Dienstag, 9. März 2010

Wolfgang Schüssel und der Strick

[Zu einer Episode aus dem ungarischen Wahlkampf 2002 habe ich am 5. April 2002 diesen Artikel verfaßt. Das war noch vor dem ersten Wahldurchgang, bei dem Fidesz unterlag und daraufhin die Menschen aufhetzte, sodaß es Leute gibt, mit denen ich noch heute wegen damals zerstritten bin.]

Am 7. April wählt Ungarn ein neues Parlament. Die regierenden Jungdemokraten, die mit eiserner Hand in den letzten vier Jahren ihre mitunter eigenartigen Vorstellungen von Demokratie verwirklichten, bangen um ihre samtenen Sessel. Nachdem ihre Koalitionspartner, die Kleinlandwirte durch diverse Skandale es sich mit den Wählern verscherzten und mit Sicherheit nicht mehr die 5%-Hürde überspringen werden, dementiert man die eventuelle Zusammenarbeit mit der rechtsextremen MIÉP (Partei der Wahrheit und des Lebens) nicht mehr. Die letzten Tage des Wahlkampfes sind durch Schlammschlachten gekennzeichnet, und am Donnerstag hatte auch Wolfgang Schüssel seinen großen Auftritt in der ungarischen Politik.

Von den österreichischen Medien wurde Wolfgang Schüssels Kurzbesuch in Ungarn nicht wahrgenommen. Im grenznahen Köszeg unterstützte er den derzeitigen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán auf einer Wahlveranstaltung als Gastredner.

“Kanzler Schüssel ist ein mutiger Mensch, und wir brauchen den Mut, der für ihn charakteristisch ist“ – mit diesen Worten lobte Orbán seinen österreichischen Amtskollegen. Er sei ein Mensch, der die österreichischen nationalen Interessen in den Vordergrund gerückt habe und trotze dem westlichen Wind, der gegen ihn und seine Regierung blase, meinte Orbán.

Schüssel gab auf der Veranstaltung anschließend Sätze von sich, die ihm wohl ungarische Wahlkampfstrategen in den Mund gelegt haben. “Ungarn ist ein tief europäisches Land“, meinte er, “ohne das Europa nur ein Torso ist“. Weiters rühmte er die öffentliche Sicherheit in Ungarn und die guten Wirtschaftszahlen.

In den letzten vier Jahren wurde weder weniger eingebrochen als zuvor, noch weniger Autos gestohlen oder Menschen umgebracht, wie aus Statistiken ersichtlich ist, die Drogenkriminalität ist dank des strengsten Drogengesetzes Europas um mehrere 100% gestiegen; die positiven Wirtschaftszahlen wären ohne das Sparpaket der Sozialisten im Jahre 1996 nicht möglich gewesen.

Schüssel gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß die “Rechtsverschiebung“, die in ganz Westeuropa vor sich geht, auch in Ungarn einsetzen möge, und nicht die “guten Menschen der Sozialistischen Internationale“ über unser aller Zukunft entscheiden dürften. Zum Abschluß meinte Schüssel, daß Ungarn diese Regierung verdiene, und er am kommenden Sonntag für Orbán die Daumen halten würde.

Diese Regierung, Orbán und seine Mannen, haben es in den letzten vier Jahren geschafft, das Land in zwei feindliche Lager zu spalten. Die Opposition wird als mit allen Mitteln zu bekämpfender Feind betrachtet, was man auch den Wählern einzureden versucht, und was scheinbar auch gelingt. Letzte Woche wurde z.B. ein Plakatierer der oppositionellen Freien Demokraten bei seiner Arbeit niedergeschlagen. Viktor Orbán bezeichnete vor gut einem Monat im Parlament die Opposition als Landesverräter; hunderte Millionen öffentlichen Geldes sind während der letzten vier Jahre auf ungeklärte Weise verschwunden, Untersuchungsausschüsse weiß die Regierung zu verhindern. Notwendige, von der EU unterstützte Wirtschaftsförderung wird als Idee der Regierung ausgegeben, und die Regierung läßt das Land von den Olympischen Spielen 2012 träumen, während das Gesundheitswesen darniederliegt, die Lehrer, Ärzte und Pensionisten mit lächerlichen Summen ihr Auskommen finden müssen, und die Arbeitslosenrate in einigen Komitaten Ostungarns mehr als 20% beträgt.

Die regierenden Jungdemokraten appellierten während des ganzen Wahlkampfes ans Herz und nicht an den Verstand der Wähler und László Kövér, ehemaliger Geheimdienstminister und heute Mädchen-für-alles der Regierung, meinte auf einer Wahlveranstaltung in Steinamanger und in Békéscsaba, daß alle Andersdenkenden und Zweifler doch die Arbeit der Regierung erleichtern, und sich einen Strick nehmen sollten. Die Jungdemokraten können aller Wahrscheinlichkeit nach, nur mit der rechtsextremen MIÉP, die eine Revision der Grenzen Ungarns fordert, weiter regieren. Und sie haben sich auch schon ein neues Gebäude fürs Ministerpräsidentenamt ausgewählt: Den Sándor-Palast in der Budaer Burg, wo Reichsverweser (Diktator) Horthy gut 20 Jahre lang seine Amtsgeschäfte führte.

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