Dienstag, 16. Juni 2009

Unheil in Ungarn

Hetze gegen "Zigeuner", Juden, Intellektuelle: Rechtsextreme setzen in Ungarn den Staat unter Druck und tragen den Nationalismus in die Nachbarländer.

Von Michael Frank

Mutige Menschen, die vor zwanzig Jahren mit ihrer Zivilcourage Mitteleuropas Sowjet-Diktaturen ein Ende bereitet haben, sind heute zutiefst verzagt. Gerade wer in Ungarn den Umbau des Zwangsstaates in eine demokratische Gesellschaft mit angetrieben hat, fürchtet sich aus gutem Grund.

Heute wie damals kann man sich kaum mehr auf ungarischem Boden treffen und eindeutig zur politischen Entwicklung äußern. "Wir werden nicht vor den Angriffen der Rechtsextremisten geschützt, sondern die Polizei schützt diese Leute", sagen bekenntnisstarke Demokraten, die besser nicht genannt werden sollten. Kritische Intellektuelle sind auf offener Straße angegriffen und niedergeschlagen, Wohnungen verwüstet worden. Eine Mordserie hat Roma getroffen, gezielte Bluttaten mit Brandstiftung und Gewehrfeuer.

Der Generalstaatsanwalt in Budapest hat soeben ein Machtwort sprechen und der Polizeigewerkschaft Tettrekesz (Tatbereit), die fast ein Fünftel der magyarischen Ordnungshüter vertritt, die vertragliche Zusammenarbeit mit der Neonazipartei Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) verbieten müssen.

Jobbik hetzt gegen "Zigeuner", Juden, Intellektuelle. Jobbik hat die "Ungarische Garde" gegründet, die uniformiert und mit Faschistenfahne aufmarschiert, Dörfer terrorisiert, bei martialischen Vereidigungen gegen "Zigeunerkriminalität" und für ein "reines Ungarntum" agitiert. Jobbik hat bei der Europawahl aus dem Stand 14 Prozent errungen.

Nährboden dieser Entwicklung ist der Hass, mit dem die traditionellen Nachwendeparteien - die nationalkonservative Fidesz und die Sozialisten - die politische Atmosphäre Ungarns vergiftet haben. Unwillig und unfähig sind sie, gemeinsam die Krise zu bekämpfen.

Und Fidesz-Führers Viktor Orban betreibt ein gefährliches Spiel, wenn er das Parlament auszuhebeln versucht und mit Massenaufläufen die Meinungs- und Willensbildung der Straße anheimstellt. Das sind bedenkliche Zersetzungseffekte im demokratischen Stammhirn Ungarns.

Selbst wenn Fidesz die nächste Wahl gewinnen wird, lassen sich die Probleme nicht heilen. Orbans Schwur, niemals mit Jobbik zu koalieren, klingt spätestens seit dem Erfolg der Rechtsextremen bei den Europawahlen hohl: Seit Jahren vertritt er ähnliche Thesen, ohne gewalttätige und offen rassistische Appelle eindeutig zu verurteilen.

Die Aggression nach außen

Dem Druck im Inneren folgt die Aggression nach außen: Nicht nur im Lager der chauvinistischen Rechten spielt man noch immer mit der Traumatisierung Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg, als durch die Grenzziehung große magyarische Volksgruppen vom Mutterland abgeschnitten wurden.

Nun kursieren wieder die Thesen von der angeblichen Unterdrückung auf fremdem Boden und Bedrohungsszenarien für die magyarische Identität. Das sorgt bei den Nachbarn für Aufruhr. Wenn Oppositionsführer Orban von der Vertretung aller Magyaren im ganzen Karpatenbecken - also auch in den Nachbarstaaten - schwadroniert, dann weckt er den Nationalismus in eben diesen Länder.

Sollte Fidesz, erst mal an der Macht, erneut versuchen, allen Magyaren in den Nachbarstaaten die ungarische Staatsbürgerschaft per Gesetz zuzuweisen, bräche die Krise offen aus. Die Nachbarn interpretieren dies als offene Konfrontation, als Eingriff in die immer delikate Minderheiten-Thematik. Rund um Ungarn geht es um Machtansprüche über drei Millionen Menschen.

Damit würde alles gefährdet, was das Ungarn der Nachwende-Zeit an vorbildlichen Minderheitengesetzen und an Versöhnungsgesten zu Stande gebracht hat. Begreift sich Europa wirklich als Friedensprojekt, muss es Mittel der Mäßigung gegen die unheilvolle Entwicklung in einem ihrer Schlüsselstaaten finden. Die EU muss eingreifen. Auf wen sonst sollte setzen, wer totalitäre Züge in Gesellschaft und Nation aufsteigen sieht.

(SZ vom 16.06.2009/segi)
http://www.sueddeutsche.de/politik/683/472210/text/

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