelle: mti.hu
Der Mann versuchte an einem Fußgängerübergang die Straße zu überqueren und wurde von einem Fahrzeug, das aus Richtung Zamárdi kam, angefahren. Laut Aussage des Rollstuhlfahrers fuhr er deshalb nicht über den Zebrastreifen, sondern überquerte in dessen unmittelbarer Nähe die Straße, weil dieser nicht barrierefrei war, obwohl er direkt an einer Bahnstation liegt.
Quelle: mti.hu
Sonntag, 5. Juli 2009
Bis zu 5000 Euro Strafe für zu viel Ungarisch
Nach der Verabschiedung eines neuen slowakischen Sprachgesetzes kracht es zwischen Budapest und Bratislava wieder gewaltig
Ungarn will den Europarat anrufen. Zum Streit soll auch die Wirtschaftskrise beigetragen haben.
*****
Wien - Für jedes falsche Wort droht eine Geldstrafe: Die Lehrer in den slowakischen Schulen müssen sich ab September am Riemen reißen, zumindest wenn sie der ungarischen Minderheit angehören. In Klassen dürfen sie wie bisher ungarisch mit ihren Schülern reden. Aber mit den Kollegen in den Pausen darf künftig nur mehr auf Slowakisch getratscht werden, sonst droht eine Geldstrafe.
So interpretieren die Juristen im ungarischen Außenministerium das neue slowakische Sprachgesetz. Seitdem der Rechtstext in der vergangenen Woche von den Regierungsparteien durch das Parlament in Bratislava gepeitscht wurde, fliegen zwischen Ungarn und der Slowakei wieder die Fetzen.
Schriftgröße als Politikum
Die ungarische Regierung sieht in dem Gesetz eine klare Verletzung der Minderheitenrechte, ein geplantes Treffen der beiden Premierminister wird entfallen. Die rechtskonservative Oppositionspartei Fidesz geht einen Schritt weiter und spricht gar von Ungarnverfolgung. Ungarn müsse endlich begreifen, dass die Slowakei ein unabhängiges Land ist, lautet die Replik aus Bratislava.
Was die Gemüter so erhitzt, ist ein auf den ersten Blick unscheinbares Gesetz, das den Gebrauch der slowakischen Sprache in der Öffentlichkeit regeln soll. Für die über eine halbe Million ungarischsprachiger Slowaken bringen die neuen Bestimmungen aber Einschränkungen. Auf Werbetafeln sowie in allen öffentlichen Ankündigungen muss künftig immer zuerst der slowakische Text abgedruckt werden.
Auch Texte auf historischen Gedenktafeln müssen zuerst slowakisch verfasst sein, für die ungarische Übersetzung gilt eine maximale Schriftgröße. Geografienamen, etwa in Schulbüchern, dürfen künftig nicht mehr allein auf Ungarisch stehen. Laut der ungarischen Leseart schränkt das Gesetz sogar ein, wann ein Arzt mit seinen Patienten ungarisch sprechen darf. Für Verstöße drohen zwischen 100 und 5000 Euro Strafe.
Geschwächtes Ungarn
"Kein Mensch glaubt, dass das Gesetz wortgetreu umgesetzt wird, aber es erlaubt den slowakischen Behörden, jederzeit gegen die ungarische Minderheit vorzugehen" , sagt ein ranghoher Beamter im ungarischen Außenministerium. Ungarn will nun den Europarat und die OSZE in dieser Causa anrufen.
Die slowakisch-ungarischen Beziehungen sind traditionell schlecht und haben 2008 einen Tiefstand erreicht. Politologen sprechen vom angespanntesten Verhältnis zweier EU-Staaten.
Dass die Slowakei den Konflikt jetzt erneut anfacht, hängt laut dem ungarischen Außenministerium auch mit der Wirtschaftskrise zusammen: Ungarn stehe massiv geschwächt da, der Moment sei für die Slowakei günstig, um Streitfragen zu klären. Zudem stehen 2010 Wahlen an, und der slowakische Premier Robert Fico dürfte auf die Unterstützer der rechten Slowakischen Nationalpartei schielen.
Der slowakische Politologe Tomáš Strážay glaubt zudem, dass die Slowakei Druck auf Ungarn ausüben will, um die Auflösung des ungarischen Karpatenforums zu erreichen. In dem 2004 gegründeten Forum treffen sich ungarische Politiker aus der gesamten Karpatenregion. Das Forum ist in Ungarn rechtlich anerkannt und darf dem Parlament Vorschläge übermitteln. Weil damit slowakische Politiker an das ungarische Parlament angebunden sind, ist Bratislava erzürnt. Ungarn sah dagegen bisher keinen Grund für ein Entgegenkommen.
Quelle: (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 6.7.2009)
Ungarn will den Europarat anrufen. Zum Streit soll auch die Wirtschaftskrise beigetragen haben.
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Wien - Für jedes falsche Wort droht eine Geldstrafe: Die Lehrer in den slowakischen Schulen müssen sich ab September am Riemen reißen, zumindest wenn sie der ungarischen Minderheit angehören. In Klassen dürfen sie wie bisher ungarisch mit ihren Schülern reden. Aber mit den Kollegen in den Pausen darf künftig nur mehr auf Slowakisch getratscht werden, sonst droht eine Geldstrafe.
So interpretieren die Juristen im ungarischen Außenministerium das neue slowakische Sprachgesetz. Seitdem der Rechtstext in der vergangenen Woche von den Regierungsparteien durch das Parlament in Bratislava gepeitscht wurde, fliegen zwischen Ungarn und der Slowakei wieder die Fetzen.
Schriftgröße als Politikum
Die ungarische Regierung sieht in dem Gesetz eine klare Verletzung der Minderheitenrechte, ein geplantes Treffen der beiden Premierminister wird entfallen. Die rechtskonservative Oppositionspartei Fidesz geht einen Schritt weiter und spricht gar von Ungarnverfolgung. Ungarn müsse endlich begreifen, dass die Slowakei ein unabhängiges Land ist, lautet die Replik aus Bratislava.
Was die Gemüter so erhitzt, ist ein auf den ersten Blick unscheinbares Gesetz, das den Gebrauch der slowakischen Sprache in der Öffentlichkeit regeln soll. Für die über eine halbe Million ungarischsprachiger Slowaken bringen die neuen Bestimmungen aber Einschränkungen. Auf Werbetafeln sowie in allen öffentlichen Ankündigungen muss künftig immer zuerst der slowakische Text abgedruckt werden.
Auch Texte auf historischen Gedenktafeln müssen zuerst slowakisch verfasst sein, für die ungarische Übersetzung gilt eine maximale Schriftgröße. Geografienamen, etwa in Schulbüchern, dürfen künftig nicht mehr allein auf Ungarisch stehen. Laut der ungarischen Leseart schränkt das Gesetz sogar ein, wann ein Arzt mit seinen Patienten ungarisch sprechen darf. Für Verstöße drohen zwischen 100 und 5000 Euro Strafe.
Geschwächtes Ungarn
"Kein Mensch glaubt, dass das Gesetz wortgetreu umgesetzt wird, aber es erlaubt den slowakischen Behörden, jederzeit gegen die ungarische Minderheit vorzugehen" , sagt ein ranghoher Beamter im ungarischen Außenministerium. Ungarn will nun den Europarat und die OSZE in dieser Causa anrufen.
Die slowakisch-ungarischen Beziehungen sind traditionell schlecht und haben 2008 einen Tiefstand erreicht. Politologen sprechen vom angespanntesten Verhältnis zweier EU-Staaten.
Dass die Slowakei den Konflikt jetzt erneut anfacht, hängt laut dem ungarischen Außenministerium auch mit der Wirtschaftskrise zusammen: Ungarn stehe massiv geschwächt da, der Moment sei für die Slowakei günstig, um Streitfragen zu klären. Zudem stehen 2010 Wahlen an, und der slowakische Premier Robert Fico dürfte auf die Unterstützer der rechten Slowakischen Nationalpartei schielen.
Der slowakische Politologe Tomáš Strážay glaubt zudem, dass die Slowakei Druck auf Ungarn ausüben will, um die Auflösung des ungarischen Karpatenforums zu erreichen. In dem 2004 gegründeten Forum treffen sich ungarische Politiker aus der gesamten Karpatenregion. Das Forum ist in Ungarn rechtlich anerkannt und darf dem Parlament Vorschläge übermitteln. Weil damit slowakische Politiker an das ungarische Parlament angebunden sind, ist Bratislava erzürnt. Ungarn sah dagegen bisher keinen Grund für ein Entgegenkommen.
Quelle: (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 6.7.2009)
Dienstag, 16. Juni 2009
Schweinshaxen im Holocaust-Denkmal
Unweit des ungarischen Parlaments gibt es am Donauufer ein Denkmal für die Opfer des Pfeilkreuzler-Terrors 1944/45. Schuhe aus Bronze gegossen, die daran erinnern, dass an dieser Stelle einige tausend Juden von den ungarischen Nazis in die Donau geschossen worden sind.

Unbekannte Rechtsextreme haben in der Nacht auf Montag Schweinshaxen in die Schuhe gesteckt. Auf einem rechtsextremen Internetportal meine man, das sei die Reaktion auf den Abruch des Turul-Denkmals im 12. Budapester Gemeindebezirk. Der Turul ist ein Fabelwesen und symbolisiert das "Urungarische". Letztes Jahr war ihm im 12. Bezirk ohne Baugenehmigung ein Denkmal errichtet worden.

Unbekannte Rechtsextreme haben in der Nacht auf Montag Schweinshaxen in die Schuhe gesteckt. Auf einem rechtsextremen Internetportal meine man, das sei die Reaktion auf den Abruch des Turul-Denkmals im 12. Budapester Gemeindebezirk. Der Turul ist ein Fabelwesen und symbolisiert das "Urungarische". Letztes Jahr war ihm im 12. Bezirk ohne Baugenehmigung ein Denkmal errichtet worden.
Unheil in Ungarn
Hetze gegen "Zigeuner", Juden, Intellektuelle: Rechtsextreme setzen in Ungarn den Staat unter Druck und tragen den Nationalismus in die Nachbarländer.
Von Michael Frank
Mutige Menschen, die vor zwanzig Jahren mit ihrer Zivilcourage Mitteleuropas Sowjet-Diktaturen ein Ende bereitet haben, sind heute zutiefst verzagt. Gerade wer in Ungarn den Umbau des Zwangsstaates in eine demokratische Gesellschaft mit angetrieben hat, fürchtet sich aus gutem Grund.
Heute wie damals kann man sich kaum mehr auf ungarischem Boden treffen und eindeutig zur politischen Entwicklung äußern. "Wir werden nicht vor den Angriffen der Rechtsextremisten geschützt, sondern die Polizei schützt diese Leute", sagen bekenntnisstarke Demokraten, die besser nicht genannt werden sollten. Kritische Intellektuelle sind auf offener Straße angegriffen und niedergeschlagen, Wohnungen verwüstet worden. Eine Mordserie hat Roma getroffen, gezielte Bluttaten mit Brandstiftung und Gewehrfeuer.
Der Generalstaatsanwalt in Budapest hat soeben ein Machtwort sprechen und der Polizeigewerkschaft Tettrekesz (Tatbereit), die fast ein Fünftel der magyarischen Ordnungshüter vertritt, die vertragliche Zusammenarbeit mit der Neonazipartei Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) verbieten müssen.
Jobbik hetzt gegen "Zigeuner", Juden, Intellektuelle. Jobbik hat die "Ungarische Garde" gegründet, die uniformiert und mit Faschistenfahne aufmarschiert, Dörfer terrorisiert, bei martialischen Vereidigungen gegen "Zigeunerkriminalität" und für ein "reines Ungarntum" agitiert. Jobbik hat bei der Europawahl aus dem Stand 14 Prozent errungen.
Nährboden dieser Entwicklung ist der Hass, mit dem die traditionellen Nachwendeparteien - die nationalkonservative Fidesz und die Sozialisten - die politische Atmosphäre Ungarns vergiftet haben. Unwillig und unfähig sind sie, gemeinsam die Krise zu bekämpfen.
Und Fidesz-Führers Viktor Orban betreibt ein gefährliches Spiel, wenn er das Parlament auszuhebeln versucht und mit Massenaufläufen die Meinungs- und Willensbildung der Straße anheimstellt. Das sind bedenkliche Zersetzungseffekte im demokratischen Stammhirn Ungarns.
Selbst wenn Fidesz die nächste Wahl gewinnen wird, lassen sich die Probleme nicht heilen. Orbans Schwur, niemals mit Jobbik zu koalieren, klingt spätestens seit dem Erfolg der Rechtsextremen bei den Europawahlen hohl: Seit Jahren vertritt er ähnliche Thesen, ohne gewalttätige und offen rassistische Appelle eindeutig zu verurteilen.
Die Aggression nach außen
Dem Druck im Inneren folgt die Aggression nach außen: Nicht nur im Lager der chauvinistischen Rechten spielt man noch immer mit der Traumatisierung Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg, als durch die Grenzziehung große magyarische Volksgruppen vom Mutterland abgeschnitten wurden.
Nun kursieren wieder die Thesen von der angeblichen Unterdrückung auf fremdem Boden und Bedrohungsszenarien für die magyarische Identität. Das sorgt bei den Nachbarn für Aufruhr. Wenn Oppositionsführer Orban von der Vertretung aller Magyaren im ganzen Karpatenbecken - also auch in den Nachbarstaaten - schwadroniert, dann weckt er den Nationalismus in eben diesen Länder.
Sollte Fidesz, erst mal an der Macht, erneut versuchen, allen Magyaren in den Nachbarstaaten die ungarische Staatsbürgerschaft per Gesetz zuzuweisen, bräche die Krise offen aus. Die Nachbarn interpretieren dies als offene Konfrontation, als Eingriff in die immer delikate Minderheiten-Thematik. Rund um Ungarn geht es um Machtansprüche über drei Millionen Menschen.
Damit würde alles gefährdet, was das Ungarn der Nachwende-Zeit an vorbildlichen Minderheitengesetzen und an Versöhnungsgesten zu Stande gebracht hat. Begreift sich Europa wirklich als Friedensprojekt, muss es Mittel der Mäßigung gegen die unheilvolle Entwicklung in einem ihrer Schlüsselstaaten finden. Die EU muss eingreifen. Auf wen sonst sollte setzen, wer totalitäre Züge in Gesellschaft und Nation aufsteigen sieht.
(SZ vom 16.06.2009/segi)
http://www.sueddeutsche.de/politik/683/472210/text/
Von Michael Frank
Mutige Menschen, die vor zwanzig Jahren mit ihrer Zivilcourage Mitteleuropas Sowjet-Diktaturen ein Ende bereitet haben, sind heute zutiefst verzagt. Gerade wer in Ungarn den Umbau des Zwangsstaates in eine demokratische Gesellschaft mit angetrieben hat, fürchtet sich aus gutem Grund.
Heute wie damals kann man sich kaum mehr auf ungarischem Boden treffen und eindeutig zur politischen Entwicklung äußern. "Wir werden nicht vor den Angriffen der Rechtsextremisten geschützt, sondern die Polizei schützt diese Leute", sagen bekenntnisstarke Demokraten, die besser nicht genannt werden sollten. Kritische Intellektuelle sind auf offener Straße angegriffen und niedergeschlagen, Wohnungen verwüstet worden. Eine Mordserie hat Roma getroffen, gezielte Bluttaten mit Brandstiftung und Gewehrfeuer.
Der Generalstaatsanwalt in Budapest hat soeben ein Machtwort sprechen und der Polizeigewerkschaft Tettrekesz (Tatbereit), die fast ein Fünftel der magyarischen Ordnungshüter vertritt, die vertragliche Zusammenarbeit mit der Neonazipartei Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) verbieten müssen.
Jobbik hetzt gegen "Zigeuner", Juden, Intellektuelle. Jobbik hat die "Ungarische Garde" gegründet, die uniformiert und mit Faschistenfahne aufmarschiert, Dörfer terrorisiert, bei martialischen Vereidigungen gegen "Zigeunerkriminalität" und für ein "reines Ungarntum" agitiert. Jobbik hat bei der Europawahl aus dem Stand 14 Prozent errungen.
Nährboden dieser Entwicklung ist der Hass, mit dem die traditionellen Nachwendeparteien - die nationalkonservative Fidesz und die Sozialisten - die politische Atmosphäre Ungarns vergiftet haben. Unwillig und unfähig sind sie, gemeinsam die Krise zu bekämpfen.
Und Fidesz-Führers Viktor Orban betreibt ein gefährliches Spiel, wenn er das Parlament auszuhebeln versucht und mit Massenaufläufen die Meinungs- und Willensbildung der Straße anheimstellt. Das sind bedenkliche Zersetzungseffekte im demokratischen Stammhirn Ungarns.
Selbst wenn Fidesz die nächste Wahl gewinnen wird, lassen sich die Probleme nicht heilen. Orbans Schwur, niemals mit Jobbik zu koalieren, klingt spätestens seit dem Erfolg der Rechtsextremen bei den Europawahlen hohl: Seit Jahren vertritt er ähnliche Thesen, ohne gewalttätige und offen rassistische Appelle eindeutig zu verurteilen.
Die Aggression nach außen
Dem Druck im Inneren folgt die Aggression nach außen: Nicht nur im Lager der chauvinistischen Rechten spielt man noch immer mit der Traumatisierung Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg, als durch die Grenzziehung große magyarische Volksgruppen vom Mutterland abgeschnitten wurden.
Nun kursieren wieder die Thesen von der angeblichen Unterdrückung auf fremdem Boden und Bedrohungsszenarien für die magyarische Identität. Das sorgt bei den Nachbarn für Aufruhr. Wenn Oppositionsführer Orban von der Vertretung aller Magyaren im ganzen Karpatenbecken - also auch in den Nachbarstaaten - schwadroniert, dann weckt er den Nationalismus in eben diesen Länder.
Sollte Fidesz, erst mal an der Macht, erneut versuchen, allen Magyaren in den Nachbarstaaten die ungarische Staatsbürgerschaft per Gesetz zuzuweisen, bräche die Krise offen aus. Die Nachbarn interpretieren dies als offene Konfrontation, als Eingriff in die immer delikate Minderheiten-Thematik. Rund um Ungarn geht es um Machtansprüche über drei Millionen Menschen.
Damit würde alles gefährdet, was das Ungarn der Nachwende-Zeit an vorbildlichen Minderheitengesetzen und an Versöhnungsgesten zu Stande gebracht hat. Begreift sich Europa wirklich als Friedensprojekt, muss es Mittel der Mäßigung gegen die unheilvolle Entwicklung in einem ihrer Schlüsselstaaten finden. Die EU muss eingreifen. Auf wen sonst sollte setzen, wer totalitäre Züge in Gesellschaft und Nation aufsteigen sieht.
(SZ vom 16.06.2009/segi)
http://www.sueddeutsche.de/politik/683/472210/text/
Montag, 15. Juni 2009
Brauner Dammbruch bei den Nachbarn: Ungarn auf dem Weg in den Faschismus?
Rechtspopulisten und Rechtsextreme kamen bei der EU-Wahl zusammen auf über 70 Prozent der Stimmen. Ein Staat mitten in Europa droht im Faschismus zu ersticken.
Gregor Mayer, Budapest
Man kann nicht behaupten, Gabor Vona, der nie lächelnde Chef der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren/Die Rechteren), hätte nicht einen gewissen Sinn für Humor. Eine seiner Ansprachen begann der 31-Jährige im vergangenen Oktober mit folgender Sottise: „Wer kennt den Witz? Ferenc Gyurcsany (der in diesem März zurückgetretene sozialistische Ministerpräsident, Anm.) kommt ins Gefängnis und muss sich die Zelle mit einem zwei Meter großen, sexbesessenen Metalldieb (Synonym für kriminelle Roma, Anm.) teilen. Kennen Sie ihn? Nein? Ich leider auch nicht, aber er fängt gut an.“
Die Partei, die gegen Roma und Homosexuelle hetzt und mit antisemitischen Botschaften operiert, hat bei der Europawahl am vorvergangenen Sonntag aus dem Stand heraus 14,8 Prozent der Stimmen geschafft und drei von insgesamt 22 Mandaten erzielt. Doch auch der rechtspopulistische Bund Junger Demokraten (FIDESZ) schnitt mit 56,4 Prozent besser ab als bei jeder Wahl zuvor. Geführt wird diese Partei von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der den noch regierenden Sozialisten mit „Abrechnung“ und Strafverfolgung droht und gegen das „internationale Finanzkapital“ wettert. Er träumt von einer Zweidrittelmehrheit bei der nächsten Wahl – spätestens im kommenden Frühjahr –, um dann ein autoritäres Präsidialsystem einzuführen.
In vielen EU-Ländern gewannen modernisierungsfeindliche, xenophobe und braune Parteien kräftig dazu. Doch nur in Ungarn entfielen auf rechte Populisten und Rechtsextreme zusammengenommen über 70 Prozent der abgegebenen Stimmen. Oft und immer wieder wurde beim Aufstieg populistischer oder faschistoider Kräfte geunkt, dieses oder jenes Land drohe dem Faschismus anheimzufallen. Immer wieder entpuppte sich solches Gerede als schierer Alarmismus. Doch Ungarn, wo sich in den vergangenen Jahren autoritäre Haltungen und aggressive Vorurteile gegen die Roma tief in der Mitte der Gesellschaft festgesetzt haben, könnte tatsächlich auf dem Weg dorthin sein.
Totgeschlagen. Jene, die dagegenhalten könnten, sind demoralisiert. Die derzeit allein regierende Ungarische Sozialistische Partei erlitt mit 17,4 Prozent ein schweres Debakel. „Man hat uns totgeschlagen“, seufzte die sozialistische Spitzenpolitikerin Katalin Szili resigniert am Tag danach. Der frühere Koalitionspartner, der Bund Freier Demokraten, schlitterte überhaupt in die Katastrophe. Mit nur 2,2 Prozent der Stimmen stehen die aus der alten Dissidentenbewegung hervorgegangenen Liberalen vor dem Ende als eigenständiger politischer Akteur.
Ins Wanken kam Ungarns Demokratie im Herbst 2006. Die berüchtigte Skandalrede Gyurcsanys, in dem dieser an seine Partei appellierte, endlich mit dem Lügen aufzuhören, drang an die Öffentlichkeit. Wochenlang ließen von der Rechten angefachte Unruhen das Land erbeben. Der Putschversuch misslang, doch Gyurcsanys Regierung war entscheidend geschwächt. Der FIDESZ unter Orban torpedierte jegliche wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Reformversuche mit populistischen Volksabstimmungen. Vor einem Jahr zerbrach die sozialliberale Koalition. Gyurcsany trat im März zurück. Orban trieb die immer glanz- und mutloser agierenden linken Regierungen vor sich her. Doch mit der Jobbik-Bewegung ist auf einmal eine neue Kraft da, die behauptet, das alles noch viel besser zu können. Jobbik redet nicht nur, sondern erweckt auch den Anschein der Handlungsfähigkeit.
Entmenscht. Im August 2007 gründete Gabor Vona die „Ungarische Garde“, eine paramilitärische Truppe mit Uniformen, die in Schnitt und Muster an jene von NS-Militärformationen erinnern. Die Garde veranstaltet martialische, bedrohlich wirkende Aufmärsche in Roma-Gemeinden. Jobbik und Garde mobilisieren mit dem Versprechen, effektiv gegen die „Zigeunerkriminalität“ zu kämpfen, vor allem ärmere Menschen, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu verelendeten und sozial verwahrlosten Roma leben. Als „staatlich subventionierte Zigeunerzucht“ bezeichnete der Jobbik-Vize und frisch gebackene Europaabgeordnete Csanad Szegedi im Wahlkampf die Sozialhilfen, die an Roma gehen. „Barikad.hu“, die Internetseite der Jobbik, präsentierte wochenlang einen Comicstrip, der Jean de La Fontaines Fabel „Die Grille und die Ameise“ abwandelt und die Roma in „Stürmer“-Manier als entmenschte Schmarotzer und Vergewaltiger zeigt.
Die Hetzstrategie ging auf. In Nord- und Ostungarn, wo es einen hohen Roma-Bevölkerungsanteil gibt, erhielt die Jobbik bei der Europawahl mehr Stimmen als die Sozialisten. Diese Gebiete, in denen Industrieruinen wie die Stadt Miskolc oder die frühere Stahlschmiede Ozd liegen, waren bislang linke Hochburgen. Die Dynamik ist alarmierend. Hatten nicht auch Hitlers Nazis bei ihrem Aufstieg davon profitiert, dass ihnen angesichts der Wirtschaftskrise massenhaft Arbeiter zuliefen, die zuvor kommunistisch und sozialdemokratisch gewählt hatten?
Das von den Rechtsextremen geschürte Klima provozierte bereits rassistisch motivierte Morde. Fünf Roma starben seit letztem November bei bewaffneten Anschlägen auf ihre Elendshütten. Bei einer dieser Bluttaten wurden ein Vater und sein fünfjähriger Sohn erschossen. „Nicht einmal der Tod dieses Kindes hat das Land erschüttert“, gibt die Budapester Soziologin Maria Vasarhelyi zu bedenken. Für den Aufstieg der Jobbik macht sie vor allem Viktor Orban verantwortlich. „Er hat den Boden dafür bereitet.“ Als der 2002 die Wahlen relativ überraschend verlor, wollte er sich mit dem Ergebnis nicht abfinden. Er rief seine Anhänger dazu auf, gegen die „Wahlfälschung“ zu demonstrieren und sich in so genannten „Bürgerkreisen“ zu organisieren. So versuchte er, den Machtanspruch seiner Partei wachzuhalten. Eine Gruppe von jungen Männern Anfang 20, die nach nationalem Radikalismus dürsteten, nahm die Aufforderung ernst.
Der Geschichtsstudent Gabor Vona kam aus der Hochschülerschaft, andere aus der 2002 gleichfalls gescheiterten Ungarischen Wahrheits- und Lebenspartei des Antisemiten Istvan Csurka. Sie nutzten die „Bürgerkreise“ als Betätigungs- und Mobilisierungsplattform für den zielstrebigen Aufbau ihrer Jobbik. Orban hatte schon in seiner Regierungszeit (1998–2002) einen Hofstaat rechtsradikaler Publizisten aufgepäppelt. Die Wahlniederlage bestärkte ihn in seinem Credo, dass Ungarns Rechte „ein Lager, eine Fahne, einen Führer“ habe.
Orbans rechtsextreme Kampfschreiber versuchen indes, in Sachen Radikalität den vor allem im Internet agierenden Jobbik-Propagandisten Paroli zu bieten. Sieben Jahre derartiger extremistischer Mobilisierung haben das Meinungsklima in Ungarn nachhaltig verändert, stellt Vasarhelyi fest. „Der öffentliche Diskurs ist so verkommen, dass aggressive, obszöne, rassistische Äußerungen niemanden mehr vom Hocker reißen. Sie erscheinen vielfach sogar als normal.“ Eine Teilverantwortung falle auch den linksliberalen Regierungsparteien zu, die „in sieben Jahren kaum etwas weitergebracht haben“.
Pfeilkreuzler. Das Elend der ländlichen Roma, ihre Entkoppelung von der allgemeinen Gesellschaftsentwicklung, habe sich selbst noch zu einer Zeit verschärft, als der durchschnittliche Lebensstandard im Land gestiegen war. „Die Bürgermeister und Bewohner dieser Regionen fühlten sich mit den daraus resultierenden Problemen völlig alleingelassen.“
Vasarhelyi, die wegen ihrer schonungslosen Kritik an den ungarischen Zuständen selbst immer wieder zur Zielscheibe medialer Angriffe der Rechten wird, hofft, dass sich im FIDESZ, wenn er einmal an der Macht ist, „eine nüchterne, pragmatische Strömung durchsetzt“. Ob es dazu je kommen werde, weiß sie aber nicht. Andere bauen wiederum darauf, dass ein Land inmitten der EU nicht einfach zur braunen Diktatur mutieren kann – auch wenn Gabor Vona wiederholt damit droht, im Falle der Machterringung die privaten Fernsehsender TV 2 und RTL Klub zu schließen, Betreiber und Redakteure aus dem Land zu werfen und „ihre Fernsehstationen dem Erdboden gleichzumachen“.
Orban hingegen suggeriert, alles im Griff zu haben. „Mit der Ungarischen Garde“, gab er einmal die Richtung vor, „werden wir fertig wie damals Horthy mit den Pfeilkreuzlern: mit zwei Ohrfeigen.“ Was Orban nicht erwähnte: Der rechts-autoritäre Reichsverweser Miklos Horthy musste im Oktober 1944 zurücktreten, um der faschistischen Terrorherrschaft der Pfeilkreuzler Platz zu machen.
von profil.at
Gregor Mayer, Budapest
Man kann nicht behaupten, Gabor Vona, der nie lächelnde Chef der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren/Die Rechteren), hätte nicht einen gewissen Sinn für Humor. Eine seiner Ansprachen begann der 31-Jährige im vergangenen Oktober mit folgender Sottise: „Wer kennt den Witz? Ferenc Gyurcsany (der in diesem März zurückgetretene sozialistische Ministerpräsident, Anm.) kommt ins Gefängnis und muss sich die Zelle mit einem zwei Meter großen, sexbesessenen Metalldieb (Synonym für kriminelle Roma, Anm.) teilen. Kennen Sie ihn? Nein? Ich leider auch nicht, aber er fängt gut an.“
Die Partei, die gegen Roma und Homosexuelle hetzt und mit antisemitischen Botschaften operiert, hat bei der Europawahl am vorvergangenen Sonntag aus dem Stand heraus 14,8 Prozent der Stimmen geschafft und drei von insgesamt 22 Mandaten erzielt. Doch auch der rechtspopulistische Bund Junger Demokraten (FIDESZ) schnitt mit 56,4 Prozent besser ab als bei jeder Wahl zuvor. Geführt wird diese Partei von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der den noch regierenden Sozialisten mit „Abrechnung“ und Strafverfolgung droht und gegen das „internationale Finanzkapital“ wettert. Er träumt von einer Zweidrittelmehrheit bei der nächsten Wahl – spätestens im kommenden Frühjahr –, um dann ein autoritäres Präsidialsystem einzuführen.
In vielen EU-Ländern gewannen modernisierungsfeindliche, xenophobe und braune Parteien kräftig dazu. Doch nur in Ungarn entfielen auf rechte Populisten und Rechtsextreme zusammengenommen über 70 Prozent der abgegebenen Stimmen. Oft und immer wieder wurde beim Aufstieg populistischer oder faschistoider Kräfte geunkt, dieses oder jenes Land drohe dem Faschismus anheimzufallen. Immer wieder entpuppte sich solches Gerede als schierer Alarmismus. Doch Ungarn, wo sich in den vergangenen Jahren autoritäre Haltungen und aggressive Vorurteile gegen die Roma tief in der Mitte der Gesellschaft festgesetzt haben, könnte tatsächlich auf dem Weg dorthin sein.
Totgeschlagen. Jene, die dagegenhalten könnten, sind demoralisiert. Die derzeit allein regierende Ungarische Sozialistische Partei erlitt mit 17,4 Prozent ein schweres Debakel. „Man hat uns totgeschlagen“, seufzte die sozialistische Spitzenpolitikerin Katalin Szili resigniert am Tag danach. Der frühere Koalitionspartner, der Bund Freier Demokraten, schlitterte überhaupt in die Katastrophe. Mit nur 2,2 Prozent der Stimmen stehen die aus der alten Dissidentenbewegung hervorgegangenen Liberalen vor dem Ende als eigenständiger politischer Akteur.
Ins Wanken kam Ungarns Demokratie im Herbst 2006. Die berüchtigte Skandalrede Gyurcsanys, in dem dieser an seine Partei appellierte, endlich mit dem Lügen aufzuhören, drang an die Öffentlichkeit. Wochenlang ließen von der Rechten angefachte Unruhen das Land erbeben. Der Putschversuch misslang, doch Gyurcsanys Regierung war entscheidend geschwächt. Der FIDESZ unter Orban torpedierte jegliche wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Reformversuche mit populistischen Volksabstimmungen. Vor einem Jahr zerbrach die sozialliberale Koalition. Gyurcsany trat im März zurück. Orban trieb die immer glanz- und mutloser agierenden linken Regierungen vor sich her. Doch mit der Jobbik-Bewegung ist auf einmal eine neue Kraft da, die behauptet, das alles noch viel besser zu können. Jobbik redet nicht nur, sondern erweckt auch den Anschein der Handlungsfähigkeit.
Entmenscht. Im August 2007 gründete Gabor Vona die „Ungarische Garde“, eine paramilitärische Truppe mit Uniformen, die in Schnitt und Muster an jene von NS-Militärformationen erinnern. Die Garde veranstaltet martialische, bedrohlich wirkende Aufmärsche in Roma-Gemeinden. Jobbik und Garde mobilisieren mit dem Versprechen, effektiv gegen die „Zigeunerkriminalität“ zu kämpfen, vor allem ärmere Menschen, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu verelendeten und sozial verwahrlosten Roma leben. Als „staatlich subventionierte Zigeunerzucht“ bezeichnete der Jobbik-Vize und frisch gebackene Europaabgeordnete Csanad Szegedi im Wahlkampf die Sozialhilfen, die an Roma gehen. „Barikad.hu“, die Internetseite der Jobbik, präsentierte wochenlang einen Comicstrip, der Jean de La Fontaines Fabel „Die Grille und die Ameise“ abwandelt und die Roma in „Stürmer“-Manier als entmenschte Schmarotzer und Vergewaltiger zeigt.
Die Hetzstrategie ging auf. In Nord- und Ostungarn, wo es einen hohen Roma-Bevölkerungsanteil gibt, erhielt die Jobbik bei der Europawahl mehr Stimmen als die Sozialisten. Diese Gebiete, in denen Industrieruinen wie die Stadt Miskolc oder die frühere Stahlschmiede Ozd liegen, waren bislang linke Hochburgen. Die Dynamik ist alarmierend. Hatten nicht auch Hitlers Nazis bei ihrem Aufstieg davon profitiert, dass ihnen angesichts der Wirtschaftskrise massenhaft Arbeiter zuliefen, die zuvor kommunistisch und sozialdemokratisch gewählt hatten?
Das von den Rechtsextremen geschürte Klima provozierte bereits rassistisch motivierte Morde. Fünf Roma starben seit letztem November bei bewaffneten Anschlägen auf ihre Elendshütten. Bei einer dieser Bluttaten wurden ein Vater und sein fünfjähriger Sohn erschossen. „Nicht einmal der Tod dieses Kindes hat das Land erschüttert“, gibt die Budapester Soziologin Maria Vasarhelyi zu bedenken. Für den Aufstieg der Jobbik macht sie vor allem Viktor Orban verantwortlich. „Er hat den Boden dafür bereitet.“ Als der 2002 die Wahlen relativ überraschend verlor, wollte er sich mit dem Ergebnis nicht abfinden. Er rief seine Anhänger dazu auf, gegen die „Wahlfälschung“ zu demonstrieren und sich in so genannten „Bürgerkreisen“ zu organisieren. So versuchte er, den Machtanspruch seiner Partei wachzuhalten. Eine Gruppe von jungen Männern Anfang 20, die nach nationalem Radikalismus dürsteten, nahm die Aufforderung ernst.
Der Geschichtsstudent Gabor Vona kam aus der Hochschülerschaft, andere aus der 2002 gleichfalls gescheiterten Ungarischen Wahrheits- und Lebenspartei des Antisemiten Istvan Csurka. Sie nutzten die „Bürgerkreise“ als Betätigungs- und Mobilisierungsplattform für den zielstrebigen Aufbau ihrer Jobbik. Orban hatte schon in seiner Regierungszeit (1998–2002) einen Hofstaat rechtsradikaler Publizisten aufgepäppelt. Die Wahlniederlage bestärkte ihn in seinem Credo, dass Ungarns Rechte „ein Lager, eine Fahne, einen Führer“ habe.
Orbans rechtsextreme Kampfschreiber versuchen indes, in Sachen Radikalität den vor allem im Internet agierenden Jobbik-Propagandisten Paroli zu bieten. Sieben Jahre derartiger extremistischer Mobilisierung haben das Meinungsklima in Ungarn nachhaltig verändert, stellt Vasarhelyi fest. „Der öffentliche Diskurs ist so verkommen, dass aggressive, obszöne, rassistische Äußerungen niemanden mehr vom Hocker reißen. Sie erscheinen vielfach sogar als normal.“ Eine Teilverantwortung falle auch den linksliberalen Regierungsparteien zu, die „in sieben Jahren kaum etwas weitergebracht haben“.
Pfeilkreuzler. Das Elend der ländlichen Roma, ihre Entkoppelung von der allgemeinen Gesellschaftsentwicklung, habe sich selbst noch zu einer Zeit verschärft, als der durchschnittliche Lebensstandard im Land gestiegen war. „Die Bürgermeister und Bewohner dieser Regionen fühlten sich mit den daraus resultierenden Problemen völlig alleingelassen.“
Vasarhelyi, die wegen ihrer schonungslosen Kritik an den ungarischen Zuständen selbst immer wieder zur Zielscheibe medialer Angriffe der Rechten wird, hofft, dass sich im FIDESZ, wenn er einmal an der Macht ist, „eine nüchterne, pragmatische Strömung durchsetzt“. Ob es dazu je kommen werde, weiß sie aber nicht. Andere bauen wiederum darauf, dass ein Land inmitten der EU nicht einfach zur braunen Diktatur mutieren kann – auch wenn Gabor Vona wiederholt damit droht, im Falle der Machterringung die privaten Fernsehsender TV 2 und RTL Klub zu schließen, Betreiber und Redakteure aus dem Land zu werfen und „ihre Fernsehstationen dem Erdboden gleichzumachen“.
Orban hingegen suggeriert, alles im Griff zu haben. „Mit der Ungarischen Garde“, gab er einmal die Richtung vor, „werden wir fertig wie damals Horthy mit den Pfeilkreuzlern: mit zwei Ohrfeigen.“ Was Orban nicht erwähnte: Der rechts-autoritäre Reichsverweser Miklos Horthy musste im Oktober 1944 zurücktreten, um der faschistischen Terrorherrschaft der Pfeilkreuzler Platz zu machen.
von profil.at
Freitag, 22. Mai 2009
ein brief an meine studenten (2007)
meine damen und herren!
ich war durchaus verwundert, als ich heute meine bewertung bekommen habe, und diese, besonders den stil betreffend, eine sehr schlechte war. ihr seid scheinbar in mehrfacher hinsicht ein nicht gewöhnlicher jahrgang, die tatsache, daß ihr sehr viele seid wird dadurch ergänzt, daß ihr der erste jahrgang seid, der probleme mit meinem stil hat. ihr werdet euch - so nehm ich an - nicht unbedingt daran gestoßen haben, daß einige male das wort "scheiße" erklungen ist, sondern an einem ganz konkreten fall, von dem ich dann über drei vermittlungspersonen gehört habe: es ging um den austrofaschismus, während dessen anfängen dollfuß das land mit regierungsverordnungen regierte - und ich habe als illustration darauf hingewiesen, daß sowas so absurd nicht ist und auch heute noch vorkommen kann, ja zwischen 1998 und 2002 auch hier praktiziert wurde. was ich danach gehört habe war: "rendesen beszólt a fideszeseknek" ich kann mich nicht erinnern, daß ich derlei getan hätte. ich habe ein beispiel aus der jüngsten ungarischen geschichte genommen, um österreichische geschichte zu illustrieren. bei uns gibt es den spruch "ein schelm, der böses dabei denkt" (rossz, aki rosszra gondol), der ist wohl auch in diesem falle sehr zutreffend. ich wollte mit diesem vergleich keine politische seite züchtigen oder eine andere hervorheben, aber ich will durchaus nicht leugnen, daß das ungarische demokratieverständnis - das aus dieser regierungsverordnungsgeschichte sehr gut zu erkennen ist - nicht das meine ist. denn menschen vorzuschreiben, was sie zu denken haben, seien die vorschreiber nun rot, orange, braun, schwarz, blau oder grün, das hat nichts mit demokratie zu tun. und sich wie die kleinen kaiser aufzuführen, wie es hier geschieht, seitdem ungarn eine eigene regierung hat (1867), hat auch nichts mit demokratie zu tun, und ich verstehe nicht, warum man nicht darüber reden darf. weiters ist mir einfach unverständlich, wie jemand damit einverstanden sein kann, wenn halbgebildete rechtsanwälte, die in ihrem ganzen leben außer zetteln hin- und herzuschieben noch nichts gearbeitet haben, die ungarische bevölkerung in ungarn und landesverräter einteilen? (stellt sich die frage, wo denn nun die zigeuner hingehören, die erhalten wohl nicht einmal den landesverräterstatus...).
warum hat keiner in der stunde reagiert, wenn mein "stil" den meisten so schlecht aufgestoßen ist, warum wurden mir im nachhinein 1er in die bewertung geschrieben? besprechen kann man alles - das ist aber hier das nächste problem - man ist hier nicht gewillt zu sprechen und nicht gewillt nachzugeben und nicht gewillt, vielleicht seine (mitunter vorgekaute, vorgefertigte) meinung zu überdenken. alle meinen, sie wären im besitz der absoluten wahrheit.
ich bin es nicht. ich täusche mich oft, vergesse einiges und habe auch schon oft meine meinung geändert.
wer in der ersten stunde aufgepaßt hat, hätte schon wissen können, daß ich nicht der national-christlich-konservativen ecke zuzurechnen bin, habe ich doch eine sendung im tilos radio, wo sich ja nur judenpack, schwule, landesverräter, weiteres kann hier nach belieben angefügt werden - herumtummeln. ich stehe zu meiner meinung, man kann gerne mit mir darüber diskutieren - und wer sich jetzt wiederum bemüßigt fühlt, mich in die feindesecke zu stellen, dem rate ich, nicht zu vergessen, daß ich 1) ausländer bin - man mich also nicht ernst nehmen muß; 2) ich keine politische seite irgendwie kritisiert oder bevorzugt habe, ich habe mich nur auf allen bekannte tatsachen gestützt.
freundliche grüße
clemens
geschrieben am 24. 1. 2007, nachdem ich nach einem semester landeskunde in der übersetzerausbeldung in der lehrerbewertung sogar einige "nicht genügend" vorfand.
ich war durchaus verwundert, als ich heute meine bewertung bekommen habe, und diese, besonders den stil betreffend, eine sehr schlechte war. ihr seid scheinbar in mehrfacher hinsicht ein nicht gewöhnlicher jahrgang, die tatsache, daß ihr sehr viele seid wird dadurch ergänzt, daß ihr der erste jahrgang seid, der probleme mit meinem stil hat. ihr werdet euch - so nehm ich an - nicht unbedingt daran gestoßen haben, daß einige male das wort "scheiße" erklungen ist, sondern an einem ganz konkreten fall, von dem ich dann über drei vermittlungspersonen gehört habe: es ging um den austrofaschismus, während dessen anfängen dollfuß das land mit regierungsverordnungen regierte - und ich habe als illustration darauf hingewiesen, daß sowas so absurd nicht ist und auch heute noch vorkommen kann, ja zwischen 1998 und 2002 auch hier praktiziert wurde. was ich danach gehört habe war: "rendesen beszólt a fideszeseknek" ich kann mich nicht erinnern, daß ich derlei getan hätte. ich habe ein beispiel aus der jüngsten ungarischen geschichte genommen, um österreichische geschichte zu illustrieren. bei uns gibt es den spruch "ein schelm, der böses dabei denkt" (rossz, aki rosszra gondol), der ist wohl auch in diesem falle sehr zutreffend. ich wollte mit diesem vergleich keine politische seite züchtigen oder eine andere hervorheben, aber ich will durchaus nicht leugnen, daß das ungarische demokratieverständnis - das aus dieser regierungsverordnungsgeschichte sehr gut zu erkennen ist - nicht das meine ist. denn menschen vorzuschreiben, was sie zu denken haben, seien die vorschreiber nun rot, orange, braun, schwarz, blau oder grün, das hat nichts mit demokratie zu tun. und sich wie die kleinen kaiser aufzuführen, wie es hier geschieht, seitdem ungarn eine eigene regierung hat (1867), hat auch nichts mit demokratie zu tun, und ich verstehe nicht, warum man nicht darüber reden darf. weiters ist mir einfach unverständlich, wie jemand damit einverstanden sein kann, wenn halbgebildete rechtsanwälte, die in ihrem ganzen leben außer zetteln hin- und herzuschieben noch nichts gearbeitet haben, die ungarische bevölkerung in ungarn und landesverräter einteilen? (stellt sich die frage, wo denn nun die zigeuner hingehören, die erhalten wohl nicht einmal den landesverräterstatus...).
warum hat keiner in der stunde reagiert, wenn mein "stil" den meisten so schlecht aufgestoßen ist, warum wurden mir im nachhinein 1er in die bewertung geschrieben? besprechen kann man alles - das ist aber hier das nächste problem - man ist hier nicht gewillt zu sprechen und nicht gewillt nachzugeben und nicht gewillt, vielleicht seine (mitunter vorgekaute, vorgefertigte) meinung zu überdenken. alle meinen, sie wären im besitz der absoluten wahrheit.
ich bin es nicht. ich täusche mich oft, vergesse einiges und habe auch schon oft meine meinung geändert.
wer in der ersten stunde aufgepaßt hat, hätte schon wissen können, daß ich nicht der national-christlich-konservativen ecke zuzurechnen bin, habe ich doch eine sendung im tilos radio, wo sich ja nur judenpack, schwule, landesverräter, weiteres kann hier nach belieben angefügt werden - herumtummeln. ich stehe zu meiner meinung, man kann gerne mit mir darüber diskutieren - und wer sich jetzt wiederum bemüßigt fühlt, mich in die feindesecke zu stellen, dem rate ich, nicht zu vergessen, daß ich 1) ausländer bin - man mich also nicht ernst nehmen muß; 2) ich keine politische seite irgendwie kritisiert oder bevorzugt habe, ich habe mich nur auf allen bekannte tatsachen gestützt.
freundliche grüße
clemens
geschrieben am 24. 1. 2007, nachdem ich nach einem semester landeskunde in der übersetzerausbeldung in der lehrerbewertung sogar einige "nicht genügend" vorfand.
Freitag, 15. Mai 2009
Ringelnatz an der TU
In der allerletzten Stunde meiner Karriere an der TU Budapest, haben wir uns mit Nonsense-Gedichten von Morgenstern und Ringelnatz beschäftigt. Die Gruppe war zuerst ein wenig skeptisch, später aber, als es darum ging, von Ringelnatz ein kurzes Gedichtchen zu übersetzen, ziemlich begeistert dabei. Und ich habe mir gedacht, man hätte in den zwei Jahren der Ausbildung öfter sowas machen sollen. Aber hier handelt es sich ja um eine Fachübersetzerausbildung... Mit all ihrer vorgeschriebenen Phantasielosigkeit.
Die Ameisen
In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee,
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.
A hangyapár
Gondolt egyet egy hamburgi hangyapár:
Gyerünk, ránk Ausztrália vár!
Jött azonban Firenze,
és a lábukat igencsak kikezdte.
Az útnak így vége szakadt;
jobb ma egy láb, mint holnap két pata.
Nóra Takács
Két hangya
Volt egyszer két hangya,
Hamburgból Ausztráliába tartva,
Félúton elfáradtak,
Lábfájásra panaszkodtak,
és okos döntést hoztak,
amikor az útról lemondtak.
Barbara Koszorú, Kati Molnár
A hangya
Budapesten élt egy hangya,
vágyott távoli kalandra.
Elindult hát Afrikába,
Csepelnél már fájt a lába.
Így aztán egy bölcs döntéssel
hazament az első HÉV-vel.
Judit Koren
----------------------------
Ein männlicher Briefmark
Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm erweckt
Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!
Egy hímbélyeg sorsa
Egy hímbélyeg szívét
lángra lobbantotta
egy hercegnő nyelve,
mielőtt feltapasztotta.
Csókolta volna ő is a nőt,
de a hosszú út már hívta őt.
Na de hiába is csókolta volna,
A hölgy férjhez megy holnap.
Gréta Pásztor
Volt egyszer egy bélyegsrác
Volt egyszer egy bélyegsrác
Fényes felén nem volt lánc
Kit még ragadása előtt
Telibe nyalt egy hercegnő.
Több se kellett bélyegsrácnak
Máris rózsafelhők szálltak
De az élet tragikus,
Szállt a postagalamb: Huss!
Sándor Bessenyei
--------------------------------
Bumerang
War einmal ein Bumerang;
War ein Weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum - noch stundenlang
wartete auf Bumerang.
Bumeráng
Ide-oda szálldogál
Ez a széles bumeráng
Mégis hiába várod,
Vissza többé nem kapod.
Ki csak hívja, ki csábítja,
Mind hiába, mind hiába.
Sándor Bessenyei
A Bumeráng
Volt egyszer egy bumeráng,
egy kicsit hosszú volt talán,
felszökött az egekbe,
nem tudta senki, visszatér-e.
és a jónép izgatottan
tűnődött, hogy vajon hol van.
Clemens Prinz
Die Ameisen
In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee,
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.
A hangyapár
Gondolt egyet egy hamburgi hangyapár:
Gyerünk, ránk Ausztrália vár!
Jött azonban Firenze,
és a lábukat igencsak kikezdte.
Az útnak így vége szakadt;
jobb ma egy láb, mint holnap két pata.
Nóra Takács
Két hangya
Volt egyszer két hangya,
Hamburgból Ausztráliába tartva,
Félúton elfáradtak,
Lábfájásra panaszkodtak,
és okos döntést hoztak,
amikor az útról lemondtak.
Barbara Koszorú, Kati Molnár
A hangya
Budapesten élt egy hangya,
vágyott távoli kalandra.
Elindult hát Afrikába,
Csepelnél már fájt a lába.
Így aztán egy bölcs döntéssel
hazament az első HÉV-vel.
Judit Koren
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Ein männlicher Briefmark
Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm erweckt
Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!
Egy hímbélyeg sorsa
Egy hímbélyeg szívét
lángra lobbantotta
egy hercegnő nyelve,
mielőtt feltapasztotta.
Csókolta volna ő is a nőt,
de a hosszú út már hívta őt.
Na de hiába is csókolta volna,
A hölgy férjhez megy holnap.
Gréta Pásztor
Volt egyszer egy bélyegsrác
Volt egyszer egy bélyegsrác
Fényes felén nem volt lánc
Kit még ragadása előtt
Telibe nyalt egy hercegnő.
Több se kellett bélyegsrácnak
Máris rózsafelhők szálltak
De az élet tragikus,
Szállt a postagalamb: Huss!
Sándor Bessenyei
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Bumerang
War einmal ein Bumerang;
War ein Weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum - noch stundenlang
wartete auf Bumerang.
Bumeráng
Ide-oda szálldogál
Ez a széles bumeráng
Mégis hiába várod,
Vissza többé nem kapod.
Ki csak hívja, ki csábítja,
Mind hiába, mind hiába.
Sándor Bessenyei
A Bumeráng
Volt egyszer egy bumeráng,
egy kicsit hosszú volt talán,
felszökött az egekbe,
nem tudta senki, visszatér-e.
és a jónép izgatottan
tűnődött, hogy vajon hol van.
Clemens Prinz
Freitag, 1. Mai 2009
Mein erstes Schragl
von Radek Knapp
So leicht diese Staatsgrenze zu überschreiten war, so verhängnisvoll war die nächste: Der Übergang von der slawischen Sprache in die germanische.
Man sagt, je mehr Grenzen es gibt, auf die ein Mensch im Laufe seines Lebens stößt, desto besser für ihn. In diesem Fall hatte ich es wirklich gut. Als ich auf die erste ernstzunehmende Grenze in meinem Leben stieß, war ich erst zwölf. Es war gleich eine Staatsgrenze. Als wir in Drasenhofen vor dem rotweißroten Schranken stehengeblieben waren, kamen aus dem Zollhaus ein paar grimmig dreinsehende Männer heraus, an deren Gürtel echte Pistolen hingen. Der erste Österreicher, den ich also im Leben sah, war bewaffnet. Glücklicherweise wird nie so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Als die Zöllner unsere Pässe zu studieren begannen, studierte ich im Gegenzug ihre Pistolen. Beim genaueren Hinsehen sah man, dass sie nicht oft verwendet wurden. Der Staub hatte sich in die Griffkolben bereits hineingefressen, und bei einem Zöllner wirkte die Waffe, als wäre sie mit dem Futteral zusammengewachsen. Am Ende der Kontrolle brachte sogar einer der Zöllner eine Grimasse zusammen, die man durchaus als ein Lächeln auslegen konnte.
So leicht jedoch diese Grenze zu überschreiten war, so verhängnisvoll war die nächste: Der Übergang von der slawischen Sprache in die germanische. Deutsch zu lernen war für einen Polen sowieso nie ein Vergnügen. Wenn man noch dazu zwölfjährig war, war das Deutsche nicht nur ein kantiges, raues Kauderwelsch, sondern auch noch die Sprache des Feindes. Bis heute flimmert über die polnischen Fernsehkanäle eine Kriegsfilmserie, die ich als Zwölfjähriger vergötterte. Sie trägt den auf Deutsch dämlich klingenden Titel Vier Panzerfahrer und ein Hund und spielte während des Zweiten Weltkrieges. Wenn die Polen außer Papst Johannes II. und dem Schispringer Adam Malysz Helden hatten, dann diese wackeren Panzerfahrer.
Diese vier Soldaten, die sich niemals wuschen, vollbrachten ein militärisches Wunder nach dem anderen. Sie besaßen einen Panzer russischer Bauart, den sie erstaunlich selten abfeuerten und in dem sie durch Dutzende Folgen Richtung Berlin rollten, wo sie eines Tages auf dem Reichstag die polnischen Fahne hissen sollten. Sie hätten es niemals ohne Scharik, ihren Hund, geschafft. Er hatte die Gabe, eine deutsche Wehrmachtsuniform auf einen Kilometer gegen den Wind zu riechen, wobei die Tatsache, ein deutscher Schäferhund zu sein, ihm sicher dabei half. Und zweitens besaßen die Panzerfahrer ausgezeichnete Deutschkenntnisse, die sich in zwei Sätzen zusammenfassen lassen: Der erste Satz ging: "Hände hoch, oder ich schieße" und der zweite: "Wo ist der Sturmbannführer Stettke?"
Mit diesen beiden Sätzen kam ich interessanterweise in Wien das erste halbe Jahr erstaunlich gut über die Runden. Aber spätestens als ich in die Pubertät kam und mich für die Mädchen zu interessieren begann, wurde klar, dass ich damit nicht weit kommen würde.
In Wien begriff ich aber, dass mein Problem nicht nur im Erlernen der deutschen Sprache bestand, sondern darin, dass man in Wien gar nicht Deutsch sprach. Ich werde nie vergessen, als ich mich einmal in ein Gasthaus in Ottakring verirrte und gleich an der Schwelle den mysteriösen Satz hörte: "Sprüh a Wolkn!"
An den Gesichtern, die diesen Satz gerade fallen ließen, erkannte ich eines. Es war keine Aufforderung, eine Wolke mit einer Spraydose zu bearbeiten, sondern das Lokal recht flott wieder zu verlassen. Von da an staunte ich, wie viele Ausdrücke es in dieser traditionell gastfreundlichen Stadt gab, die einen zum Sich-Entfernen auffordern.
Zum Beispiel "Schlag a Wöhn". Ins Deutsche übersetzt "Schlag eine Welle" bedeutete das Gleiche wie eine Wolke sprühen. Eine "Welle nicht zu schlagen" wäre sehr töricht, sollte diese Aufforderung im Bezirk Favoriten ausgesprochen worden sein. Stark im Kommen ist übrigens wieder das gute alte: "Hau di iba d’Heisa".
Wahrscheinlich, weil es so arabisch klingt. Da kam mir ein "Moch an Servas" dagegen eigentlich schon recht elegant rüber. Ganz zu schweigen von solchen Evergreens wie "Schleich di", "Drah di" oder "Geh bodn".
Hau di iba d’Heisa
Dass das Wienerische sich viele Wörter aus slawischen Sprachen geliehen hat, war nicht wirklich ein Trost für mich. Wie sollte ich zum Beispiel wissen, dass das wienerische "Tschopperl" vom tschechischen Wort èapek, also Storch, stammt. Gemeint war ein gutmütiger geistig minderbemittelter Bürger, auch Trottel genannt. Ich wurde zum Beispiel so lange als "Tschopperl" bezeichnet, bis ich es mir endlich gemerkt hatte.
Viel attraktiver erschien mir dafür der Ausdruck auf "Lepschi" gehen, was bedeutete "einen Aufriss machen". Es kam auch vom slawischen Wort "lepsi", was so viel wie "besser" heißt und damit zu verstehen gab, dass Fremdgehen nicht unbedingt gleich so schlecht sein muss, wie die Leute sagen.
Am bequemsten hatten es natürlich wieder mal die Italiener. Aus dem Italienischen wurden nämlich die interessantesten Wiener Ausdrücke ausgeliehen, was auch durchaus sinnvoll war. So kamen die Italiener, die ja nie eine Fremdsprache beherrschen, in den Genuss, wenigstens stellenweise Wienerisch zu verstehen.
"Gspusi" bedeutet auf wienerisch eine Affäre und kommt von "sposa", das italienische Wort für Verlobte. "Büsln" kommt aus dem italienischen "pisolare" – ein Nickerchen machen. Und das Wort "Tschick" kommt von cicca, was einen Zigarettenstummel umschreibt. Somit konnte ich den ersten Satz auf Wienerisch bauen, den Italiener nicht nur verstehen, sondern auch sicherlich gutheißen würden: "Zuerst kleine Gspusi, dann bissi büsln und danach Tschick." Wann das Wienerische entstand, konnte mir allerdings kein Wiener genau sagen, aber dafür wurde mir schnell klar, warum man es erfand. Der Wiener hat den Wiener Dialekt deshalb erfunden, damit er sofort jeden Nichtwiener entlarven kann. So mancher Akzentkünstler, und darunter waren linguistische Genies, die mühelos das Französische, Portugiesische und sogar Suaheli beherrschten, musste vor dem Wienerischen passen. Es ließ sich einfach nicht nachmachen, es sei denn, man hatte das Privileg, in einem der 23 Wiener Bezirke geboren worden zu sein. Aber sogar hier gab es zwischen den Bezirken feine Abstufungen. Einige unterschieden sich durch bestimmten Tonfall, vor allem aber durch zahlreiche Ausdrücke, die es im Laufe der Jahrhunderte nicht geschafft hatten, den Dunstkreis von tausend Metern zu überbrücken. Mit einem Wort: In Wien herrschte eine Dialektvielfalt wie im Kongobecken. Es waren zwar nur drei Kilometer von Favoriten bis nach Meidling, fünf Minuten mit der U-Bahn, aber es lagen Lichtjahre zwischen dem Meidlinger L und dem Favoritener Slang. Im sechzehnten Bezirk haben sich einige Unterdialekte ausgebildet, die nur noch in wenigen Hinterhöfen gesprochen werden. Sie werden offensichtlich in direkter Linie vom Vater auf den Sohn vererbt und sterben offenbar erst dann aus, wenn die Sprösse des 16. Bezirks beschließen, einen kollektiven Selbstmord zu begehen, indem sie in ihren getunten und frisierten BMW Turbos gegen das Haus des Meeres fahren, das bekanntlich über sehr solide Außenwände verfügt.
Zum Schluss kann ich selber aus meinem unerschöpflichen Erfahrungsschatz beisteuern, wie folgenschwer die Unkenntnis des Dialektes sein kann. Mit 20 Jahren arbeitete ich in einer Druckerei, und meine Aufgabe bestand darin, Zeitungen zu bündeln. Ich steckte sie in eine Maschine, aus der ein Faden herausschoss. Wenn man sich verschaut hatte, schoss der Faden blitzschnell hinaus und schnürte nicht nur das Zeitungsbündel, sondern auch die beiden Hände, mit denen man es hielt, dazu. Dann musste man sich an einen Arbeitskollegen wenden, der einen kopfschüttelnd mit einem "Jessas, Jessas" und einer Schere befreite. Auf diese Weise arbeitete ich ein paar Wochen in der Halle A und war ganz verblüfft, so viel Geld für so eine spannende Arbeit zu bekommen. Aber dann passierte das Unglück. Eines Tages sagte mein Chef, ich solle in die Halle B gehen und ein "Schragl" holen. Auf die Frage, was ein "Schragl" ist, erntete ich den Blick eines Mannes, der noch nie eine blödere Frage gehört hatte. "Ein Schragl ist ein Schragl", erklärte er mir. Ich verließ zum ersten Mal die traute Halle A und begab mich in die Halle B, wo ich nach einem "Schragl" verlangte. Man gab mir eine Art Regal auf Rädern. Glücklich kehrte ich in die Halle A zurück und übergab es meinem Chef. Der sah mich entgeistert an und sagte: "Wos host ma brocht? Des is a Holztischerl und ka Schragl." Ich schüttelte den Kopf "Das ist ganz gewiss ein Schragl". Der Chef platzte heraus: "I orbeit schon 20 Jahre do, und du wirst mir net sagen, wos a Schragl is, kloar?"
Ich trottete zurück in die Halle B und machte kurzen Prozess "Das ist ein Holztischerl", ließ ich in der anderen Halle verlautbaren. Dort hörte ich einen Spruch, der mir bekannt vorkam: "I arbeit schon 20 Jahre do und weiß, was a Holztischerl ist. Des is a Schragl." "Aber nicht in der Halle A", gab ich zu bedenken.
Ich wurde an diesem Vormittag mehrmals wie ein Pingpongball hin und hergeschickt, bis ich das delikate linguistische Gleichgewicht zwischen Halle A und B derart durcheinandergebracht hatte, dass man es nur durch eine radikale Maßnahme wiederherstellen konnte. Ich wurde am nächsten Tag entlassen. Ich bin mir bis heute noch nicht ganz sicher, was ein "Schragl" ist. (Radek Knapp)
Zur Person:
Radek Knapp ist österreichischer Schriftsteller. Er wuchs bei seinen Großeltern in Polen auf und folgte 1976 seiner Mutter nach Wien. Der Durchbruch als Autor gelang ihm 1994 mit seinem Erzählband "Franio", er erhielt dafür den Aspekte-Literaturpreis. 2003 erschien sein Roman "Papiertiger" und zuletzt seine "Gebrauchsanweisung für Polen" (beide im Piper Verlag).
So leicht diese Staatsgrenze zu überschreiten war, so verhängnisvoll war die nächste: Der Übergang von der slawischen Sprache in die germanische.
Man sagt, je mehr Grenzen es gibt, auf die ein Mensch im Laufe seines Lebens stößt, desto besser für ihn. In diesem Fall hatte ich es wirklich gut. Als ich auf die erste ernstzunehmende Grenze in meinem Leben stieß, war ich erst zwölf. Es war gleich eine Staatsgrenze. Als wir in Drasenhofen vor dem rotweißroten Schranken stehengeblieben waren, kamen aus dem Zollhaus ein paar grimmig dreinsehende Männer heraus, an deren Gürtel echte Pistolen hingen. Der erste Österreicher, den ich also im Leben sah, war bewaffnet. Glücklicherweise wird nie so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Als die Zöllner unsere Pässe zu studieren begannen, studierte ich im Gegenzug ihre Pistolen. Beim genaueren Hinsehen sah man, dass sie nicht oft verwendet wurden. Der Staub hatte sich in die Griffkolben bereits hineingefressen, und bei einem Zöllner wirkte die Waffe, als wäre sie mit dem Futteral zusammengewachsen. Am Ende der Kontrolle brachte sogar einer der Zöllner eine Grimasse zusammen, die man durchaus als ein Lächeln auslegen konnte.
So leicht jedoch diese Grenze zu überschreiten war, so verhängnisvoll war die nächste: Der Übergang von der slawischen Sprache in die germanische. Deutsch zu lernen war für einen Polen sowieso nie ein Vergnügen. Wenn man noch dazu zwölfjährig war, war das Deutsche nicht nur ein kantiges, raues Kauderwelsch, sondern auch noch die Sprache des Feindes. Bis heute flimmert über die polnischen Fernsehkanäle eine Kriegsfilmserie, die ich als Zwölfjähriger vergötterte. Sie trägt den auf Deutsch dämlich klingenden Titel Vier Panzerfahrer und ein Hund und spielte während des Zweiten Weltkrieges. Wenn die Polen außer Papst Johannes II. und dem Schispringer Adam Malysz Helden hatten, dann diese wackeren Panzerfahrer.
Diese vier Soldaten, die sich niemals wuschen, vollbrachten ein militärisches Wunder nach dem anderen. Sie besaßen einen Panzer russischer Bauart, den sie erstaunlich selten abfeuerten und in dem sie durch Dutzende Folgen Richtung Berlin rollten, wo sie eines Tages auf dem Reichstag die polnischen Fahne hissen sollten. Sie hätten es niemals ohne Scharik, ihren Hund, geschafft. Er hatte die Gabe, eine deutsche Wehrmachtsuniform auf einen Kilometer gegen den Wind zu riechen, wobei die Tatsache, ein deutscher Schäferhund zu sein, ihm sicher dabei half. Und zweitens besaßen die Panzerfahrer ausgezeichnete Deutschkenntnisse, die sich in zwei Sätzen zusammenfassen lassen: Der erste Satz ging: "Hände hoch, oder ich schieße" und der zweite: "Wo ist der Sturmbannführer Stettke?"
Mit diesen beiden Sätzen kam ich interessanterweise in Wien das erste halbe Jahr erstaunlich gut über die Runden. Aber spätestens als ich in die Pubertät kam und mich für die Mädchen zu interessieren begann, wurde klar, dass ich damit nicht weit kommen würde.
In Wien begriff ich aber, dass mein Problem nicht nur im Erlernen der deutschen Sprache bestand, sondern darin, dass man in Wien gar nicht Deutsch sprach. Ich werde nie vergessen, als ich mich einmal in ein Gasthaus in Ottakring verirrte und gleich an der Schwelle den mysteriösen Satz hörte: "Sprüh a Wolkn!"
An den Gesichtern, die diesen Satz gerade fallen ließen, erkannte ich eines. Es war keine Aufforderung, eine Wolke mit einer Spraydose zu bearbeiten, sondern das Lokal recht flott wieder zu verlassen. Von da an staunte ich, wie viele Ausdrücke es in dieser traditionell gastfreundlichen Stadt gab, die einen zum Sich-Entfernen auffordern.
Zum Beispiel "Schlag a Wöhn". Ins Deutsche übersetzt "Schlag eine Welle" bedeutete das Gleiche wie eine Wolke sprühen. Eine "Welle nicht zu schlagen" wäre sehr töricht, sollte diese Aufforderung im Bezirk Favoriten ausgesprochen worden sein. Stark im Kommen ist übrigens wieder das gute alte: "Hau di iba d’Heisa".
Wahrscheinlich, weil es so arabisch klingt. Da kam mir ein "Moch an Servas" dagegen eigentlich schon recht elegant rüber. Ganz zu schweigen von solchen Evergreens wie "Schleich di", "Drah di" oder "Geh bodn".
Hau di iba d’Heisa
Dass das Wienerische sich viele Wörter aus slawischen Sprachen geliehen hat, war nicht wirklich ein Trost für mich. Wie sollte ich zum Beispiel wissen, dass das wienerische "Tschopperl" vom tschechischen Wort èapek, also Storch, stammt. Gemeint war ein gutmütiger geistig minderbemittelter Bürger, auch Trottel genannt. Ich wurde zum Beispiel so lange als "Tschopperl" bezeichnet, bis ich es mir endlich gemerkt hatte.
Viel attraktiver erschien mir dafür der Ausdruck auf "Lepschi" gehen, was bedeutete "einen Aufriss machen". Es kam auch vom slawischen Wort "lepsi", was so viel wie "besser" heißt und damit zu verstehen gab, dass Fremdgehen nicht unbedingt gleich so schlecht sein muss, wie die Leute sagen.
Am bequemsten hatten es natürlich wieder mal die Italiener. Aus dem Italienischen wurden nämlich die interessantesten Wiener Ausdrücke ausgeliehen, was auch durchaus sinnvoll war. So kamen die Italiener, die ja nie eine Fremdsprache beherrschen, in den Genuss, wenigstens stellenweise Wienerisch zu verstehen.
"Gspusi" bedeutet auf wienerisch eine Affäre und kommt von "sposa", das italienische Wort für Verlobte. "Büsln" kommt aus dem italienischen "pisolare" – ein Nickerchen machen. Und das Wort "Tschick" kommt von cicca, was einen Zigarettenstummel umschreibt. Somit konnte ich den ersten Satz auf Wienerisch bauen, den Italiener nicht nur verstehen, sondern auch sicherlich gutheißen würden: "Zuerst kleine Gspusi, dann bissi büsln und danach Tschick." Wann das Wienerische entstand, konnte mir allerdings kein Wiener genau sagen, aber dafür wurde mir schnell klar, warum man es erfand. Der Wiener hat den Wiener Dialekt deshalb erfunden, damit er sofort jeden Nichtwiener entlarven kann. So mancher Akzentkünstler, und darunter waren linguistische Genies, die mühelos das Französische, Portugiesische und sogar Suaheli beherrschten, musste vor dem Wienerischen passen. Es ließ sich einfach nicht nachmachen, es sei denn, man hatte das Privileg, in einem der 23 Wiener Bezirke geboren worden zu sein. Aber sogar hier gab es zwischen den Bezirken feine Abstufungen. Einige unterschieden sich durch bestimmten Tonfall, vor allem aber durch zahlreiche Ausdrücke, die es im Laufe der Jahrhunderte nicht geschafft hatten, den Dunstkreis von tausend Metern zu überbrücken. Mit einem Wort: In Wien herrschte eine Dialektvielfalt wie im Kongobecken. Es waren zwar nur drei Kilometer von Favoriten bis nach Meidling, fünf Minuten mit der U-Bahn, aber es lagen Lichtjahre zwischen dem Meidlinger L und dem Favoritener Slang. Im sechzehnten Bezirk haben sich einige Unterdialekte ausgebildet, die nur noch in wenigen Hinterhöfen gesprochen werden. Sie werden offensichtlich in direkter Linie vom Vater auf den Sohn vererbt und sterben offenbar erst dann aus, wenn die Sprösse des 16. Bezirks beschließen, einen kollektiven Selbstmord zu begehen, indem sie in ihren getunten und frisierten BMW Turbos gegen das Haus des Meeres fahren, das bekanntlich über sehr solide Außenwände verfügt.
Zum Schluss kann ich selber aus meinem unerschöpflichen Erfahrungsschatz beisteuern, wie folgenschwer die Unkenntnis des Dialektes sein kann. Mit 20 Jahren arbeitete ich in einer Druckerei, und meine Aufgabe bestand darin, Zeitungen zu bündeln. Ich steckte sie in eine Maschine, aus der ein Faden herausschoss. Wenn man sich verschaut hatte, schoss der Faden blitzschnell hinaus und schnürte nicht nur das Zeitungsbündel, sondern auch die beiden Hände, mit denen man es hielt, dazu. Dann musste man sich an einen Arbeitskollegen wenden, der einen kopfschüttelnd mit einem "Jessas, Jessas" und einer Schere befreite. Auf diese Weise arbeitete ich ein paar Wochen in der Halle A und war ganz verblüfft, so viel Geld für so eine spannende Arbeit zu bekommen. Aber dann passierte das Unglück. Eines Tages sagte mein Chef, ich solle in die Halle B gehen und ein "Schragl" holen. Auf die Frage, was ein "Schragl" ist, erntete ich den Blick eines Mannes, der noch nie eine blödere Frage gehört hatte. "Ein Schragl ist ein Schragl", erklärte er mir. Ich verließ zum ersten Mal die traute Halle A und begab mich in die Halle B, wo ich nach einem "Schragl" verlangte. Man gab mir eine Art Regal auf Rädern. Glücklich kehrte ich in die Halle A zurück und übergab es meinem Chef. Der sah mich entgeistert an und sagte: "Wos host ma brocht? Des is a Holztischerl und ka Schragl." Ich schüttelte den Kopf "Das ist ganz gewiss ein Schragl". Der Chef platzte heraus: "I orbeit schon 20 Jahre do, und du wirst mir net sagen, wos a Schragl is, kloar?"
Ich trottete zurück in die Halle B und machte kurzen Prozess "Das ist ein Holztischerl", ließ ich in der anderen Halle verlautbaren. Dort hörte ich einen Spruch, der mir bekannt vorkam: "I arbeit schon 20 Jahre do und weiß, was a Holztischerl ist. Des is a Schragl." "Aber nicht in der Halle A", gab ich zu bedenken.
Ich wurde an diesem Vormittag mehrmals wie ein Pingpongball hin und hergeschickt, bis ich das delikate linguistische Gleichgewicht zwischen Halle A und B derart durcheinandergebracht hatte, dass man es nur durch eine radikale Maßnahme wiederherstellen konnte. Ich wurde am nächsten Tag entlassen. Ich bin mir bis heute noch nicht ganz sicher, was ein "Schragl" ist. (Radek Knapp)
Zur Person:
Radek Knapp ist österreichischer Schriftsteller. Er wuchs bei seinen Großeltern in Polen auf und folgte 1976 seiner Mutter nach Wien. Der Durchbruch als Autor gelang ihm 1994 mit seinem Erzählband "Franio", er erhielt dafür den Aspekte-Literaturpreis. 2003 erschien sein Roman "Papiertiger" und zuletzt seine "Gebrauchsanweisung für Polen" (beide im Piper Verlag).
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