Freitag, 22. Mai 2009

ein brief an meine studenten (2007)

meine damen und herren!
ich war durchaus verwundert, als ich heute meine bewertung bekommen habe, und diese, besonders den stil betreffend, eine sehr schlechte war. ihr seid scheinbar in mehrfacher hinsicht ein nicht gewöhnlicher jahrgang, die tatsache, daß ihr sehr viele seid wird dadurch ergänzt, daß ihr der erste jahrgang seid, der probleme mit meinem stil hat. ihr werdet euch - so nehm ich an - nicht unbedingt daran gestoßen haben, daß einige male das wort "scheiße" erklungen ist, sondern an einem ganz konkreten fall, von dem ich dann über drei vermittlungspersonen gehört habe: es ging um den austrofaschismus, während dessen anfängen dollfuß das land mit regierungsverordnungen regierte - und ich habe als illustration darauf hingewiesen, daß sowas so absurd nicht ist und auch heute noch vorkommen kann, ja zwischen 1998 und 2002 auch hier praktiziert wurde. was ich danach gehört habe war: "rendesen beszólt a fideszeseknek" ich kann mich nicht erinnern, daß ich derlei getan hätte. ich habe ein beispiel aus der jüngsten ungarischen geschichte genommen, um österreichische geschichte zu illustrieren. bei uns gibt es den spruch "ein schelm, der böses dabei denkt" (rossz, aki rosszra gondol), der ist wohl auch in diesem falle sehr zutreffend. ich wollte mit diesem vergleich keine politische seite züchtigen oder eine andere hervorheben, aber ich will durchaus nicht leugnen, daß das ungarische demokratieverständnis - das aus dieser regierungsverordnungsgeschichte sehr gut zu erkennen ist - nicht das meine ist. denn menschen vorzuschreiben, was sie zu denken haben, seien die vorschreiber nun rot, orange, braun, schwarz, blau oder grün, das hat nichts mit demokratie zu tun. und sich wie die kleinen kaiser aufzuführen, wie es hier geschieht, seitdem ungarn eine eigene regierung hat (1867), hat auch nichts mit demokratie zu tun, und ich verstehe nicht, warum man nicht darüber reden darf. weiters ist mir einfach unverständlich, wie jemand damit einverstanden sein kann, wenn halbgebildete rechtsanwälte, die in ihrem ganzen leben außer zetteln hin- und herzuschieben noch nichts gearbeitet haben, die ungarische bevölkerung in ungarn und landesverräter einteilen? (stellt sich die frage, wo denn nun die zigeuner hingehören, die erhalten wohl nicht einmal den landesverräterstatus...).

warum hat keiner in der stunde reagiert, wenn mein "stil" den meisten so schlecht aufgestoßen ist, warum wurden mir im nachhinein 1er in die bewertung geschrieben? besprechen kann man alles - das ist aber hier das nächste problem - man ist hier nicht gewillt zu sprechen und nicht gewillt nachzugeben und nicht gewillt, vielleicht seine (mitunter vorgekaute, vorgefertigte) meinung zu überdenken. alle meinen, sie wären im besitz der absoluten wahrheit.
ich bin es nicht. ich täusche mich oft, vergesse einiges und habe auch schon oft meine meinung geändert.

wer in der ersten stunde aufgepaßt hat, hätte schon wissen können, daß ich nicht der national-christlich-konservativen ecke zuzurechnen bin, habe ich doch eine sendung im tilos radio, wo sich ja nur judenpack, schwule, landesverräter, weiteres kann hier nach belieben angefügt werden - herumtummeln. ich stehe zu meiner meinung, man kann gerne mit mir darüber diskutieren - und wer sich jetzt wiederum bemüßigt fühlt, mich in die feindesecke zu stellen, dem rate ich, nicht zu vergessen, daß ich 1) ausländer bin - man mich also nicht ernst nehmen muß; 2) ich keine politische seite irgendwie kritisiert oder bevorzugt habe, ich habe mich nur auf allen bekannte tatsachen gestützt.

freundliche grüße
clemens
geschrieben am 24. 1. 2007, nachdem ich nach einem semester landeskunde in der übersetzerausbeldung in der lehrerbewertung sogar einige "nicht genügend" vorfand.

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