József Attila (Vidám és jó volt)
Froh war er, gut – vielleicht ein wenig stur,
wenn er im Recht sich wähnte.
Er aß gern gut und hie und da
war Gott er gleich.
Von einem Judenarzt bekam er
Mantel und die Verwandten
nannten ihn: Daß-du-dich-nie-mehr-blicken-läßt.
Im griechisch-katholischen Glauben
fand er keine Ruh, nur Pfaffen –
im Leiden war er Meister,
doch trauert nicht um ihn.
Anfang 1928
Mittwoch, 25. Februar 2009
Dienstag, 24. Februar 2009
Attila József: Nacht in der Vorstadt
(Auszug)
In ölige Fetzen gehüllt
harrt und seufzt die Nacht
am Himmel;
sie setzt sich hin,
am Rand der Stadt,
steht wieder auf und
wankt quer über den Platz,
ein Fünkchen Mond entzündet sie,
damit sie brennt.
Wie Schutthaufen liegen,
stehn Fabriken,
doch noch
schwärzere Nacht
wird dort gemacht,
dort baut der Stille man
ein Fundament.
1932
In ölige Fetzen gehüllt
harrt und seufzt die Nacht
am Himmel;
sie setzt sich hin,
am Rand der Stadt,
steht wieder auf und
wankt quer über den Platz,
ein Fünkchen Mond entzündet sie,
damit sie brennt.
Wie Schutthaufen liegen,
stehn Fabriken,
doch noch
schwärzere Nacht
wird dort gemacht,
dort baut der Stille man
ein Fundament.
1932
Wie Ungarn das Lachen verlernte
Die Wirtschaftskrise trifft Ungarn härter als die meisten anderen EU-Länder - Von Béla Rásky
Die Wirtschaftskrise trifft Ungarn härter als die meisten anderen EU-Länder. Schuld an der innenpolitischen Erstarrung tragen die regierenden Sozialisten - doch auch die Zivilgesellschaft hat außer Larmoyanz wenig anzubieten.
***
Als läge zur Zeit ein Fluch über Ungarn. Eine Hiobsbotschaft jagt die andere: Nur der IWF bewahrt das Land vor dem Kollaps, der Euro-Wechselkurs, angesichts der Fremdwährungskredite eine reale Bedrohung, knickt ein, das Auslandskapital fließt ab, Unternehmen kündigen Mitarbeiter, Rezessionsprognosen müssen täglich nach unten korrigiert werden. Die Wirtschaftskrise trifft Ungarn weit härter als andere EU-Staaten: als würde das Land gerade die Ernte für ein Jahrzehnt Nichtstun einfahren.
Seit Ende der 1990er-Jahre wurde nichts mehr wirklich angepackt: nicht die Bildungsreform, nicht die Sanierung des Gesundheitswesens, nicht die Steuerreform oder der Abbau der aufgeblähten Verwaltung. Der Staat wie seine Bürger lebten auf Pump und meinten, irgendwie schon über die Runden zu kommen. Während die Nachbarländer, auf die man immer ein wenig gönnerhaft herabgeblickt hatte, alles umkrempelten, herrschte in Ungarn Stillstand - oder besser ein kleinlicher Grabenkrieg um Geschichts- und Vergangenheitspolitik.
Aber nicht einmal hier kam es zu Klarstellungen. Die Verstrickung der ungarischen Gesellschaft in den Judenmord 1944/45, die Kollaboration vieler mit dem Kádár-System waren selten Thema. Es gab kein schmerzvolles Klären, kein Bewältigen, kein Erinnern, kein Bestrafen. Schnell war es gelungen, sich zum Opfer zu stilisieren. Lange schien es, als könnte man tatsächlich alles relativ schadlos überstehen: Wende wie Wirtschaftsreform. Allein die letzten Monate zeigen, dass es eben nicht funktioniert.
Skandale und Korruption
Die Hauptschuld an der jetzigen Situation tragen die seit acht Jahren an der Macht befindlichen Sozialisten, aber eine Mitverantwortung der ganzen politischen Elite lässt sich nicht wegleugnen. Personell seit der Wende, ja zum Teil sogar vor dieser, im Wesentlichen unverändert, immer häufiger in Skandale und Korruptionsaffären sowie kleinliche Streitereien verwickelt, zeigt sie sich unfähig, dem Land Reformziele zu geben.
Die Kernbotschaft von Ferenc Gyurcsánys berüchtigter "Lügenrede" 2006, dass es nämlich so nicht weitergehe, hatten die Opposition und die Öffentlichkeit noch in der gespielten Empörung über sein Geständnis, im Wahlkampf gelogen zu haben, untergehen lassen können. Der Ministerpräsident gab zwar nicht sofort auf, doch seit einem verlorenen Referendum im Vorjahr sind seine Reden und Interviews über Veränderungen nur mehr leeres Geschwafel: und nicht nur, weil die Opposition jeden Reformansatz zu boykottieren weiß. Gyurcsány ist zu einem Sesselkleber verkommen. Aber auch die Botschaft seiner Widersacher, der national-konservativen Fidesz unter Viktor Orbán, reduziert sich nur auf die Gebetsmühle, dass der "Lügner" gehen müsse: darüber hinaus kein ersichtliches, klares Programm, keine Idee, keine Vision.
Die einst so eloquenten ungarischen Intellektuellen, unentwegte Streiter ausgenommen, sind heute verstummt: kein Appell, kein Manifest. Die einst so kämpferischen politischen Medien Ungarns werden seit Jahren von denselben, inzwischen ergrauten, im politischen System tief verstrickten und oft kompromittierten "talking heads" beherrscht, während gleichzeitig die Kommerzmedien das Land zu Tode unterhalten. Die ungarische Gesellschaft selbst ist erschöpft, apathisch, sie suhlt sich in Selbstmitleid, unfähig, sich zu organisieren, dem Sumpf der politischen Elite eine demokratische Initiative entgegenzusetzen.
Totale Agonie
Politisch aktiv ist eigentlich nur mehr die kleine radikale Rechte, die überall mit ihren rot-weiß gestreiften, an die ungarischen Nazis erinnernden Fahnen auftaucht, in schwarzen Uniformen drohend durch Roma-Dörfer marschiert, die politische und öffentliche Sprache mit ihrer Stimme und ihrer Logik längst beherrscht. Wirklich gefährlich wäre sie nicht, wären da nicht die feigen Sozialisten, die es verabsäumen, klare Handlungen zu setzen, das staatliche Gewaltmonopol einzufordern, paramilitärische Organisationen zu verbieten, der Polizei klare Richtlinien bei Störungen von friedlichen Demonstrationen zu geben; wären da nicht die sich selbst konservativ titulierenden Kräfte und die Kirchen, die das Treiben ignorieren oder mit diesem kokettieren; wären da nicht die kommerziellen Medien, die sensationslüstern den kleinsten Vorfall hysterisieren und Öl ins Feuer gießen, und wäre da eben nicht eine in totaler Agonie versunkene Gesellschaft, die - sicher mit Abscheu und Sorge - einfach wegschaut.
Fast niemand setzt der rassistischen Verlotterung der Sprache, der Verwahrlosung des öffentlichen Raums, der sinkenden Gewaltschwelle etwas entgegen. Als wolle man nicht wahrhaben, dass die Lunte zu schweren rassistischen Ausschreitungen längst brennt, gegen die die gewalttätigen Demos der vergangenen Jahre nur ein Pappenstiel sein werden.
Dabei weiß man gerade abseits der politischen Elite längst um die Notwendigkeit des grundsätzlichen Wandels. Das nun allerorts spürbare Resultat des Nichtstuns hat die Ungarn dafür längst reif gemacht. Allein ist weit und breit niemand erkennbar, der oder die einen solchen radikalen Schritt glaubhaft vermitteln könnte. Zu oft hat man den Ungarn in den letzten Jahren Opfer abverlangt, leere Versprechungen gemacht, als dass diese nicht zutiefst skeptisch wären. Das Land macht sich keine Illusionen mehr - nicht einmal mehr bezüglich irgendwelcher starker Männer oder autoritärer Lösungen.
Offen bleibt, wer der ungarischen Gesellschaft die wohl bitterste Pille seit der Wende verabreichen, wer am Ende den Schwarzen Peter für die nötige Rosskur haben wird. Sicher ist, dass sie sehr bald geschehen muss und dass das Ganze die "kleinen Leute" ausbaden werden. Nicht einmal der politische Witz, das nach allen Richtungen schonungslose politische Kabarett, die die Kádár-Diktatur erträglich gemacht hatten, können jetzt den Ungarn mehr über die Runden helfen. Es gibt sie kaum mehr: Das rebellische, oft befreiende Lachen haben die Ungarn gründlich verlernt. (Béla Rásky, DER STANDARD, Printausgabe, 25.2.2009)
Zur Person
Béla Rásky, geboren 1959 in Wien, ist freier Historiker.
Die Wirtschaftskrise trifft Ungarn härter als die meisten anderen EU-Länder. Schuld an der innenpolitischen Erstarrung tragen die regierenden Sozialisten - doch auch die Zivilgesellschaft hat außer Larmoyanz wenig anzubieten.
***
Als läge zur Zeit ein Fluch über Ungarn. Eine Hiobsbotschaft jagt die andere: Nur der IWF bewahrt das Land vor dem Kollaps, der Euro-Wechselkurs, angesichts der Fremdwährungskredite eine reale Bedrohung, knickt ein, das Auslandskapital fließt ab, Unternehmen kündigen Mitarbeiter, Rezessionsprognosen müssen täglich nach unten korrigiert werden. Die Wirtschaftskrise trifft Ungarn weit härter als andere EU-Staaten: als würde das Land gerade die Ernte für ein Jahrzehnt Nichtstun einfahren.
Seit Ende der 1990er-Jahre wurde nichts mehr wirklich angepackt: nicht die Bildungsreform, nicht die Sanierung des Gesundheitswesens, nicht die Steuerreform oder der Abbau der aufgeblähten Verwaltung. Der Staat wie seine Bürger lebten auf Pump und meinten, irgendwie schon über die Runden zu kommen. Während die Nachbarländer, auf die man immer ein wenig gönnerhaft herabgeblickt hatte, alles umkrempelten, herrschte in Ungarn Stillstand - oder besser ein kleinlicher Grabenkrieg um Geschichts- und Vergangenheitspolitik.
Aber nicht einmal hier kam es zu Klarstellungen. Die Verstrickung der ungarischen Gesellschaft in den Judenmord 1944/45, die Kollaboration vieler mit dem Kádár-System waren selten Thema. Es gab kein schmerzvolles Klären, kein Bewältigen, kein Erinnern, kein Bestrafen. Schnell war es gelungen, sich zum Opfer zu stilisieren. Lange schien es, als könnte man tatsächlich alles relativ schadlos überstehen: Wende wie Wirtschaftsreform. Allein die letzten Monate zeigen, dass es eben nicht funktioniert.
Skandale und Korruption
Die Hauptschuld an der jetzigen Situation tragen die seit acht Jahren an der Macht befindlichen Sozialisten, aber eine Mitverantwortung der ganzen politischen Elite lässt sich nicht wegleugnen. Personell seit der Wende, ja zum Teil sogar vor dieser, im Wesentlichen unverändert, immer häufiger in Skandale und Korruptionsaffären sowie kleinliche Streitereien verwickelt, zeigt sie sich unfähig, dem Land Reformziele zu geben.
Die Kernbotschaft von Ferenc Gyurcsánys berüchtigter "Lügenrede" 2006, dass es nämlich so nicht weitergehe, hatten die Opposition und die Öffentlichkeit noch in der gespielten Empörung über sein Geständnis, im Wahlkampf gelogen zu haben, untergehen lassen können. Der Ministerpräsident gab zwar nicht sofort auf, doch seit einem verlorenen Referendum im Vorjahr sind seine Reden und Interviews über Veränderungen nur mehr leeres Geschwafel: und nicht nur, weil die Opposition jeden Reformansatz zu boykottieren weiß. Gyurcsány ist zu einem Sesselkleber verkommen. Aber auch die Botschaft seiner Widersacher, der national-konservativen Fidesz unter Viktor Orbán, reduziert sich nur auf die Gebetsmühle, dass der "Lügner" gehen müsse: darüber hinaus kein ersichtliches, klares Programm, keine Idee, keine Vision.
Die einst so eloquenten ungarischen Intellektuellen, unentwegte Streiter ausgenommen, sind heute verstummt: kein Appell, kein Manifest. Die einst so kämpferischen politischen Medien Ungarns werden seit Jahren von denselben, inzwischen ergrauten, im politischen System tief verstrickten und oft kompromittierten "talking heads" beherrscht, während gleichzeitig die Kommerzmedien das Land zu Tode unterhalten. Die ungarische Gesellschaft selbst ist erschöpft, apathisch, sie suhlt sich in Selbstmitleid, unfähig, sich zu organisieren, dem Sumpf der politischen Elite eine demokratische Initiative entgegenzusetzen.
Totale Agonie
Politisch aktiv ist eigentlich nur mehr die kleine radikale Rechte, die überall mit ihren rot-weiß gestreiften, an die ungarischen Nazis erinnernden Fahnen auftaucht, in schwarzen Uniformen drohend durch Roma-Dörfer marschiert, die politische und öffentliche Sprache mit ihrer Stimme und ihrer Logik längst beherrscht. Wirklich gefährlich wäre sie nicht, wären da nicht die feigen Sozialisten, die es verabsäumen, klare Handlungen zu setzen, das staatliche Gewaltmonopol einzufordern, paramilitärische Organisationen zu verbieten, der Polizei klare Richtlinien bei Störungen von friedlichen Demonstrationen zu geben; wären da nicht die sich selbst konservativ titulierenden Kräfte und die Kirchen, die das Treiben ignorieren oder mit diesem kokettieren; wären da nicht die kommerziellen Medien, die sensationslüstern den kleinsten Vorfall hysterisieren und Öl ins Feuer gießen, und wäre da eben nicht eine in totaler Agonie versunkene Gesellschaft, die - sicher mit Abscheu und Sorge - einfach wegschaut.
Fast niemand setzt der rassistischen Verlotterung der Sprache, der Verwahrlosung des öffentlichen Raums, der sinkenden Gewaltschwelle etwas entgegen. Als wolle man nicht wahrhaben, dass die Lunte zu schweren rassistischen Ausschreitungen längst brennt, gegen die die gewalttätigen Demos der vergangenen Jahre nur ein Pappenstiel sein werden.
Dabei weiß man gerade abseits der politischen Elite längst um die Notwendigkeit des grundsätzlichen Wandels. Das nun allerorts spürbare Resultat des Nichtstuns hat die Ungarn dafür längst reif gemacht. Allein ist weit und breit niemand erkennbar, der oder die einen solchen radikalen Schritt glaubhaft vermitteln könnte. Zu oft hat man den Ungarn in den letzten Jahren Opfer abverlangt, leere Versprechungen gemacht, als dass diese nicht zutiefst skeptisch wären. Das Land macht sich keine Illusionen mehr - nicht einmal mehr bezüglich irgendwelcher starker Männer oder autoritärer Lösungen.
Offen bleibt, wer der ungarischen Gesellschaft die wohl bitterste Pille seit der Wende verabreichen, wer am Ende den Schwarzen Peter für die nötige Rosskur haben wird. Sicher ist, dass sie sehr bald geschehen muss und dass das Ganze die "kleinen Leute" ausbaden werden. Nicht einmal der politische Witz, das nach allen Richtungen schonungslose politische Kabarett, die die Kádár-Diktatur erträglich gemacht hatten, können jetzt den Ungarn mehr über die Runden helfen. Es gibt sie kaum mehr: Das rebellische, oft befreiende Lachen haben die Ungarn gründlich verlernt. (Béla Rásky, DER STANDARD, Printausgabe, 25.2.2009)
Zur Person
Béla Rásky, geboren 1959 in Wien, ist freier Historiker.
Dienstag, 17. Februar 2009
Attila József: Leg deine Hand
Leg deine Hand
mir auf die Stirn,
als wär' sie
meine Hand.
Bewache mich
wie einen Mörder,
als hing' dein Sein
an meinem Sein.
Lieb mich, als
wär' das schön für dich,
als wär' mein Herz
auch dein.
Mai/Juni 1928
Mittwoch, 28. Januar 2009
Matura neu: Eine für alle ...
Die Debatte um den Gesetzesentwurf für eine "Zentralmatura" aus der kritischen Sicht eines Pädagogen an einer katholischen Privatschule und eines unabhängigen AHS-Lehrer-Vertreters
Nun ist die Katze endgültig aus dem Sack: Das Bildungsministerium will eine "standardisierte, kompetenzorientierte" zentrale AHS-Reifeprüfung. Eine gemeinsame Aufgabenstellung in Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen soll mehr Fairness und Objektivität und damit eine bessere Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse bringen. Dieses Ziel ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, sieht man sich den Entwurf aber genauer an und reflektiert ihn grundsätzlicher im Hinblick auf den Bildungsbegriff, der sich dahinter verbirgt, wird auch die schroffe Ablehnung, die er mitunter erfährt, verständlich.
Lernen ist ein komplexes personales Geschehen, das sich nicht auf Input und Output reduzieren lässt, Schüler sind keine Lernmaschinen. Die richtigen Rädchen zu kennen, an denen man angeblich drehen muss, macht noch keinen guten Lehrer aus. Das Faszinierendste am Unterrichten ist doch die Begegnung von Mensch zu Mensch, der Kontakt mit dem einzelnen Schüler und der einzelnen Schülerin. Das Gelernte lässt sich vom Lehrer nicht entkoppeln. Der Lehrer ist - ich widerspreche hier immer wieder kolportierten, vermeintlich modernen didaktischen Konzepten - kein Coach, kein Dompteur, kein Wissensmanager! Unterrichten bedeutet, Beziehungsarbeit zu leisten. Die schlechtesten Lehrer sind nicht die mit fachlichen Lücken, sondern die, die nicht beziehungsfähig sind.
Mehr "Objektivität" ...
Lehrerpersönlichkeiten sind - die Geisteshaltung, die hinter dem Entwurf steht, konsequent weitergedacht - nicht mehr gefragt, sondern Leute, die mit ihrer Klientel mit möglichst geringem Aufwand möglichst gute Noten erreichen. Unsere Frau Bundesministerin ist mit ihrem Stab dabei, Schulbildung mit den Kategorien von Effektivität, vordergründiger Objektivität und Uniformität auf ein modernes europataugliches Einheitsniveau herunterzubrechen.
Wer wissen will, was uns mit der Zentralmatura blüht, wage einen Blick ins vielgepriesene Ausland. Negative Entwicklungen, die durch eine Zentralmatura ausgelöst werden können, sind dort gut beobachtbar. Sie fördert nämlich eine ganz bestimmte Lern- und Schulkultur und damit indirekt auch ein ganz bestimmtes Menschenbild. Gelernt, mehr noch, gebüffelt und gedrillt wird, was zentral vorgegeben wird. Warum auch darüber hinaus etwas gelernt werden soll, ist Schülern und Eltern dann nur mehr schwer zu erklären. Unterrichtsbesuch ist dann nur in jenem Ausmaß sinnvoll, in dem er der Matura nützt. Wenn Zusatzstoff gemacht wird, kann man auch zu Hause bleiben.
... oder mehr Bildung?
Die Zentralmatura wird übrigens auch einen weiteren Wachstumsschub für Lerninstitute bringen. Lernen wird dann in erster Linie heißen, bestimmte Standards zu erfüllen. Bildung dagegen wird zur unverbindlichen Übung.
Es gehört zu meinem Selbstverständnis als Lehrer, dass ich meinen Schülerinnen und Schülern mehr vermitteln möchte als bloß das, was im Zeugnis steht. Manche Inhalte - und das wissen Schülerinnen und Schüler ganz genau - lassen sich bei einer Prüfung nicht "verbraten" und eignen sich nicht als Aufgabenstellung für eine Reifeprüfung, aber sie auszuklammern hieße, auf interessante Auseinandersetzungen, auf wichtige Lebenserfahrungen und Denkimpulse zu verzichten.
Letztlich werden wir uns entscheiden müssen, ob wir mehr Objektivität und Uniformität wollen oder mehr Bildung. (Franz Asanger, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2009)
Zur Person: Franz Asanger ist Direktor des Bischöflichen Gymnasiums Petrinum in Linz.
Nun ist die Katze endgültig aus dem Sack: Das Bildungsministerium will eine "standardisierte, kompetenzorientierte" zentrale AHS-Reifeprüfung. Eine gemeinsame Aufgabenstellung in Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen soll mehr Fairness und Objektivität und damit eine bessere Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse bringen. Dieses Ziel ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, sieht man sich den Entwurf aber genauer an und reflektiert ihn grundsätzlicher im Hinblick auf den Bildungsbegriff, der sich dahinter verbirgt, wird auch die schroffe Ablehnung, die er mitunter erfährt, verständlich.
Lernen ist ein komplexes personales Geschehen, das sich nicht auf Input und Output reduzieren lässt, Schüler sind keine Lernmaschinen. Die richtigen Rädchen zu kennen, an denen man angeblich drehen muss, macht noch keinen guten Lehrer aus. Das Faszinierendste am Unterrichten ist doch die Begegnung von Mensch zu Mensch, der Kontakt mit dem einzelnen Schüler und der einzelnen Schülerin. Das Gelernte lässt sich vom Lehrer nicht entkoppeln. Der Lehrer ist - ich widerspreche hier immer wieder kolportierten, vermeintlich modernen didaktischen Konzepten - kein Coach, kein Dompteur, kein Wissensmanager! Unterrichten bedeutet, Beziehungsarbeit zu leisten. Die schlechtesten Lehrer sind nicht die mit fachlichen Lücken, sondern die, die nicht beziehungsfähig sind.
Mehr "Objektivität" ...
Lehrerpersönlichkeiten sind - die Geisteshaltung, die hinter dem Entwurf steht, konsequent weitergedacht - nicht mehr gefragt, sondern Leute, die mit ihrer Klientel mit möglichst geringem Aufwand möglichst gute Noten erreichen. Unsere Frau Bundesministerin ist mit ihrem Stab dabei, Schulbildung mit den Kategorien von Effektivität, vordergründiger Objektivität und Uniformität auf ein modernes europataugliches Einheitsniveau herunterzubrechen.
Wer wissen will, was uns mit der Zentralmatura blüht, wage einen Blick ins vielgepriesene Ausland. Negative Entwicklungen, die durch eine Zentralmatura ausgelöst werden können, sind dort gut beobachtbar. Sie fördert nämlich eine ganz bestimmte Lern- und Schulkultur und damit indirekt auch ein ganz bestimmtes Menschenbild. Gelernt, mehr noch, gebüffelt und gedrillt wird, was zentral vorgegeben wird. Warum auch darüber hinaus etwas gelernt werden soll, ist Schülern und Eltern dann nur mehr schwer zu erklären. Unterrichtsbesuch ist dann nur in jenem Ausmaß sinnvoll, in dem er der Matura nützt. Wenn Zusatzstoff gemacht wird, kann man auch zu Hause bleiben.
... oder mehr Bildung?
Die Zentralmatura wird übrigens auch einen weiteren Wachstumsschub für Lerninstitute bringen. Lernen wird dann in erster Linie heißen, bestimmte Standards zu erfüllen. Bildung dagegen wird zur unverbindlichen Übung.
Es gehört zu meinem Selbstverständnis als Lehrer, dass ich meinen Schülerinnen und Schülern mehr vermitteln möchte als bloß das, was im Zeugnis steht. Manche Inhalte - und das wissen Schülerinnen und Schüler ganz genau - lassen sich bei einer Prüfung nicht "verbraten" und eignen sich nicht als Aufgabenstellung für eine Reifeprüfung, aber sie auszuklammern hieße, auf interessante Auseinandersetzungen, auf wichtige Lebenserfahrungen und Denkimpulse zu verzichten.
Letztlich werden wir uns entscheiden müssen, ob wir mehr Objektivität und Uniformität wollen oder mehr Bildung. (Franz Asanger, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2009)
Zur Person: Franz Asanger ist Direktor des Bischöflichen Gymnasiums Petrinum in Linz.
Sonntag, 14. Dezember 2008
Warum wir bald sehr alt ausschauen
Die Österreicher scheinen sich als Inselvolk zu sehen, das unabhängig von der Welt ihr Schnitzel genießen kann - von Carl Djerassi
Die Ergebnisse der letzten österreichischen Wahlen haben große Erfolge für Parteien gebracht, die ausländerfeindlich orientiert sind. Auch wenn die Hinwendung zu diesen Parteien nicht nur mit xenophoben Motiven begründet werden kann, hat mich die Verstärkung dieser Tendenzen sehr überrascht - nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch weil sie eine dümmliche Haltung dokumentieren. Offenbar haben fast 30 Prozent der Einwohner dieses Landes ihre Ausbildung in Schulen erhalten, die nichts über die demografische Situation in der jetzigen Welt lehren.
Gott segne das Schnitzel
Diese Österreicher unterliegen noch immer der Illusion, dass ihr kleines Land nicht in der Mitte von Europa liegt, sondern auf einer Insel, wo der liebe Gott sie unabhängig vom Rest der Welt leben und ihr Schnitzel genießen lässt. Noch erschreckender ist die Beobachtung, dass die Mehrheit dieser Wähler xenophober Parteien unter 30 ist. Mein Beitrag soll helfen, diese Menschen aufzuwecken.
Ich möchte mit dem realistischen Faktum beginnen, dass zwischen Sexualität und Reproduktion in Zukunft keinerlei Zusammenhang bestehen wird. Im Grunde ist diese Trennung im katholischen Österreich, einem Land mit durchschnittlich 1,4 Kindern pro Familie, schon vollzogen. Die meisten Österreicher genießen Geschlechtsverkehr, ohne dabei ein Kind bekommen zu wollen oder zu bekommen.
Horrorszenario
Da ein Land ungefähr 2,1 Kinder pro Familie braucht, um demografisch auch nur den Status quo zu wahren, ist es klar, dass die Bevölkerung eines 1,4-Kinder-Landes in diesem Jahrhundert schrumpfen wird. Statt die naiven Wähler ausländerfeindlicher Parteien mit dem konkreten österreichischen Horrorszenario zu schockieren, möchte ich mit der Situation eines Nachbarlandes beginnen, das mehr oder minder dieselbe Sprache spricht, aber zehnmal größer ist, nämlich Deutschland.
Beide Länder, wie auch die meisten anderen in Europa, leiden an einer ernsten Krankheit, dem raschen Altern der Bevölkerung, das quantitativ am leichtesten durch den Prozentsatz der Bevölkerung, der älter als 65 Jahre ist, ausgedrückt werden kann. In dieser Beziehung ist Deutschland sehr krank, da es von den 195 Ländern der Welt das viertälteste ist - mit 18,3 Prozent der Bevölkerung über 65. Österreich mit "nur" 16 Prozent der Bevölkerung über 65 ist das dreizehntälteste unter diesen 195 Ländern - im Vergleich zum todkranken Deutschland nur ein minimaler Unterschied.
Natürlich wird die Bevölkerung nicht nur älter, sondern sie schrumpft auch. Man schätzt, dass Deutschland ungefähr 200.000 neue Einwanderer pro Jahr brauchen würde, um seine jetzige Bevölkerungszahl zu bewahren.
Wir schrumpfen
Was würde passieren, wenn ein solches Land keine Einwanderung hätte? Nehmen wir Bulgarien, ungefähr genauso groß wie Österreich, 17 Prozent der Bevölkerung sind über 65 Jahre. Laut Vorhersagen wird die Bevölkerung dort im Jahre 2050, verglichen mit 2007, um 34 Prozent geschrumpft sein!
In Österreich gibt es jetzt schon mehr Menschen über 65, als Kin_-der unter 15 Jahren. In Japan, dem zweitältesten Land der Welt, schätzt man, dass 40 Prozent der Bevölkerung in den nächsten 50 Jahren über 65 Jahre alt sein werden. Man muss kein Wirtschaftswissenschafter oder Demograf sein, um zu verstehen, dass in diesem Jahrhundert in vielen Ländern eine unmögliche Situation entstehen wird. Es wird nicht mehr genug junge Beschäftigte geben, welche die notwendige gesellschaftliche Arbeit und die Deckung der Pensionskosten übernehmen werden können.
Die dramatische Entwicklung lässt sich anhand demografischer Grafiken nachvollziehen, die einen demografischen "Bauch" in der Altersgruppe zwischen 30 bis 55 Jahren zeigen, der sich in den nächsten 30 Jahren in einen demografischen "Kopf" verlagern wird. Österreich sieht in dieser Beziehung genau wie Deutschland aus, mit dem einen Unterschied, dass Deutschland ein Riese und Österreich ein Zwerg ist. Das heißt, dass die Bevölkerungsstruktur dieser Länder am Ende dieses Jahrhunderts so bizarr wie Sun City, Arizona, aussehen werden.
Demografische Pyramiden
Diese demografische Übergewichtigkeit ist noch bedrohlicher als die Epidemie an übergewichtigen Menschen, denen man heute in Amerika und Europa überall begegnet. Während der Einzelne sein Übergewicht aktiv durch eine Diät oder mehr an Bewegung bekämpfen kann, ist die demografische Übergewichtigkeit bedrohlicher: Sie zieht unerbittlich vom Bauch zum Kopf, sodass innerhalb eines halben Jahrhunderts unser demografischer (Landes-)Körper aus einem Riesenkopf auf sehr dünnen Beinen bestehen wird. Um diese Probleme mit ihren komplizierten ökonomischen, politischen und sozialen Konsequenzen zu lösen, wird es viele Jahrzehnte brauchen.
Will man über eine Lösung oder zumindest Verlangsamung dieses Prozesses nachdenken, muss man, genau wie in der Umwelt- und Klimaproblematik, in den nächsten Jahren anfangen und darf nicht mehr warten.
Die Lösung liegt auf der Hand: Entweder es entscheidet sich die Mehrheit junger Österreicher/-innen sofort für mindestens drei Kinder pro Familie (was kaum wahrscheinlich ist), oder man erhöht die Einwanderung junger, arbeitsfähiger Menschen aus anderen Ländern, die bereit sind, sich kulturell innerhalb einer Generation zu assimilieren. Menschen, die jung genug sind, um auch ihre zukünftigen Kinder in Österreich großzuziehen und sich dadurch noch schneller assimilieren. Gerade weil diese Möglichkeit so naheliegt, sind die letzten Wahlresultate nicht anders denn als dümmlich zu bezeichnen.
Nationaler Selbstmord
Wenn sich diese neuen Wähler einwanderungsfeindlicher Parteien nicht sogleich entscheiden sollten, Großfamilien zu produzieren, ist die xenophobe Ablehnung einer intelligenten Immigrationspolitik ein Rezept für den nationalen Selbstmord. Da ich die Wahlresultate als "dümmlich" beschreibe, will ich erklären, was eine "intelligente" Immigrationspolitik wäre.
Da Einwanderung zumindest ein Teil der Lösung sein muss, würde ich vorschlagen, zu einer aktiven Politik zu wechseln, also zu versuchen, Menschen nach Österreich zu bringen, die sich nicht nur assimilieren, sondern ökonomisch und gesellschaftlich zur Entwicklung des Landes beitragen können.
Osteuropäische Länder, die natürlich Einwanderer mit der besten kulturellen Anpassungsfähigkeit liefern könnten, haben genauso wenig Kinder wie Deutsche oder Österreicher und können kaum zur Lösung der demografischen Katastrophe beitragen.
Holt Inder und Nigerianer rein
Geeigneter erscheinen mir in dieser Hinsicht Indien, Nigeria (in der Hauptsache seine katholischen Teile) sowie Brasilien. Es ist wahrscheinlich, dass diese drei Länder im Jahr 2050 in der Bevölkerungszahl Platz eins, sechs und sieben belegen werden. Alle drei Länder haben viele Universitäten mit vielen jungen Menschen, die an einer Migration nach Europa interessiert sind. Das Hauptproblem einer Auswanderung nach Deutschland oder Österreich ist natürlich die Sprache, da Deutsch im Ausland nicht genügend unterrichtet wird.
Deutsch aber erst nach der Einwanderung zu lernen ist ein Riesenhemmnis. Wie wäre es, eine österreichische Organisation, ähnlich dem deutschen Goethe-Institut, in einigen der wichtigsten Universitätsstädte dieser Länder (z.B. Hyderabad, Bangalore, Ibadan, Ile-Ife, São Paulo und insbesondere Rio Grande do Sul, wo es viele Deutsche gibt) einzurichten, mit einem Schwerpunkt auf intensivem Sprachunterricht.
Aktive Politik
Das wäre ein vergleichsweise billiges Experiment, das zeigen würde, ob Österreich ein attraktives Auswanderungssziel für jüngere Leute sein könnte, die ihre Familien dann in Österreich gründen. Diese Strategie könnte eine kulturelle und wirtschaftliche Integration ermöglichen, die sich sehr von der Situation der "Gastarbeiter" früherer Jahrzehnte unterscheiden würde. Die Vorteile einer solchen aktiven Immigrationspolitik für ausgebildete Einwanderer wurden seit den 60er-Jahren in Amerika bewiesen, als die sehr restriktiven Quoten für Immigranten aus Asien für gut ausgebildete Personen dramatisch erweitert wurden.
In gewissen amerikanischen Hightech-Bereichen und an Elite-Universitäten wie zum Beispiel in Stanford, sind jetzt mehr als ein Drittel der Mitarbeiter oder Studierenden Ausländer, hauptsächlich aus Asien. Die USA sind eines der wenigen entwickelten Länder, deren Bevölkerung noch wächst, anstatt abzunehmen. Der einzige Grund hierfür ist die Einwanderung, insbesondere aus Lateinamerika. Im Jahr 2050 wird es mehr Kalifornier lateinamerikanischer Herkunft als solche aus Europa geben.
Als Amerikaner aus Wien - oder amerikanischer Wiener - halte ich es für meine Pflicht, diese kaum jemals ausgesprochenen Implikationen der Ergebnisse der letzten Wahl deutlich zu machen.
(DER STANDARD Printausgabe, 12.12.2008)
Freitag, 25. Juli 2008
Ungarn: Freie Bahn für die Feinde der Demokratie
Der Nazismus ist in Ungarn allgegenwärtig, sagte vor kurzem der Gründer der Ungarischen Antifaschistischen Liga, der Historiker, Professor Tamás Krausz und fügte hinzu: D"er Nazismus erlebt seit 1989 sogar einen regelrechten Triumphzug. Bei uns wird rechtes Gedankengut ungehemmt verbreitet, wobei ihm die Tatenlosigkeit der Behörden sogar den Weg ebnet"...
Von Magdalena Marsovszky
Mitarbeit: Katrin Kremmler
Auch der Leiter des Soziologischen Instituts der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Pál Tamás bestätigt diesen Trend: "Die äußerste Rechte befindet sich inzwischen in der Mitte, rechtsradikales Gedankengut wird allgemein akzeptiert, und 62 % der Befragten hasst die Roma schlicht und einfach", sagte er kürzlich in einem Interview. Tatsächlich sind in Ungarn die ausgrenzenden Ideologien stärker verbreitet als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg und die Gewalt auf der Straße ist inzwischen zum Hungaricum geworden.
Zuletzt war dies an der Gay Pride Parade, am 05. Juli 2008 der Fall, wo vermummte, maskierte Demonstranten die Teilnehmer mit Steinen, und Molotowcocktails bewarfen, die EU-Abgeordnete, Katalin Levai, den sozialistischen und den liberalen Abgeordneten Gábor Szetey und Gábor Horn angriffen, den bekannten linksliberalen Journalisten des Klubrádiós, József Orosz bewusstlos schlugen, 12 Polizisten verletzten, 13 Polizeifahrzeuge beschädigten, einen Kleinbus der Polizei in Brand setzten und dafür sorgten, dass die Parade zum Trauermarsch wurde. Es ist nur der Wachsamkeit der Polizei zu verdanken, dass eine größere Katastrophe vereitelt wurde: Kurz vor der Parade wurden auf den Hinweis von Nachbarn hin, die seltsame Gerüche aus einer sonst leer stehenden Wohnung bemerkten, sechs Männer festgenommen, die - dem Augenschein nach einige hundert - Eier mit Säure gefüllt hatten. Auch Chemikalien unbekannter Zusammensetzung, Säureflaschen und Behälter mit entzündlichen Materialien wurden sichergestellt.
Allgemein sind unter den Gewalttätigen nicht nur Hooligans, sondern immer auch gesetzte ältere Menschen zu finden, und wenn sie nicht selbst tätlich werden, so heizen sie die Lynch- und Pogromstimmung mit ihrem Gebrüll an, bei denen diesmal, wie auch sonst, außer schwulenfeindlichen Parolen auch antisemitische Äußerungen und Beschimpfungen des Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány zu hören waren. Nicht selten sind sogar die Polizisten und die Sanitäter, die zum Schutz von Demonstranten bereitgestellt sind, denen offensichtlich feindlich gesonnen, die sie eigentlich verteidigen müssten. So wurde diesmal einigen Teilnehmern der Parade die medizinische Hilfeleistung verweigert, wobei sich die Sanitäter darauf beriefen, dass sie ausschließlich zur medizinischen Versorgung der Ordnungskräfte anwesend seien. Ihre Aussagen wurden von nahe stehenden Polizisten bekräftigt.
Wie man sich unter den Marschierenden hat fühlen können, beschrieb die "Literatin, Jüdin und feministische Aktivistin", Polnaire in einem Bloggerforum folgendermaßen: "Gestern habe ich selbst erleben können, wie es sich 1944 angefühlt haben muss, zwischen zwei Reihen von Passanten hindurchmarschieren zu müssen. Wenn ich mir alte Filmaufnahmen angeschaut habe, habe ich mich immer über die Gleichgültigkeit der Leute aufgeregt, die damals auf den Gehsteigen herumstanden und dem Marsch zusahen. Nun habe ich erfahren, wie es sich anfühlt, wenn die Menge nicht nur gleichgültig schweigt, sondern von sich aus auf beiden Seiten der Absperrung "Dreckige Schwuchteln!" brüllt. (Na gut, sie haben uns nicht bis ans Donauufer marschieren lassen). Aber es war wirklich erschreckend, dass man bis ganz zum Schluss beim Stadtwäldchen nicht aus dem Marsch ausscheren konnte, so gern manche das auch getan hätten. In Höhe der Benczúr Str. leitete man uns auf eine Seitenstrasse um, weil die Polizisten die Andrássy nicht sichern konnten, so brach für eine Weile der Kordon auf. Zwei meiner Angehörigen – ein junges Ehepaar – wollten sich dort aus der Parade ausklinken und auf eine Caféterasse setzen, einerseits weil sie noch zu tun hatten, und andererseits hatten sie schlichtweg Angst. Der Ort schien passend, um sich dort einen Kaffee zu bestellen und sich unter die "friedlichen Bürger" zu mischen. Es dauerte keine halbe Minute, und sie flohen wieder zurück zu uns, in die "sichere" Parade – auf der Caféterrasse sahen ihnen solche Mienen entgegen, dass sie es für die bessere Alternative hielten. (Ich habe schon von etlichen Holocaust-Überlebenden gehört /gelesen, warum sie damals freiwillig aus der "Freiheit" zu ihren Angehörigen ins Ghetto marschiert sind...)"
Ungarns Demokratie ist in Gefahr, und die Feinde der Demokratie, so scheint es, gewinnen langsam die Überhand.
József Orosz, der bewusstlos geschlagene Journalist des liberalen Klubrádió richtete deshalb eine Rede an die Öffentlichkeit, die auch als Appell aufgefasst werden könnte:
"Am Samstag gingen in Budapest Heterosexuelle und Homosexuelle, Männer und Frauen, Alte und Junge, Landbewohner und Budapester zusammen auf die Strasse – anderthalb Tausend Menschen. In London waren es eine halbe Million, in Köln wurde ein Straßenfest abgehalten. Weder aus der Inselmetropole noch vom deutschen Karneval berichten die Nachrichtenagenturen von gewaltsamen Ausschreitungen. Dass in London und Köln gefeiert werden konnte, ist neben der Polizei auch den Demokraten zu verdanken.
Bei uns wurde auf ganzer Länge der Andrássy Strasse ein dreifacher Kordon errichtet. Auf beiden Seiten des Boulevards konnten die Gaffer, die verehrten Hauptstädter Zeuge davon werden, wie anderthalb Tausend Menschen, eingeschlossen, im erstickenden Gestank von faulen Eiern, im Stein-, Raketen, Tomaten- und säuregefüllten Eierregen unter Lynchatmosphäre nur unter Polizeischutz fähig waren, ihre verfassungsgemäßen Rechte auszuüben.
Die Praxis des Verfassungsgerichtes in Fragen von Landfriedensbruch, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Ordnungswidrigkeiten, lebensfeindlichen Ausschreitungen, Hassreden und Volksverhetzung; die Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft, die Rechtssprechungspraxis der Gerichte, die Ermittlungspraxis der Polizei, die Double-speech der politischen Rechten, die Unfähigkeit der Regierung, die Einhaltung des Gesetzes zu erzwingen – all diese Faktoren zusammen, einander ergänzend und unterstützend, machen es möglich, dass die Radikalen in Ungarn schlichtweg Jeden – unsere Mitbürger, Freunde, Familienmitglieder, unsere Liebsten und Kinder, und auch Fremde und Unbekannte – terrorisieren, beleidigen, verprügeln und zusammenschlagen können. Die Verfassung garantiert uns die störungsfreie Ausübung des Rechtes auf freie Versammlung. Bei dem, was am Samstag geschehen ist, geht es um grundsätzliche Menschenrechte und den Kern der Demokratie. Wir alle sind in Gefahr! Die Republik, die Demokratie und das Recht lassen sich nicht durch Polizeikordons schützen. Der Sinn der Republik ist die Demokratie. Die Form der Demokratie ist die Republik. Das ist in Gefahr. Wir alle, Demokraten, sind in Gefahr. In unserem eigenen Land, hier in Ungarn."
Die gewaltbereite Stimmung in Ungarn erfährt zurzeit einen breiten gesellschaftlichen Konsens, wobei es das weit verbreitete völkische Denken im Land ist, das die Feindbilder generiert.
Dass das exklusive, völkische Denken auch in den akademischen Kreisen der Gesellschaft tief verankert ist, zeigt ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview, das vor Kurzem im öffentlich-rechtlichen Kossuth Rádió zu hören war.
"Es gibt viele Erscheinungen, die man als ekelhaft empfindet", sagt der Mann auf die Frage nach der Gay Pride Parade in Budapest am 5. Juli. "Ich bringe Ihnen ein hässliches Beispiel. Nehmen wir das Bettnässen. Oder, wenn jemand seinen Stuhl nicht halten kann".
"Soll das heißen, dass Sie jetzt Parallelen ziehen?", fragt die Reporterin vorsichtig.
"Ja", antwortet er, "ich ziehe sehr wohl Parallelen. Wenn ein solches Symptom vorkommt, wird es mit Empathie behandelt, und wenn es möglich ist, wird es geheilt. Aber die Bettnässer werden keinen Aufmarsch organisieren und das Recht für sich beanspruchen, weiter ins Bett machen zu dürfen! Gegen solche Erscheinungen hat sich die Menschheit im Laufe der Geschichte immer gewehrt. Sie bedeuten im Zusammenhang mit der Erhaltung der Menschheit eine Gefahr, und zwar eine ähnliche wie die Pädophilie. Wir müssen aufpassen, denn die zwei Dinge sind nicht ganz unterschiedlich. Die Pädophilie gefährdet die Gesellschaft deshalb, weil sie Minderjährige gefährdet. Die Homosexualität deshalb, weil sie Erwachsene gefährdet".
Wer diese Sätze sagte, war kein Geringerer, als Gábor Vida, Evolutionsbiologe und Genetikforscher, Professor an der renommierten ELTE Universität, ordentliches Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der European Society for Evolutionary Biology und Inhaber verschiedener Preise.
Es gab zwar eine Empörung, aber nicht bei denen, von denen man es zuerst erwartet hätte. Der Präsident der Akademie der Wissenschaften, József Pálinkás, bis zu seiner Ernennung in seiner neuen Eigenschaft Mitglied der nationalkonservativen Partei Fidesz-Bürgerliche Union, distanzierte sich nicht von seinem Freund und Kollegen. Professor Vida habe sich im Sinne des Rechtes auf freie Meinungsäußerung geäußert, sagte er.
Viele in Ungarn denken wie Professor Vida. Ihnen, das heißt, den völkisch gesinnten Meinungsbildnern, Wissenschaftlern, Politikern bieten die national-völkischen Medien eine geeignete Plattform, um ihre exklusive Haltung ungehemmt verbreiten können.
Die wichtigsten völkischen Parteien in Ungarn, die im Parlament vertreten sind, sind die Fidesz Bürgerliche Union (Fidesz-MPSZ), größte Partei des Landes, zur Zeit in der Opposition und voraussichtlicher Wahlsieger im Jahre 2010, sowie die Christlich Demokratische Volkspartei (KDNP), nach deren Selbstverständnis beide "christlich-partriotisch", deren Mitglieder öfters Antisemitisches äußern und mit außerparlamentarischen Rechtsradikalen zusammenarbeiten. Sie visionieren permanent das Chaos und den Untergang, weshalb der Ruf nach Ordnung und nach der "Erlösung der Gemeinschaft" mit Hilfe eines Führers immer größer wird.
Die beliebtesten völkischen Medien sind das HirTV (Nachrichten TV), das EchoTV und die zwei Tageszeitungen Magyar Hírlap (Ungarisches Nachrichtenblatt) und Magyar Nemzet (Ungarische Nation). Sie sind antidemokratisch, weil sie unausgewogen eindeutig als das Sprachrohr der völkischen Parteien tätig sind und auch die außerparlamentarische extreme Rechte legitimieren, womit sie selbst die Ausgrenzungstendenzen in der Gesellschaft nähren.
So war der Vorsitzende der Menschenrechtskommission im Ungarischen Parlament, Zoltán Balog (Fidesz-Bürgerliche Union) in einem Gespräch mit dem Moderator des HirTV, Philip Rákay im Zusammenhang mit der Gay Pride Parade vollkommen einer Meinung: "Menschenrechte haben nicht nur die Schwulen. Wir sollen diese Minderheiten schützen, aber bitte nicht zum Schaden der Mehrheitsgesellschaft".
Im Echo TV hat sich der Historiker, Vorstandsmitglied des "Haus des Terrors" und Betreiber der rechtsradikalen Internetportals www.barikad.hu, László Tóth Gy. ähnlich geäußert. Nach seiner Meinung war die Parade eine "einfache und billige Provokation" von Menschen, die eine "sexuelle Devianz" haben. In Ungarn stünden hinter dieser Parade "politische Interessen". Er benannte sodann auch gleich die Partei, die nach seiner Meinung hinter der Parade steht, nämlich die Liberalen. Da im völkisch-antisemitischen Diskurs die Liberalen schlicht als die "Judenpartei" gilt, stand für die Zuschauer sofort fest: Die Drahtzieher hinter solchen Ereignissen seien die Juden.
Eigentümer von EchoTV und Magyar Hirlap ist seit etwa einem Jahr der Forintmilliardär, Fabrikant, Medienmagnat und Ehrenvorsitzende des Arbeitgeberverbandes, Gábor Széles, der für eine künftige Regierung unter Fidesz-Bürgerliche Union als Wirtschaftsminister gehandelt wird, und der es zur Zeit mit den "Zigeunern" besonders gut meint. Man müsste ihnen nur von Zähneputzen bis zum Klo alles richtig beibringen und sie in ihrem Denken ändern, damit sie arbeiten, meint er.
Diese Beispiele zeigen deutlich, dass Gewaltausbrüche anlässlich der Gay Pride Parade nur die logische Konsequenz der ständigen Mobilisierung von seiten der völkischen Parteien und der völkischen Medien sind und nur die Spitze des Eisberges bedeuten. Diese Medien haben neben den rechtsradikalen Internetportalen die wichtigste mobilisierende Funktion im völkischen Kampf. Die völkischen Parteien und Medien nehmen die Hilfe der außerparlamentarischen Rechtsradikalen gerne in Anspruch und stellen für sie eine Plattform bereit, in der sie sich frei entfalten können. Diese sprechen dann ganz klar aus, was Sache ist, gehen zu Demonstrationen und werden stellvertretend für sie gewalttätig.
Selbst wenn sich die bereits erwähnten Parteien und Medien moderater ausdrücken, heißt das also noch lange nicht, dass sie demokratischer wären. Der Parteiführer von Fidesz-Bürgerlicher Union (Fidesz-MPSZ), Viktor Orbán, akzeptiere die parlamentarische Demokratie bereits jetzt nicht mehr. Sollte er 2010 die Wahlen gewinnen, was momentan realistisch erscheine, dann werde hier zwar eine verfassungskonforme, jedoch eine autokratische Machtübernahme ungesehenen Ausmaßes zu beobachten sein, sagte der Politologe József Debreczeni dem Klubrádió.
Dieser Entwicklung scheint auch das Verfassungsgericht zuvorkommen zu wollen, das auf Empfehlung des Staatspräsidenten László Sólyom vor kurzem den Gesetzentwurf zum Verbot der "Hassrede" kippte.
Die Meinungsfreiheit würde dadurch eingeschränkt, und die Demokratie in Ungarn sei stark genug, um sich zu verteidigen, hieß es in der Begründung. In der wichtigsten Frage, die zur Zeit die ungarische Öffentlichkeit beschäftigt, nämlich, wo eigentlich Hassrede anfinge und was noch vom Gesetz zur freien Meinungsäußerung abgedeckt werde, entschied sich das Verfassungsgericht dafür, das man weiter Juden-, Zigeuner- und Schwulenhetze betreiben könne.
Noch gibt es einige demokratisch denkende Zivilorganisationen und Verfassungsrechtler sowie den Ministerpräsidenten Gyurcsány, die damit nicht einverstanden sind. Die Verfassungsrechtler wollen in die Berufung gehen, zivile Organisationen haben das Verfassungsgericht aufgerufen, seine destruktive Haltung aufzugeben und statt dessen zu kooperieren, und der Ministerpräsident rief eine Charta für die Demokratie ins Leben.
"Die immer größere Massen ergreifenden antisemitischen und rassistischen Übergriffe stellen die Geduld der Gesellschaft immer mehr auf die Probe und führen logischerweise zu Konflikten", steht in einer Petition der Ungarischen Antifaschistischen Liga. "Die Gerichtsurteile scheinen der Reihe nach zugunsten der Rechten auszufallen und hinterlassen den Eindruck, als ob die Gerichte mit faschistoiden Gedanken sympathisieren würden. Das Urteil des Verfassungsgerichtes ist, als ob man Öl aufs Feuer gießen würde. Es nützt eindeutig den Kräften, die eine neonazistisch orientiert sind. Die Ungarische Antifaschistische Liga fordert deshalb die Regierung auf, der Stärkung der Rechten entgegenzuarbeiten und einen neuen Gesetzesentwurf gegen die Hassrede dem Parlament vorzulegen".
Inzwischen ahnt man in Ungarn, dass im Kampf um die Demokratie vom Westen wenig Beistand zu erwarten ist. "Es ist eine Illusion", sagte der bereits erwähnte Politologe József Debreczeni, "eine bestimmte Garantie für die Demokratie in der internationalen Staatengemenischaft zu erhoffen, in der wir uns befinden. Angefangen von der Olympiade in Peking bis hin zur Zusammenarbeit mit Putin sehen wir unzählige Beispiele dafür, dass der Westen in erster Linie nicht an der politischen Stabilität interessiert ist, sondern an der Wahrung seiner eigenen Interessen. Dafür ist er auch bereit, solche Regime als Partner zu akzeptieren, die bei näherem Hinschauen ganz offensichtlich nicht demokratisch sind".
Quelle: http://www.hagalil.com/europa/ungarn/ungarn.htm
Von Magdalena Marsovszky
Mitarbeit: Katrin Kremmler
Auch der Leiter des Soziologischen Instituts der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Pál Tamás bestätigt diesen Trend: "Die äußerste Rechte befindet sich inzwischen in der Mitte, rechtsradikales Gedankengut wird allgemein akzeptiert, und 62 % der Befragten hasst die Roma schlicht und einfach", sagte er kürzlich in einem Interview. Tatsächlich sind in Ungarn die ausgrenzenden Ideologien stärker verbreitet als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg und die Gewalt auf der Straße ist inzwischen zum Hungaricum geworden.
Zuletzt war dies an der Gay Pride Parade, am 05. Juli 2008 der Fall, wo vermummte, maskierte Demonstranten die Teilnehmer mit Steinen, und Molotowcocktails bewarfen, die EU-Abgeordnete, Katalin Levai, den sozialistischen und den liberalen Abgeordneten Gábor Szetey und Gábor Horn angriffen, den bekannten linksliberalen Journalisten des Klubrádiós, József Orosz bewusstlos schlugen, 12 Polizisten verletzten, 13 Polizeifahrzeuge beschädigten, einen Kleinbus der Polizei in Brand setzten und dafür sorgten, dass die Parade zum Trauermarsch wurde. Es ist nur der Wachsamkeit der Polizei zu verdanken, dass eine größere Katastrophe vereitelt wurde: Kurz vor der Parade wurden auf den Hinweis von Nachbarn hin, die seltsame Gerüche aus einer sonst leer stehenden Wohnung bemerkten, sechs Männer festgenommen, die - dem Augenschein nach einige hundert - Eier mit Säure gefüllt hatten. Auch Chemikalien unbekannter Zusammensetzung, Säureflaschen und Behälter mit entzündlichen Materialien wurden sichergestellt.
Allgemein sind unter den Gewalttätigen nicht nur Hooligans, sondern immer auch gesetzte ältere Menschen zu finden, und wenn sie nicht selbst tätlich werden, so heizen sie die Lynch- und Pogromstimmung mit ihrem Gebrüll an, bei denen diesmal, wie auch sonst, außer schwulenfeindlichen Parolen auch antisemitische Äußerungen und Beschimpfungen des Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány zu hören waren. Nicht selten sind sogar die Polizisten und die Sanitäter, die zum Schutz von Demonstranten bereitgestellt sind, denen offensichtlich feindlich gesonnen, die sie eigentlich verteidigen müssten. So wurde diesmal einigen Teilnehmern der Parade die medizinische Hilfeleistung verweigert, wobei sich die Sanitäter darauf beriefen, dass sie ausschließlich zur medizinischen Versorgung der Ordnungskräfte anwesend seien. Ihre Aussagen wurden von nahe stehenden Polizisten bekräftigt.
Wie man sich unter den Marschierenden hat fühlen können, beschrieb die "Literatin, Jüdin und feministische Aktivistin", Polnaire in einem Bloggerforum folgendermaßen: "Gestern habe ich selbst erleben können, wie es sich 1944 angefühlt haben muss, zwischen zwei Reihen von Passanten hindurchmarschieren zu müssen. Wenn ich mir alte Filmaufnahmen angeschaut habe, habe ich mich immer über die Gleichgültigkeit der Leute aufgeregt, die damals auf den Gehsteigen herumstanden und dem Marsch zusahen. Nun habe ich erfahren, wie es sich anfühlt, wenn die Menge nicht nur gleichgültig schweigt, sondern von sich aus auf beiden Seiten der Absperrung "Dreckige Schwuchteln!" brüllt. (Na gut, sie haben uns nicht bis ans Donauufer marschieren lassen). Aber es war wirklich erschreckend, dass man bis ganz zum Schluss beim Stadtwäldchen nicht aus dem Marsch ausscheren konnte, so gern manche das auch getan hätten. In Höhe der Benczúr Str. leitete man uns auf eine Seitenstrasse um, weil die Polizisten die Andrássy nicht sichern konnten, so brach für eine Weile der Kordon auf. Zwei meiner Angehörigen – ein junges Ehepaar – wollten sich dort aus der Parade ausklinken und auf eine Caféterasse setzen, einerseits weil sie noch zu tun hatten, und andererseits hatten sie schlichtweg Angst. Der Ort schien passend, um sich dort einen Kaffee zu bestellen und sich unter die "friedlichen Bürger" zu mischen. Es dauerte keine halbe Minute, und sie flohen wieder zurück zu uns, in die "sichere" Parade – auf der Caféterrasse sahen ihnen solche Mienen entgegen, dass sie es für die bessere Alternative hielten. (Ich habe schon von etlichen Holocaust-Überlebenden gehört /gelesen, warum sie damals freiwillig aus der "Freiheit" zu ihren Angehörigen ins Ghetto marschiert sind...)"
Ungarns Demokratie ist in Gefahr, und die Feinde der Demokratie, so scheint es, gewinnen langsam die Überhand.
József Orosz, der bewusstlos geschlagene Journalist des liberalen Klubrádió richtete deshalb eine Rede an die Öffentlichkeit, die auch als Appell aufgefasst werden könnte:
"Am Samstag gingen in Budapest Heterosexuelle und Homosexuelle, Männer und Frauen, Alte und Junge, Landbewohner und Budapester zusammen auf die Strasse – anderthalb Tausend Menschen. In London waren es eine halbe Million, in Köln wurde ein Straßenfest abgehalten. Weder aus der Inselmetropole noch vom deutschen Karneval berichten die Nachrichtenagenturen von gewaltsamen Ausschreitungen. Dass in London und Köln gefeiert werden konnte, ist neben der Polizei auch den Demokraten zu verdanken.
Bei uns wurde auf ganzer Länge der Andrássy Strasse ein dreifacher Kordon errichtet. Auf beiden Seiten des Boulevards konnten die Gaffer, die verehrten Hauptstädter Zeuge davon werden, wie anderthalb Tausend Menschen, eingeschlossen, im erstickenden Gestank von faulen Eiern, im Stein-, Raketen, Tomaten- und säuregefüllten Eierregen unter Lynchatmosphäre nur unter Polizeischutz fähig waren, ihre verfassungsgemäßen Rechte auszuüben.
Die Praxis des Verfassungsgerichtes in Fragen von Landfriedensbruch, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Ordnungswidrigkeiten, lebensfeindlichen Ausschreitungen, Hassreden und Volksverhetzung; die Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft, die Rechtssprechungspraxis der Gerichte, die Ermittlungspraxis der Polizei, die Double-speech der politischen Rechten, die Unfähigkeit der Regierung, die Einhaltung des Gesetzes zu erzwingen – all diese Faktoren zusammen, einander ergänzend und unterstützend, machen es möglich, dass die Radikalen in Ungarn schlichtweg Jeden – unsere Mitbürger, Freunde, Familienmitglieder, unsere Liebsten und Kinder, und auch Fremde und Unbekannte – terrorisieren, beleidigen, verprügeln und zusammenschlagen können. Die Verfassung garantiert uns die störungsfreie Ausübung des Rechtes auf freie Versammlung. Bei dem, was am Samstag geschehen ist, geht es um grundsätzliche Menschenrechte und den Kern der Demokratie. Wir alle sind in Gefahr! Die Republik, die Demokratie und das Recht lassen sich nicht durch Polizeikordons schützen. Der Sinn der Republik ist die Demokratie. Die Form der Demokratie ist die Republik. Das ist in Gefahr. Wir alle, Demokraten, sind in Gefahr. In unserem eigenen Land, hier in Ungarn."
Die gewaltbereite Stimmung in Ungarn erfährt zurzeit einen breiten gesellschaftlichen Konsens, wobei es das weit verbreitete völkische Denken im Land ist, das die Feindbilder generiert.
Dass das exklusive, völkische Denken auch in den akademischen Kreisen der Gesellschaft tief verankert ist, zeigt ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview, das vor Kurzem im öffentlich-rechtlichen Kossuth Rádió zu hören war.
"Es gibt viele Erscheinungen, die man als ekelhaft empfindet", sagt der Mann auf die Frage nach der Gay Pride Parade in Budapest am 5. Juli. "Ich bringe Ihnen ein hässliches Beispiel. Nehmen wir das Bettnässen. Oder, wenn jemand seinen Stuhl nicht halten kann".
"Soll das heißen, dass Sie jetzt Parallelen ziehen?", fragt die Reporterin vorsichtig.
"Ja", antwortet er, "ich ziehe sehr wohl Parallelen. Wenn ein solches Symptom vorkommt, wird es mit Empathie behandelt, und wenn es möglich ist, wird es geheilt. Aber die Bettnässer werden keinen Aufmarsch organisieren und das Recht für sich beanspruchen, weiter ins Bett machen zu dürfen! Gegen solche Erscheinungen hat sich die Menschheit im Laufe der Geschichte immer gewehrt. Sie bedeuten im Zusammenhang mit der Erhaltung der Menschheit eine Gefahr, und zwar eine ähnliche wie die Pädophilie. Wir müssen aufpassen, denn die zwei Dinge sind nicht ganz unterschiedlich. Die Pädophilie gefährdet die Gesellschaft deshalb, weil sie Minderjährige gefährdet. Die Homosexualität deshalb, weil sie Erwachsene gefährdet".
Wer diese Sätze sagte, war kein Geringerer, als Gábor Vida, Evolutionsbiologe und Genetikforscher, Professor an der renommierten ELTE Universität, ordentliches Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der European Society for Evolutionary Biology und Inhaber verschiedener Preise.
Es gab zwar eine Empörung, aber nicht bei denen, von denen man es zuerst erwartet hätte. Der Präsident der Akademie der Wissenschaften, József Pálinkás, bis zu seiner Ernennung in seiner neuen Eigenschaft Mitglied der nationalkonservativen Partei Fidesz-Bürgerliche Union, distanzierte sich nicht von seinem Freund und Kollegen. Professor Vida habe sich im Sinne des Rechtes auf freie Meinungsäußerung geäußert, sagte er.
Viele in Ungarn denken wie Professor Vida. Ihnen, das heißt, den völkisch gesinnten Meinungsbildnern, Wissenschaftlern, Politikern bieten die national-völkischen Medien eine geeignete Plattform, um ihre exklusive Haltung ungehemmt verbreiten können.
Die wichtigsten völkischen Parteien in Ungarn, die im Parlament vertreten sind, sind die Fidesz Bürgerliche Union (Fidesz-MPSZ), größte Partei des Landes, zur Zeit in der Opposition und voraussichtlicher Wahlsieger im Jahre 2010, sowie die Christlich Demokratische Volkspartei (KDNP), nach deren Selbstverständnis beide "christlich-partriotisch", deren Mitglieder öfters Antisemitisches äußern und mit außerparlamentarischen Rechtsradikalen zusammenarbeiten. Sie visionieren permanent das Chaos und den Untergang, weshalb der Ruf nach Ordnung und nach der "Erlösung der Gemeinschaft" mit Hilfe eines Führers immer größer wird.
Die beliebtesten völkischen Medien sind das HirTV (Nachrichten TV), das EchoTV und die zwei Tageszeitungen Magyar Hírlap (Ungarisches Nachrichtenblatt) und Magyar Nemzet (Ungarische Nation). Sie sind antidemokratisch, weil sie unausgewogen eindeutig als das Sprachrohr der völkischen Parteien tätig sind und auch die außerparlamentarische extreme Rechte legitimieren, womit sie selbst die Ausgrenzungstendenzen in der Gesellschaft nähren.
So war der Vorsitzende der Menschenrechtskommission im Ungarischen Parlament, Zoltán Balog (Fidesz-Bürgerliche Union) in einem Gespräch mit dem Moderator des HirTV, Philip Rákay im Zusammenhang mit der Gay Pride Parade vollkommen einer Meinung: "Menschenrechte haben nicht nur die Schwulen. Wir sollen diese Minderheiten schützen, aber bitte nicht zum Schaden der Mehrheitsgesellschaft".
Im Echo TV hat sich der Historiker, Vorstandsmitglied des "Haus des Terrors" und Betreiber der rechtsradikalen Internetportals www.barikad.hu, László Tóth Gy. ähnlich geäußert. Nach seiner Meinung war die Parade eine "einfache und billige Provokation" von Menschen, die eine "sexuelle Devianz" haben. In Ungarn stünden hinter dieser Parade "politische Interessen". Er benannte sodann auch gleich die Partei, die nach seiner Meinung hinter der Parade steht, nämlich die Liberalen. Da im völkisch-antisemitischen Diskurs die Liberalen schlicht als die "Judenpartei" gilt, stand für die Zuschauer sofort fest: Die Drahtzieher hinter solchen Ereignissen seien die Juden.
Eigentümer von EchoTV und Magyar Hirlap ist seit etwa einem Jahr der Forintmilliardär, Fabrikant, Medienmagnat und Ehrenvorsitzende des Arbeitgeberverbandes, Gábor Széles, der für eine künftige Regierung unter Fidesz-Bürgerliche Union als Wirtschaftsminister gehandelt wird, und der es zur Zeit mit den "Zigeunern" besonders gut meint. Man müsste ihnen nur von Zähneputzen bis zum Klo alles richtig beibringen und sie in ihrem Denken ändern, damit sie arbeiten, meint er.
Diese Beispiele zeigen deutlich, dass Gewaltausbrüche anlässlich der Gay Pride Parade nur die logische Konsequenz der ständigen Mobilisierung von seiten der völkischen Parteien und der völkischen Medien sind und nur die Spitze des Eisberges bedeuten. Diese Medien haben neben den rechtsradikalen Internetportalen die wichtigste mobilisierende Funktion im völkischen Kampf. Die völkischen Parteien und Medien nehmen die Hilfe der außerparlamentarischen Rechtsradikalen gerne in Anspruch und stellen für sie eine Plattform bereit, in der sie sich frei entfalten können. Diese sprechen dann ganz klar aus, was Sache ist, gehen zu Demonstrationen und werden stellvertretend für sie gewalttätig.
Selbst wenn sich die bereits erwähnten Parteien und Medien moderater ausdrücken, heißt das also noch lange nicht, dass sie demokratischer wären. Der Parteiführer von Fidesz-Bürgerlicher Union (Fidesz-MPSZ), Viktor Orbán, akzeptiere die parlamentarische Demokratie bereits jetzt nicht mehr. Sollte er 2010 die Wahlen gewinnen, was momentan realistisch erscheine, dann werde hier zwar eine verfassungskonforme, jedoch eine autokratische Machtübernahme ungesehenen Ausmaßes zu beobachten sein, sagte der Politologe József Debreczeni dem Klubrádió.
Dieser Entwicklung scheint auch das Verfassungsgericht zuvorkommen zu wollen, das auf Empfehlung des Staatspräsidenten László Sólyom vor kurzem den Gesetzentwurf zum Verbot der "Hassrede" kippte.
Die Meinungsfreiheit würde dadurch eingeschränkt, und die Demokratie in Ungarn sei stark genug, um sich zu verteidigen, hieß es in der Begründung. In der wichtigsten Frage, die zur Zeit die ungarische Öffentlichkeit beschäftigt, nämlich, wo eigentlich Hassrede anfinge und was noch vom Gesetz zur freien Meinungsäußerung abgedeckt werde, entschied sich das Verfassungsgericht dafür, das man weiter Juden-, Zigeuner- und Schwulenhetze betreiben könne.
Noch gibt es einige demokratisch denkende Zivilorganisationen und Verfassungsrechtler sowie den Ministerpräsidenten Gyurcsány, die damit nicht einverstanden sind. Die Verfassungsrechtler wollen in die Berufung gehen, zivile Organisationen haben das Verfassungsgericht aufgerufen, seine destruktive Haltung aufzugeben und statt dessen zu kooperieren, und der Ministerpräsident rief eine Charta für die Demokratie ins Leben.
"Die immer größere Massen ergreifenden antisemitischen und rassistischen Übergriffe stellen die Geduld der Gesellschaft immer mehr auf die Probe und führen logischerweise zu Konflikten", steht in einer Petition der Ungarischen Antifaschistischen Liga. "Die Gerichtsurteile scheinen der Reihe nach zugunsten der Rechten auszufallen und hinterlassen den Eindruck, als ob die Gerichte mit faschistoiden Gedanken sympathisieren würden. Das Urteil des Verfassungsgerichtes ist, als ob man Öl aufs Feuer gießen würde. Es nützt eindeutig den Kräften, die eine neonazistisch orientiert sind. Die Ungarische Antifaschistische Liga fordert deshalb die Regierung auf, der Stärkung der Rechten entgegenzuarbeiten und einen neuen Gesetzesentwurf gegen die Hassrede dem Parlament vorzulegen".
Inzwischen ahnt man in Ungarn, dass im Kampf um die Demokratie vom Westen wenig Beistand zu erwarten ist. "Es ist eine Illusion", sagte der bereits erwähnte Politologe József Debreczeni, "eine bestimmte Garantie für die Demokratie in der internationalen Staatengemenischaft zu erhoffen, in der wir uns befinden. Angefangen von der Olympiade in Peking bis hin zur Zusammenarbeit mit Putin sehen wir unzählige Beispiele dafür, dass der Westen in erster Linie nicht an der politischen Stabilität interessiert ist, sondern an der Wahrung seiner eigenen Interessen. Dafür ist er auch bereit, solche Regime als Partner zu akzeptieren, die bei näherem Hinschauen ganz offensichtlich nicht demokratisch sind".
Quelle: http://www.hagalil.com/europa/ungarn/ungarn.htm
Sonntag, 27. April 2008
ungarn hat mich niedergerungen
deshalb wir wohl mein blog hier nicht mehr viel ausführlicher werden. ich habe das mich ärgern aufgegeben (na, stimmt nicht), denn an diesem land ist hopfen und malz verloren.
Dienstag, 19. Februar 2008
Freitag, 25. Januar 2008
das haus verlassen...
was man nicht so alles erlebt, wenn man einmal das haus verläßt und mit leicht verschwollenen, aber weit geöffneten augen durch die stadt schreitet: auf dem fußweg nach hause vom keleti bahnhof habe ich von der rákoczi út aus gesehen, daß aus einem haus starker rauch quillt. nachdem ich schon lange nicht mehr gaffer gewesen bin, bin ich mit raschen schritten zum haus - feuerwehr, polizei alles da. ein haufen schaulustiger, inzwischen schlugen schon flammen aus dem 7. stock des hauses und langsam glühte die wohnung, wie holzscheite im ofen glühen, hellrot. einen stock höher stand ein altes mütterlein auf dem balkon. übers geländer gebeugt, damit sie luft bekommt, denn alles rund um sie ist voller schwarzen rauchs. die feuerwehr versuchte mit einer hebebühne hochzufahren, was nicht gleich gelang, weil - wie ihr üblich - sich ein kabeldschungel über die straße spannte, und dann reichte die hebebühne nicht ganz zum balkon. die zwei feuerwehrleute standen neben ihr und beruhigten sie. rund um mich und hinter mir besserwisser, die die feuerwehrleute mit den liebsten vorstellbaren namen benennen, warum sie denn nicht endlich zu löschen begönnen. irgendwelche jugendlichen idioten schreien zur alten hinauf: spring! ich hab mirs nicht verbeißen können und mußte die überklugscheißer belehren, woraufhin sie das maul hielten. in ungarn kann man auf die polizei schimpfen, auf die ärzte, die parkwächter, vielleicht sogar auf das heer. aber auf die feuerwehrleute nicht. das verbitte sogar ich mir.
Abonnieren
Posts (Atom)