Kriminalisierung von Hebammen in Ungarn - Agnes Gereb seit dem 5. Oktober 2010 in Haft
In Handschellen und Fußfesseln wird sie in den Gerichtssaal geführt, ihre Familie durfte sie bisher nur einmal empfangen. Ihre einmonatige Untersuchungshaft wurde am 8. November um weitere sechzig Tage verlängert.
Man könnte meinen, Ágnes Geréb hätte einen Anschlag auf die Regierung vorbereitet. Angeklagt ist die 57-jährige jedoch aus ganz anderen Gründen.
Am 5. Oktober untersuchte die Gynäkologin und Hebamme eine hochschwangere Frau in dem von ihr gegründeten "Napvilág Geburtshaus" in Budapest. Weil die Wehen der Patientin vorzeitig eintraten, rief Geréb einen Krankenwagen. Denn den komplizierten Fall wollte sie nicht selbst betreuen. Mit den Sanitätern erschien die Polizei. Und anders als Mutter und Kind, die ins Krankenhaus gebracht wurden, landete die Ärztin im Gefängnis. Vorgeworfen wird ihr Fahrlässigkeit in der Berufsausübung und Kurpfuscherei. Damit erwarten sie bis zu fünf Jahren Haft.
In vier Fällen ist Géreb angeklagt. Neben dem aktuellen Vorfall sind das drei Neugeborene, die während oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Mit drei von 3.500 Babys, die Géreb auf die Welt geholt hat, liegt diese Sterberate unter der in ungarischen Krankenhäusern. Zu einer Anklage reichte das, zusammen mit dem aktuellen Fall, trotzdem aus. Géreb stieß schon häufiger mit dem Gesetz zusammen: So wurde sie für ein halbes Jahr aus einem Krankenhaus verwiesen, weil sie Väter im Kreißsaal zugelassen hatte – ein Vergehen, das heute auch in Ungarn zur Normalität geworden ist. Wegen wiederholter unerlaubter Geburtshilfe war sie von 2007 bis 2010 mit einem Berufsverbot belegt.
An dem Fall Géreb entzünden sich in Ungarn die Gemüter. Ambulante Geburtshilfe ist zwar theoretisch legal, wird praktisch aber mit allen Mitteln behindert. VertreterInnen der Ärzteverbände und AnhängerInnen alternativer Geburten liefern sich nun wilde Gefechte zu den Vor- und Nachteilen beider Methoden. Kern des Streits ist jedoch etwas anderes: "Es geht hier nicht um den Kampf zwischen Befürwortern von Klinik- und Hausgeburten", sagt Donal Kerry, ein Sprecher der Vereinigung "Eltern für die freie Geburt Ungarn". "Es geht um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen." Dass Ungarn eine Frau wie eine Terroristin behandeln könne, die sich unermüdlich für Frauenrechte einsetze, findet der Wahlungar "enttäuschend und schockierend". Seine Gruppe setzt sich für die Freilassung der Hebamme ein.
Die Gesundheitsbehörde ÁNTSZ (Ungarische Staatsdienststelle für Volksgesundheit/ Állami Népegészségügyi és Tisztiorvosi Szolgálat) erteilt freien Hebammen keine Lizenz, die zur Betreuung von Hausgeburten notwendig wäre. Denn der ungarische GynäkologInnenverband (Szülészeti és Nőgyógyászati Szakmai Kollégium, SZNSZK), der die Gesundheitsbehörde berät, stuft Hausgeburten als gefährlich ein – anders als die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Etwa 15 freie Hebammen betreuen dennoch Hausgeburten und machen sich damit strafbar.
Dass hinter der Einschätzung der ÄrztInnen eigene Interessen stehen, davon sind die "Eltern für die freie Geburt Ungarn" überzeugt. KlinikärztInnen hätten in Ungarn ein besonderes Interesse daran, das Monopol über die Geburtshilfe zu halten. Denn nur so könnten sie ihre im europäischen Vergleich extrem niedrigen Gehälter aufbessern. Ein Arzt, der regulär etwa 300 Euro im Monat verdient, erhält für seine Betreuung der Geburt "Trinkgelder" von den Eltern, die einem durchschnittlichen Monatsgehalt entsprechen können. Von 15.000 (etwa 60 Euro) bis zu 70.000 Forint (255 Euro) könne so ein "Geschenk" kosten, sagt Zsófi Váradi, die ihre beiden Kinder in ungarischen Krankenhäusern geboren hat. Die unauffällig übergebenen Umschläge gehörten zum Krankenhausalltag, erklärt sie.
Einige hundert Eltern entscheiden sich trotz der Nichtanerkennung jedes Jahr für eine Hausgeburt. Ihre Wahl begründen sie nicht nur mit den hohen Kosten der Krankenhäuser, sondern vor allem mit ihrer Unzufriedenheit mit der Behandlung. So werden in ungarischen Kliniken über 30 Prozent aller Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Laut der WHO gibt es für eine Rate von über 12 Prozent keine medizinische Begründung. Das Vertrauen in die moderne Medizin ist hoch in den Krankenhäusern, doch manche Eltern wünschen sich eine "natürliche" Geburt statt der Trennung von Mutter und Kind direkt nach der Geburt, standardisierter Dammschnitte und Schmerzmittelvergabe. Diese Instrumente werden fast immer angewendet, oft müssen sie extra bezahlt werden. "Wir sind für die Ärzte da statt sie für uns", beschwert sich Zsófi Váradi. Ihre Macht sei übergroß, und um diese nicht zu verlieren, stellten sie sich gegen Hausgeburten.
Doch auch von einigen Ärzten kommt Unterstützung: Die Organisation "Ärzte für freie und sichere Geburten" hält die Vorwürfe gegen Géreb für vorgeschoben: "Unserer Meinung nach soll die Untersuchungshaft diejenigen einschüchtern, die unter ungestörten Bedingungen gebären wollen und den geistigen Widerstand von Dr. Ágnes Géreb zerstören", heißt es in einer Pressemitteilung. Solche Beweggründe wiesen auf ein merkwürdiges Demokratieverständnis hin, kritisieren die Ärzte.
Die Nichtregierungsorganisation TASZ (Ungarische Vereinigung für Bürgerrechte) hat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und beim Ungarischen Verfassungsgericht Beschwerde gegen die Verhaftung eingelegt. "Nicht nur Dr. Ágnes Geréb ist inhaftiert, sondern mit ihr auch die Menschenrechte – das Recht frei zu entscheiden, wo und mit wessen Hilfe die Mütter entbinden möchten", heißt es in einer Pressemitteilung des Vereins Geburtshaus (Születésház Egyesület). Neben der Freilassung von Ágnes Géreb fordern ihre UnterstützerInnen eine gesetzliche Regelung von Hausgeburten unter Einbezug von Hebammen und internationalen ExpertInnen. Die Strafverfolgung von Geburtshelferinnen – neben Géreb sind derzeit vier weitere angeklagt – soll bis zur Einführung dieser Regeln eingestellt werden. In Deutschland erfährt Géreb bislang keine offizielle Unterstützung. "Ágnes Géreb ist keine Hebamme sondern eine Ärztin, die ihre Zulassung in Ungarn bereits vor längerem verlor und seitdem illegal Hausgeburtshilfe anbietet.", schreibt der Deutsche Hebammenverband an seine Mitglieder. Unterstützen will er Géreb deshalb nicht.
[Ja, aber ihr ist die Zulassung entzogen worden, weil sie Hausgeburten durchführte. Welch perverse Welt. Kein gutmütiges Schilda. Ein menschenverachtendes.]
Claire Horst
Quelle: http://www.aviva-berlin.de/aviva/Found.php?id=1429785
Freitag, 26. November 2010
Freitag, 19. November 2010
Erotische Kochlöffel und die Kohäsion der Alten
Schon das letzte mal, als Fidesz an der Macht war - von 1998 bis 2002 - gelang den Mannen, die gerne Fußballspielen und Andersdenkende gerne am Strick baumeln sehen würden (besonders der heutige Parlamentspräsident Kövér), neben dem Széchenyi-Plan (Werbespruch: „Wagen wir, groß zu sein!”), eine geniale Sache im Zusammenhang mit „Zivilen”, d.h. Nichtregierungsorganisationen. Sie wurden in den Radio- und Fernsehrat (der ung. Zensurbehörde) gerufen und durften fleißig mitbestimmen. So saßen alle möglichen eigenartigen Vereine in diesem Rat, der streng und der „bürgerlichen Moral” entsprechend, mit den Fernseh- und Radiosendern umgeht. Die Eingaben, die behandelt werden, beruhen auf Anzeigen von Privaten - das alte Spitzelsystem funktioniert nach wie vor großartig. Eine Bekannte arbeitete dereinst beim Paprika TV, einen Privatsender, der 18 Std. am Tag nur verschiedene Kochsendungen und Dokumentationen über das Essen in verschiedenen Ländern ausstrahlt: Und allen Ernstes erhielten sie mehrere Male Anzeigen. Einmal, weil eine Köchin den Kochlöffel "erotisch abgelutscht” hätte (die Fälle sind auf der Homepage des Radio- und Fernsehrates – ORTT – dokumentiert, ich habe diese Anzeige mit eigenen Augen gelesen); nun also: in diesen Rat hat man auch NGOs berufen, und fortan haben Bogenschützen und BMX-Fahrer, wenn ich mich recht erinnere, waren auch die Philatelisten einmal drinnen, Wächter über die TV-Moral Ungarns gespielt. Wenn das nicht Republik Schilda in seiner pursten Form ist.
2010 wegen überbrandendem Desinteresse der Wähler wieder an der Macht und wegen der Eigenheiten des ungarischen Wahlsystems, obwohl mit nur 53% der Stimmen gewählt, trotzdem im Besitz einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, hat sich Fidesz nur die völlige Veränderung, die Revolution an die Fahnen geheftet - was wohl bedeuten soll, daß sie es selbst auch von 1998-2002 scheiße gemacht haben; eine Medienpolizei hat man schon beschlossen (sie wird auch das Internet kontrollieren), das Staatsbürgergesetz ist großzügiger geworden, das Wahlgesetz wurde dahingehend verändert, dass kleinen Parteien schon gar nicht zur Wahl antreten und großwerden können – jetzt hat man sich in den Kopf gesetzt, die Verfassung neu zu schreiben. Dies geschieht im „System der Nationalen Zusammenarbeit”, d.h. gemeinsam mit den Briefmarkensammlern.
Spott beiseite, denn der ist ab hier nicht mehr notwendig, schauen wir uns an, was die diversen Kirchen und Organisationen alles in der Verfassung sehen wollen:
Ehe, Familie
Die evangelische Kirche will die „monogame Ehe” und eine Erklärung zum Schutz der Familie in der Verfassung wissen; sie hält auch dezidiert fest, dass sie weder die polygame Ehe noch die Ehe Gleichgeschlechtlicher akzeptiert.
Für die ungarische katholische Kirche muss die Institution der Ehe in der Verfassung festgehalten und dadurch gestärkt werden, da sich andere Arten von Partnerschaften extrem ausbreiten. Das Grundgesetz hat auch die Klausel zu enthalten, dass Familien, besonders welche mit vielen Kindern, Anspruch auf Schutz und Obsorge haben.
Die KDNP (Christdemokratische Volkspartei – die sich dafür stark macht, dass auch im ungarischen (staatlichen und privaten) Fernsehen die heilige Institution der Ehe nicht schlecht gemacht werden darf) bat den Nationalen Verband der Großfamilien (NOE) um Stellungnahme: Der Verband besteht darauf, dass neben dem Schutz der Ehe und Familie in der Verfassung auch deklariert wird: Die Ehe ist eine dauerhafte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau, und ihr Zweck ist die Geburt und Erziehung von Kindern.
Weiters soll festgehalten werden, dass der Staat die Familien mit mehr Kindern von den großen finanziellen Lasten befreit. Und auch ein Recht auf Wohnung sollte als Grundrecht bedacht werden.
Wahlrecht für Kinder
NOE hat einen weitern, doch eher erstaunlichen Vorschlag: Es sollte in der neuen Verfassung ein allgemeines Wahlrecht unabhängig vom Alter verankert werden. Das Stimmrecht der Kinder würde bis zur Volljährigkeit von den gesetzlichen Vertretern ausgeübt.
Sonntag
Die Katholiken wollen den Sonntag als arbeitsfreien Tag in der Verfassung verankert wissen; denn laut ihnen hängt der Sonntag mit dem Schutz der Familien und dem Recht der freien Religionsausübung zusammen.
Die „heilige“ Stephanskrone
Mehrere Organisationen sind überzeugt, dass die „Heilige Krone“ in die Verfassung aufgenommen werden müsse: Die ungarische evangelische Kirche würde die Präambel der Verfassung folgendermaßen beginnen: "Mit dem Dank des Volkes für das tausendjährige Ungarn, das von der uralten Krone der ungarischen Könige symbolisiert wird..."
Von der Partei Jobbik wurde der Weltbund der Ungarn hinzugezogen, dieser sieht die Chance zur Wiederherstellung der historischen ungarischen Verfassung, in deren Mittelpunkt die „Heilige Krone“ stand.
Der Batthyány Kreis der Professoren (eine Zusammenballung von rechten Akademikern) meint, dass die Präambel des neuen Grundgesetzes auf die „historische Kontinuität von Ungarns Verfassungsmäßigkeit, die nationale Unabhängigkeit und die lange Tradition der Achtung der Freiheiten des Individuums“ verweisen müsse, und auch auf die „Heilige Krone als Symbol der nationalen Einheit“.
Laut des Nationalen Bürgerlichen Rentnervereins, der von Fidesz um eine Stellungnahme gebeten wurde, muss die neue Verfassung die „Wiederbelebung der Rechtsnachfolge der Freien Verfassung Ungarns, die auf den Idealen der Heiligen Krone aufbaut“, enthalten [was immer das bedeuten mag]. Dementsprechend würde die neue Verfassung die „Freiheit des Staates“ proklamieren und die „Freiheit der Mitglieder der Heiligen Krone“. Ein Mitglied der Heiligen Krone ist ein Mitglied der staatsbildenden ungarischen Nation, egal wo es lebt auf der Welt [oder im Universum], sowie die Mitglieder der staatsbildenden Nationen, wenn sie auf dem Gebiet des Staates der „Heiligen Krone“ leben. In der Stellungnahme wird gesondert darauf hingewiesen, dass jene, die nicht Mitglieder der Heiligen Krone sind, im Staat der Heiligen Krone nur Gäste sind. [In Ungarn gibt es eine Pseudowissenschaft, die sich Wissenschaft der Heiligen Krone nennt. Sie zeitigt Auswüchse wie: Die Krone ist eine Antenne, mit der jener, der sie trägt, kosmische Energie und Weisheit empfängt usf. Für mich ist diese Gastsache, die gesondert erwähnt wird, ganz klar ein Verweis auf die Juden und die Zigeuner, die haben demnach im Karpatenbecken nix verloren.]
Auch der Staatliche Rechnungshof hat sich bemüßigt gefühlt, Vorschläge für die Verfassung einzubringen: „In der neuen Verfassung Ungarns ist es notwendig, auf die Heilige Krone zu verweisen, auf den christlichen Einfluss bei der Herausbildung einer nationalen moralischen Haltung sowie auf die Idee der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“
Kirchen
Die verschiedenen Kirchen wollen alle auf irgendeine Art Gott in der Verfassung sehen, allein die Juden treten dafür ein, dass festgehalten werden solle, dass es "historische Kirchen" UND andere Glaubensgruppen gibt. Die christlichen Kirchen wollen eine Ausschließlichkeit der „historischen Kirchen“ im neuen Grundgesetz verankert wissen und reden von „Gewissen und Moral“, die durch die Verfassung gestärkt werden sollen.
Staatspräsident
Der Batthyány Kreis der Professoren schlägt vor, den Staatspräsidenten mit einem Vetorecht auszustatten, das viel weit reichender sein sollte als bisher. Er müsste ein Gesetz, das er für verfassungswidrig hält, nicht unterschreiben, auch nicht nach einem Beharrungsbeschluss des Parlaments. [Der Staatspräsident ist ja kein Problem mehr, hat man sich doch den hündisch dienenden Pál Schmitt erwählt, der inzwischen nicht einmal mehr wartet, daß man ihm die Gesetze in seinen Amtssitz zustellt, sondern jede Woche mal zum Unterschreiben im Parlament vorbeischaut.]
Ungarn jenseits der Grenzen, Székler
Die Partei Jobbik forderte den Székler Nationalen Rat zur Stellungnahme auf, dieser ist der Ansicht, dass in der Präambel der Verfassung auf jeden Fall auf das Ungarn des Hl. Stephan hingewiesen werden müsse, auf die Komitate und die Székler Stühle [historische Verwaltungseinheiten]. Er fordert die Macher des Grundgesetzes auf, daß im Text stehen müsse: Die Ungarische Republik übernimmt die Verantwortung für das Schicksal der Ungarn, die außerhalb des Vaterlandes leben, und fördert die Pflege der Beziehung zwischen den Széklern und dem Vaterland.
Gewerkschaften, Interessensvertretungen
Die MSZP [die Sozialisten] ersuchten den Ungarischen Gewerkschaftsbund (MSZOSZ) um Stellungnahme, dieser meinte, daß jene Rechte zum Schutz der Bürger und Arbeitnehmer bzw. deren Vertreter, die jetzt schon in der Verfassung stehen, gewahrt bleiben müßten. Auch solle die neue Verfassung detailliert auf die Verpflichtungen des Staates den Arbeitnehmern gegenüber eingehen, die Rechte der Arbeitnehmer enthalten, die Freiheit der Gewerkschaften garantieren und ein Recht zur Sozialversicherung einführen. Der MSZOSZ tritt auch für ein Recht auf Widerstand ein, ein Recht der Obdachlosen, bei der Schaffung eines Eigenheims unterstützt zu werden, das Recht auf den Schutz der persönlichen Daten in Hinblick auf elektronische Erfassung. Weiters wurde ein Recht auf Information bezüglich Daten von öffentlichem Interesse angedacht, ein Verbot aller paramilitärischen Verbände und ein Verbot des Verleihens und Tragens von Adelstiteln.
Senioren
Der Ungarische Verband der Rentnervereine (NYOSZ) möchte, daß die Verfassung widerspiegelt, daß die ältere Generation ein geschätzter und geachteter Teil der Gesellschaft ist, dem durch positive Diskriminierung geholfen werden muß. Die Interessen der Pensionisten sollten von einem Rat für Seniorenangelegenheiten vertreten werden, und auf jeden Fall muß im Grundgesetz stehen: „Die Älteren sind ein außergewöhnliches Bindemittel für die Verstärkung der gesellschaftlichen Kohäsion."
Nachhaltige Entwicklung
Der Bund der Ungarischen Umweltschützer (MTVSZ) hält für wichtig, dass in der neuen Verfassung festgehalten wird: Die Republik Ungarn will die Ziele einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung verwirklichen. Es sollten auch die Wohlstandswerte, die zur Verwirklichung der Nachhaltigkeit notwendig sind, aufgeführt werden: die Erhaltung der Gesundheit, die gesunde Umwelt, Autonomie, Selbstwert, die Wichtigkeit familiärer Beziehungen, die Achtung des Lebens, der Glaube sowie die Möglichkeit für jeden, natürliche Ressourcen nützen zu können. Der MTVSZ meint weiters, daß die Verfassung enthalten müßte, daß die Naturschätze das gemeinsame Erbe der Menschheit sind, deswegen können sie auch nur von einer Gemeinschaft und nicht von einem einzelnen besessen werden, und sie dürfen auch nur dem Wohl der Gemeinschaft dienen.
Dienstag, 2. November 2010
Vor dem Verfassungsputsch
2010-11-02 09:52
Viktor Orbán hebelt das Verfassungsgericht aus. Es steht seinem Machthunger im Wege. Der Demokratieabbau schreitet rasend voran.
Die ungarische „Wahlkabinen-Revolution" kommt so richtig in Fahrt. Die völkische Eingemeindung der ethnischen Ungarn in den Nachbarländern, die Einführung des Irredenta-Ruch verströmenden Trianon-Tags, der Erlass von Medienknebelungsgesetzen und die Pflicht-Aushängung der „Orbán-Bulle" (siehe dazu das vorangegangene Posting in diesem Blog) bildeten nur den Auftakt. Ende des Vormonats kassierte die Regierung per Parlamentsbeschluss den Pflichtanteil, den drei Millionen Bürger in die privaten Pensionsversicherungen einzahlen - vorerst für 14 Monate, doch Orbán stellte klar, dass er den privaten Pensionsversicherungen in toto grosso den Gashahn abdrehen und das dort angesparte Vermögen der Versicherten dem Staatssäckel einverleiben will. Dass es sich um schlichten Diebstahl handelt, ging aus den Budget-Eckdaten 2011 hervor, die Wirtschaftsminister György Matolcsy am letzten Samstag veröffentlichte - das Geld wird eingesackt, um Orbáns Wirtschaftspolitik zu finanzieren, die Steuersenkungen mit einer Prolongierung des Reformstaus verknüpft.
Doch in dieser Woche geht es erst richtig ans Eingemachte: mit Hilfe der Zweidrittelmehrheit im Parlament will Orbáns FIDESZ (Bund Junger Demokraten) den Verfassungsgerichtshof entmachten. Dem Höchstgericht sollen alle Zuständigkeiten entzogen werden, die sich auf jene Rechtsmaterien beziehen, die nicht Gegenstand eines Referendums sein können. Nicht, dass es da einen sinnvollen Zusammenhang gäbe - das Verfassungsgericht wacht über die gesamte Rechtsschöpfung, während es nicht möglich ist, per Volksabstimmung die Steuern abzuschaffen oder Freibier für alle zu dekretieren. Die angestrebte Zuständigkeitsbeschneidung läuft aber eben darauf hinaus, dass die Verfassungshüter künftig nicht mehr die Verfassungsmäßigkeit von Steuer-, Zoll- und Sozialversicherungsgesetzen überprüfen dürfen. So etwa die jener neuen Gesetze, die den Menschen ihre privat angesparten Versicherungsanteile wegnehmen. Wie überhaupt in den letzten 20 Jahren das ungarische Verfassungsgericht immer wieder die Sparpakete der diversen links-liberalen Regierungen genau prüfte und Bestimmungen außer Kraft setzte, wenn diese allzu sehr in „erworbene Rechte" eingriffen. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Die entsprechenden Verfassungs- und Gesetzesänderungen werden diese Woche im Parlament debattiert und voraussichtlich eine Woche später zur Beschlussfassung gelangen.
FIDESZ-Fraktionschef János Lázár, der die Entwürfe als „selbständigen Abgeordnetenantrag" einbrachte, begründete diesen Angriff auf die ungarische Demokratie letzte Woche mit einem Höchstmaß an Zynismus: „Mit der Festigung des Rechtsstaates ist eine derart breit gefasste Zuständigkeit des Verfassungsgerichts heutzutage nicht mehr gerechtfertigt." Zynisch ist dies auch deshalb, weil Lázár diese Bemerkung drei Stunden nach der Verkündung eines Verfassungsgerichtsurteils fallen ließ, welches ein vom FIDESZ beschlossenes Gesetz gekippt hatte. Dieses sah vor, dass Abfertigungen im öffentlichen Dienst - unabhängig von den gesetzlich oder vertraglich bestehenden Ansprüchen - praktisch mit knapp 7.500 Euro zu deckeln wären. Die Verfassungsrichter sahen in der rückwirkenden Anwendbarkeit einen Verstoß gegen das Rechtsstaatprinzip.
Das Gesetz hatte zwei Stoßrichtungen. Zum einen sollte den in der Tat skandalösen Abfertigungen ein Riegel vorgeschoben werden, die die korrupten und gescheiterten Top-Manager von Unternehmen der öffentlichen Hand bei ihrem ruhmlosen Abgang einzustreichen pflegen. Zum anderen will die Regierung Tausende Beamte entlassen - nach einer entsprechenden Gesetzesnovelle können zwar nun Beamte ohne Nennung von Gründen beliebig gefeuert werden, nur dass dies eben bei entsprechenen Abfertigungsansprüchen recht teuer werden kann. Darüber hinaus war das Gesetz so pfuscherhaft formuliert, dass auch einigermaßen besser verdienende Ärzte, Lehrer und Beamte nach ihrer korrekt abgedienten Dienstzeit um berechtigte Ansprüche umgefallen wären. Das Verfassungsgericht wies in seinem Urteil auf all dies hin und legte der Regierung sogar eine „goldene Brücke", wie sie das Gesetz verfassungskonform hätte neu fassen können, ohne dass die grundlegende Intention hätte aufgegeben werden müssen. Lázár, der mit der Stimme Orbáns sprach, zeigte sich unbeeindruckt. Das Abfertigungsdeckelungsgesetz werde „in unveränderter Form neu verabschiedet", kündigte er an.
Es war ohnehin ein abgekartetes Spiel. Orbán und die FIDESZ-Spitze wussten bereits Tage zuvor, dass das Gesetz gekippt würde. Wie das Internet-Portel „origo" herausfand, hatte Orbán selbst die Marschrichtung vorgegeben: sollen die Verfassungsrichter entscheiden, wie sie wollen, wir wollten ihnen eh' schon immer die Zuständigkeit für Entscheidungen dieser Art wegnehmen. Orbán selbst rechtfertigte dieses Vorgehen noch auf populistische Weise: „Es geht nicht darum, das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen zu ändern, sondern jene alten Regeln, die uns behindern." Die demokratische Öffentlichkeit in Ungarn zeigte sich geschockt. András Schiffer, der Chef der Öko-Partei LMP, überwand zum ersten Mal sein Misstrauen gegenüber den Sozialisten (MSZP) und protestierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem MSZP-Kollegen Attila Mesterházy. Zu gemeinsamen Demonstrationen kann sich die Opposition allerdings (noch) nicht durchringen.
Ein bislang ungewohntes Murren kam sogar aus den FIDESZ-Medien, die ansonsten diszipliniert der Parteilinie folgen. Die Tageszeitung „Magyar Nemzet" bezeichnete den Angriff auf das Verfassungsgericht in einem Kommentar als „nicht glücklich". In der Wochenzeitung „Heti Válasz" - sie hatte auch schon Orbáns Bestellung des servilen Winke-Augusts Pál Schmitt zum Staatspräsidenten zu kritisieren gewagt - geriet der Kolumnist András Stumpf nahezu in Rage: „Dass all dies noch dazu im Namen des Volkes geschieht, ist leider das lächerlichste kommunistische Argument. Ist das, was der FIDESZ macht, egal, was es ist, identisch mit dem Volkswillen...? .... Wenn wir nämlich diese Logik akzeptieren, dann müssen wir auch akzeptieren, dass der FIDESZ unfehlbar ist. Denn die Macht gehört dem Volk, den Volkswillen repräsentieren nicht die Institutionen, sondern die Zweidrittelmehrheit, das heißt also, selbst wenn sich diese irrt, irrt sie sich doch nicht." Stumpf malte das Schreckgespenst einer verlorenen nächsten Wahl und einer Rückkehr Gyurcsánys an die Wand: „Und da wird es dann über ihm keine Kontrolle mehr geben, auch rückwirkend macht er, was er will. Eine schöne Aussicht, nicht wahr?" Innerhalb der FIDESZ-Spitze soll der stellvertretende Ministerpräsident Tibor Navracsics, zugleich auch Minister für Justiz und öffentliche Verwaltung, diese Entwicklung „schlecht aufgenommen" haben.
Die Aushebelung des Verfassungsgerichts hat - vorerst - eine vornehmlich wirtschaftspolitische Stoßrichtung. Die Budgetlage ist, trotz der unter der Vorgängerregierung von Gordon Bajnai eingeleiteten Konsolidierung, angespannt, der wirtschaftspolitische Spielraum eng. Im Wahlkampf hatte Orbán konkrete Aussagen weitgehend vermieden, als Hauptversprechen blieben aber hängen, dass es einerseits „keine neuen Belastungen" für die Bevölkerung, andererseits für die besser verdienende Klientel Steuersenkungen geben werde. Zunächst hatte Orbán noch gehofft, dass er das Budgedefizit statt der für dieses Jahr geplanten 3,8 Prozent des BIP auf sieben oder acht Prozent schnellen lassen könne. Die EU-Kommission, aus der Griechenland-Krise klug geworden, trat dem entschieden entgegen. Auch mit dem Versuch, mittels eines Buchhalter-Tricks die Einzahlungen in die privaten Pensionsversicherungen als Aktivposten im Staatshaushalt erscheinen zu lassen, blitzte Orbán in Brüssel ab. Nach vier Jahren einer hemmungslosen und populistischen „Lügen"-Agitation gegen die sozialistischen Vorgänger Gyurcsány und Bajnai muss sich Orbán in Sachen Wahlversprechen vorsichtig verhalten. Die Steuersenkung, zusammen mit satten Freibeträgen für Kinder, kommt, und augenscheinliche neue Belastungen gibt es vorerst tatsächlich keine - vor allem aber nicht jene Strukturreformen, die Ungarn erst auf den Pfad eines nachhaltigen Wachstums führen würden. Das Geld für das komfortable Weiterwursteln holt sich Orbán schamlos von der privaten Sphäre: Die Banken zahlen pro Jahr knapp 800 Millionen Euro Sondersteuern (in Österreich, dessen BIP pro Kopf das 3,5-fache des ungarischen ausmacht, nimmt der Staat von den Banken unter diesem Titel 500 Millionen Euro), die Energie-, Telekom- und Handelskonzerne berappen 580 Millionen Euro - Belastungen für die Bevölkerung resultieren daraus insofern, als dass diese Unternehmen einen Gutteil dieser Steuerabschöpfungen weitergeben werden, d.h. Entwicklungen zurückstellen, im Kundendienst einsparen werden, usw. Der Zugriff auf 14 Monate private Pensionsversicherungseinzahlungen schwemmt wiederum 1,6 Milliarden Euro in die Staatskasse. Ein mit den regulären Zuständigkeiten ausgestattetes Verfassungsgericht könnte diese Pläne durchkreuzen, denn ihre Verfassungskonformität ist äußerst fraglich. Im FIDESZ scheint man sich dessen schon seit Monaten bewusst zu sein. Für den Außenstehenden erschloss sich nämlich erst im Lichte dieser jüngsten Entwicklung der tiefere Sinn jener Bemerkung des FIDESZ-Vizeobmanns Lajos Kosa aus dem Juni: „Wegen der Zwangslage kann es auch zur Suspendierung gewisser Regeln der wirtschaftspolitischen Verfassungsmäßigkeit kommen."
Die demokratische Öffentlichkeit ahnt aber, dass all dies über die Wirtschaftspolitik hinausweist und - über die Zufriedenstellung der Wähler durch Reformverschleppen und Steuergeschenke hinaus - der Einzementierung von Orbáns Macht dient. „Es ist zu befürchten", schrieb der Rechtssoziologe Zoltán Fleck im Internet-Journal „galamus", „dass das Beispiel der autoritären Machtausübung jene Logik bestärkt, derzufolge die Demokratie nur dann und wann möglich ist, dass lange Modernisierungsperioden auf autoritären Grundlagen basieren. ... Eine Macht, die die Richter nach politischen Kriterien diszipliniert und belohnt, die die Verfassungsinstitutionen nach ihrem eigenen Bild formt, die die checks and balances systematisch abbaut, die die Zweifler am 'großen Konsens' ausgrenzt und die die sozialen Probleme mit dem Strafrecht anpackt, ist natürlich eine diktatorische."
Informanten aus dem FIDESZ berichteten indes gegenüber der oppositionellen Tageszeitung „Népszabadság", dass ein relativ uneuphorischer Orbán jüngst im engen Kreis räsoniert haben soll: „Überleben, zumindest bis 2013. Auch danach wird es nicht einfach, die Wahl 2014 zu gewinnen." Innerhalb des FIDESZ werde es als „unglaublicher Risikofaktor" angesehen, ob bis 2013 tatsächlich ein sechsprozentiges Wirtschaftswachstum in Gang komme. (Wirtschaftsforscher halten die Steuersenkungen ohne Strukturreformen nicht dafür geeignet, ihnen zufolge werde das bei den Besserverdienenden bleibende zusätzliche Geld in den Konsum und damit vor allem in Importe fließen.) Orbán baue aber darauf, dass die - im Prinzip - 2013 auslaufenden Sondersteuern für die Konzerne bis dahin „ihre Rendite bringen" und dass auch die deutsche Wirtschaft - wichtigster Export-Markt für Ungarn - wieder ordentlich anziehen werde. Im übrigen habe sich Orbán stets als „östlicher Typus" empfunden, worunter in seiner Lesart jemand zu verstehen sei, dem die Attribute der Listigkeit, Findigkeit und Kreativität anhaften. Diese wollen wir ihm auch gar nicht absprechen - schade nur, dass ihm der Respekt vor der demokratischen Verfassung, vor demokratischen Institutionen und Prozeduren gänzlich fehlt.
Darauf deuten auch die jüngsten „Ideen" hin, die der eher unbekannte FIDESZ-Abgeordnete Gergely Gulyás neulich ventilierte - gewiss nicht ohne entsprechende „Wegweisung" durch Orbán. Demnach sollen nun jene im Ausland lebenden ethnischen Ungarn, die durch die völkische Eingemeindung die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten werden, nun doch das Wahlrecht in Ungarn erhalten. Unabhängig von der tatsächlichen Zahl der eingebürgerten Fremdwohnsitz-Ungarn und unabhängig von ihrer Wahlaktivität sollen sie - in dem ab 2014 auf 200 Sitze verkleinerten Parlament - „sechs bis acht eigene Mandate" erhalten. Damit ergäbe sich eine flexible Manövriermasse für den FIDESZ, die in vier Jahren je nach Stand der Dinge zum Zünglein an der Waage dafür werden könnte, ob die Rechtspopulisten entweder die Zweidrittel- oder die einfache Regierungsmehrheit bewahren. Diese Art von election engeneering ist nicht ohne Präzedenz. Der kroatische Halb-Despot Franjo Tudjman hatte Anfang der 1990er-Jahre zwöf Sitze im Sabor den „Diaspora-Kroaten" vorbehalten. Orbán war ein großer Bewunderer des 1999 verstorbenen, für Kriegsverbrechen in Bosnien und an den kroatischen Serben mitverantwortlichen Tudjman.
Links:
www.pesterlloyd.net/2010_43/43verfassungsstreit/43verfassungsstreit.html
http://hungarianvoice.wordpress.com/2010/10/27/fidesz-fraktionsvorsitzender-reitet-angriff-auf-das-verfassungsgericht/#comment-145
http://esbalogh.typepad.com/hungarianspectrum/2010/10/on-the-road-to-dictatorship.html
http://esbalogh.typepad.com/hungarianspectrum/2010/10/who-is-surprised-and-who-is-not.html
(nur ungarisch):
www.es.hu/2010-10-30_nem-szeltolo
www.origo.hu/itthon/20101027-tobb-fideszes-nem-ert-egyet-az-ab-korlatozasaval.html
http://index.hu/belfold/2010/10/29/orban_kiallt_az_alkotmanybirosag_korlatozasa_mellett/?rnd=133
http://mno.hu/portal/744679
http://hetivalasz.hu/jegyzet/alkotmanytalan-koztarsasag-32834/
http://nol.hu/belfold/20101030-solyom_aggalyosnak_tartja_a_helyzetet__schmitt_nem
www.galamus.hu/index.php?option=com_content&view=article&id=35420:mi-marad-meg&catid=37:csfleckzoltan&Itemid=62
http://nol.hu/belfold/20101029-a_tulelesre_jatszanak_
www.es.hu/2010-10-30_kockazati-felar-8211-ketharmadbol
www.politicalcapital.hu/blog/?p=1937713
Quelle des Artikels: http://www.residenzverlag.at/?m=40&o=1&blg_txt_id=214 (abgerufen am 3. Nov. 2010)
Viktor Orbán hebelt das Verfassungsgericht aus. Es steht seinem Machthunger im Wege. Der Demokratieabbau schreitet rasend voran.
Die ungarische „Wahlkabinen-Revolution" kommt so richtig in Fahrt. Die völkische Eingemeindung der ethnischen Ungarn in den Nachbarländern, die Einführung des Irredenta-Ruch verströmenden Trianon-Tags, der Erlass von Medienknebelungsgesetzen und die Pflicht-Aushängung der „Orbán-Bulle" (siehe dazu das vorangegangene Posting in diesem Blog) bildeten nur den Auftakt. Ende des Vormonats kassierte die Regierung per Parlamentsbeschluss den Pflichtanteil, den drei Millionen Bürger in die privaten Pensionsversicherungen einzahlen - vorerst für 14 Monate, doch Orbán stellte klar, dass er den privaten Pensionsversicherungen in toto grosso den Gashahn abdrehen und das dort angesparte Vermögen der Versicherten dem Staatssäckel einverleiben will. Dass es sich um schlichten Diebstahl handelt, ging aus den Budget-Eckdaten 2011 hervor, die Wirtschaftsminister György Matolcsy am letzten Samstag veröffentlichte - das Geld wird eingesackt, um Orbáns Wirtschaftspolitik zu finanzieren, die Steuersenkungen mit einer Prolongierung des Reformstaus verknüpft.
Doch in dieser Woche geht es erst richtig ans Eingemachte: mit Hilfe der Zweidrittelmehrheit im Parlament will Orbáns FIDESZ (Bund Junger Demokraten) den Verfassungsgerichtshof entmachten. Dem Höchstgericht sollen alle Zuständigkeiten entzogen werden, die sich auf jene Rechtsmaterien beziehen, die nicht Gegenstand eines Referendums sein können. Nicht, dass es da einen sinnvollen Zusammenhang gäbe - das Verfassungsgericht wacht über die gesamte Rechtsschöpfung, während es nicht möglich ist, per Volksabstimmung die Steuern abzuschaffen oder Freibier für alle zu dekretieren. Die angestrebte Zuständigkeitsbeschneidung läuft aber eben darauf hinaus, dass die Verfassungshüter künftig nicht mehr die Verfassungsmäßigkeit von Steuer-, Zoll- und Sozialversicherungsgesetzen überprüfen dürfen. So etwa die jener neuen Gesetze, die den Menschen ihre privat angesparten Versicherungsanteile wegnehmen. Wie überhaupt in den letzten 20 Jahren das ungarische Verfassungsgericht immer wieder die Sparpakete der diversen links-liberalen Regierungen genau prüfte und Bestimmungen außer Kraft setzte, wenn diese allzu sehr in „erworbene Rechte" eingriffen. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Die entsprechenden Verfassungs- und Gesetzesänderungen werden diese Woche im Parlament debattiert und voraussichtlich eine Woche später zur Beschlussfassung gelangen.
FIDESZ-Fraktionschef János Lázár, der die Entwürfe als „selbständigen Abgeordnetenantrag" einbrachte, begründete diesen Angriff auf die ungarische Demokratie letzte Woche mit einem Höchstmaß an Zynismus: „Mit der Festigung des Rechtsstaates ist eine derart breit gefasste Zuständigkeit des Verfassungsgerichts heutzutage nicht mehr gerechtfertigt." Zynisch ist dies auch deshalb, weil Lázár diese Bemerkung drei Stunden nach der Verkündung eines Verfassungsgerichtsurteils fallen ließ, welches ein vom FIDESZ beschlossenes Gesetz gekippt hatte. Dieses sah vor, dass Abfertigungen im öffentlichen Dienst - unabhängig von den gesetzlich oder vertraglich bestehenden Ansprüchen - praktisch mit knapp 7.500 Euro zu deckeln wären. Die Verfassungsrichter sahen in der rückwirkenden Anwendbarkeit einen Verstoß gegen das Rechtsstaatprinzip.
Das Gesetz hatte zwei Stoßrichtungen. Zum einen sollte den in der Tat skandalösen Abfertigungen ein Riegel vorgeschoben werden, die die korrupten und gescheiterten Top-Manager von Unternehmen der öffentlichen Hand bei ihrem ruhmlosen Abgang einzustreichen pflegen. Zum anderen will die Regierung Tausende Beamte entlassen - nach einer entsprechenden Gesetzesnovelle können zwar nun Beamte ohne Nennung von Gründen beliebig gefeuert werden, nur dass dies eben bei entsprechenen Abfertigungsansprüchen recht teuer werden kann. Darüber hinaus war das Gesetz so pfuscherhaft formuliert, dass auch einigermaßen besser verdienende Ärzte, Lehrer und Beamte nach ihrer korrekt abgedienten Dienstzeit um berechtigte Ansprüche umgefallen wären. Das Verfassungsgericht wies in seinem Urteil auf all dies hin und legte der Regierung sogar eine „goldene Brücke", wie sie das Gesetz verfassungskonform hätte neu fassen können, ohne dass die grundlegende Intention hätte aufgegeben werden müssen. Lázár, der mit der Stimme Orbáns sprach, zeigte sich unbeeindruckt. Das Abfertigungsdeckelungsgesetz werde „in unveränderter Form neu verabschiedet", kündigte er an.
Es war ohnehin ein abgekartetes Spiel. Orbán und die FIDESZ-Spitze wussten bereits Tage zuvor, dass das Gesetz gekippt würde. Wie das Internet-Portel „origo" herausfand, hatte Orbán selbst die Marschrichtung vorgegeben: sollen die Verfassungsrichter entscheiden, wie sie wollen, wir wollten ihnen eh' schon immer die Zuständigkeit für Entscheidungen dieser Art wegnehmen. Orbán selbst rechtfertigte dieses Vorgehen noch auf populistische Weise: „Es geht nicht darum, das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen zu ändern, sondern jene alten Regeln, die uns behindern." Die demokratische Öffentlichkeit in Ungarn zeigte sich geschockt. András Schiffer, der Chef der Öko-Partei LMP, überwand zum ersten Mal sein Misstrauen gegenüber den Sozialisten (MSZP) und protestierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem MSZP-Kollegen Attila Mesterházy. Zu gemeinsamen Demonstrationen kann sich die Opposition allerdings (noch) nicht durchringen.
Ein bislang ungewohntes Murren kam sogar aus den FIDESZ-Medien, die ansonsten diszipliniert der Parteilinie folgen. Die Tageszeitung „Magyar Nemzet" bezeichnete den Angriff auf das Verfassungsgericht in einem Kommentar als „nicht glücklich". In der Wochenzeitung „Heti Válasz" - sie hatte auch schon Orbáns Bestellung des servilen Winke-Augusts Pál Schmitt zum Staatspräsidenten zu kritisieren gewagt - geriet der Kolumnist András Stumpf nahezu in Rage: „Dass all dies noch dazu im Namen des Volkes geschieht, ist leider das lächerlichste kommunistische Argument. Ist das, was der FIDESZ macht, egal, was es ist, identisch mit dem Volkswillen...? .... Wenn wir nämlich diese Logik akzeptieren, dann müssen wir auch akzeptieren, dass der FIDESZ unfehlbar ist. Denn die Macht gehört dem Volk, den Volkswillen repräsentieren nicht die Institutionen, sondern die Zweidrittelmehrheit, das heißt also, selbst wenn sich diese irrt, irrt sie sich doch nicht." Stumpf malte das Schreckgespenst einer verlorenen nächsten Wahl und einer Rückkehr Gyurcsánys an die Wand: „Und da wird es dann über ihm keine Kontrolle mehr geben, auch rückwirkend macht er, was er will. Eine schöne Aussicht, nicht wahr?" Innerhalb der FIDESZ-Spitze soll der stellvertretende Ministerpräsident Tibor Navracsics, zugleich auch Minister für Justiz und öffentliche Verwaltung, diese Entwicklung „schlecht aufgenommen" haben.
Die Aushebelung des Verfassungsgerichts hat - vorerst - eine vornehmlich wirtschaftspolitische Stoßrichtung. Die Budgetlage ist, trotz der unter der Vorgängerregierung von Gordon Bajnai eingeleiteten Konsolidierung, angespannt, der wirtschaftspolitische Spielraum eng. Im Wahlkampf hatte Orbán konkrete Aussagen weitgehend vermieden, als Hauptversprechen blieben aber hängen, dass es einerseits „keine neuen Belastungen" für die Bevölkerung, andererseits für die besser verdienende Klientel Steuersenkungen geben werde. Zunächst hatte Orbán noch gehofft, dass er das Budgedefizit statt der für dieses Jahr geplanten 3,8 Prozent des BIP auf sieben oder acht Prozent schnellen lassen könne. Die EU-Kommission, aus der Griechenland-Krise klug geworden, trat dem entschieden entgegen. Auch mit dem Versuch, mittels eines Buchhalter-Tricks die Einzahlungen in die privaten Pensionsversicherungen als Aktivposten im Staatshaushalt erscheinen zu lassen, blitzte Orbán in Brüssel ab. Nach vier Jahren einer hemmungslosen und populistischen „Lügen"-Agitation gegen die sozialistischen Vorgänger Gyurcsány und Bajnai muss sich Orbán in Sachen Wahlversprechen vorsichtig verhalten. Die Steuersenkung, zusammen mit satten Freibeträgen für Kinder, kommt, und augenscheinliche neue Belastungen gibt es vorerst tatsächlich keine - vor allem aber nicht jene Strukturreformen, die Ungarn erst auf den Pfad eines nachhaltigen Wachstums führen würden. Das Geld für das komfortable Weiterwursteln holt sich Orbán schamlos von der privaten Sphäre: Die Banken zahlen pro Jahr knapp 800 Millionen Euro Sondersteuern (in Österreich, dessen BIP pro Kopf das 3,5-fache des ungarischen ausmacht, nimmt der Staat von den Banken unter diesem Titel 500 Millionen Euro), die Energie-, Telekom- und Handelskonzerne berappen 580 Millionen Euro - Belastungen für die Bevölkerung resultieren daraus insofern, als dass diese Unternehmen einen Gutteil dieser Steuerabschöpfungen weitergeben werden, d.h. Entwicklungen zurückstellen, im Kundendienst einsparen werden, usw. Der Zugriff auf 14 Monate private Pensionsversicherungseinzahlungen schwemmt wiederum 1,6 Milliarden Euro in die Staatskasse. Ein mit den regulären Zuständigkeiten ausgestattetes Verfassungsgericht könnte diese Pläne durchkreuzen, denn ihre Verfassungskonformität ist äußerst fraglich. Im FIDESZ scheint man sich dessen schon seit Monaten bewusst zu sein. Für den Außenstehenden erschloss sich nämlich erst im Lichte dieser jüngsten Entwicklung der tiefere Sinn jener Bemerkung des FIDESZ-Vizeobmanns Lajos Kosa aus dem Juni: „Wegen der Zwangslage kann es auch zur Suspendierung gewisser Regeln der wirtschaftspolitischen Verfassungsmäßigkeit kommen."
Die demokratische Öffentlichkeit ahnt aber, dass all dies über die Wirtschaftspolitik hinausweist und - über die Zufriedenstellung der Wähler durch Reformverschleppen und Steuergeschenke hinaus - der Einzementierung von Orbáns Macht dient. „Es ist zu befürchten", schrieb der Rechtssoziologe Zoltán Fleck im Internet-Journal „galamus", „dass das Beispiel der autoritären Machtausübung jene Logik bestärkt, derzufolge die Demokratie nur dann und wann möglich ist, dass lange Modernisierungsperioden auf autoritären Grundlagen basieren. ... Eine Macht, die die Richter nach politischen Kriterien diszipliniert und belohnt, die die Verfassungsinstitutionen nach ihrem eigenen Bild formt, die die checks and balances systematisch abbaut, die die Zweifler am 'großen Konsens' ausgrenzt und die die sozialen Probleme mit dem Strafrecht anpackt, ist natürlich eine diktatorische."
Informanten aus dem FIDESZ berichteten indes gegenüber der oppositionellen Tageszeitung „Népszabadság", dass ein relativ uneuphorischer Orbán jüngst im engen Kreis räsoniert haben soll: „Überleben, zumindest bis 2013. Auch danach wird es nicht einfach, die Wahl 2014 zu gewinnen." Innerhalb des FIDESZ werde es als „unglaublicher Risikofaktor" angesehen, ob bis 2013 tatsächlich ein sechsprozentiges Wirtschaftswachstum in Gang komme. (Wirtschaftsforscher halten die Steuersenkungen ohne Strukturreformen nicht dafür geeignet, ihnen zufolge werde das bei den Besserverdienenden bleibende zusätzliche Geld in den Konsum und damit vor allem in Importe fließen.) Orbán baue aber darauf, dass die - im Prinzip - 2013 auslaufenden Sondersteuern für die Konzerne bis dahin „ihre Rendite bringen" und dass auch die deutsche Wirtschaft - wichtigster Export-Markt für Ungarn - wieder ordentlich anziehen werde. Im übrigen habe sich Orbán stets als „östlicher Typus" empfunden, worunter in seiner Lesart jemand zu verstehen sei, dem die Attribute der Listigkeit, Findigkeit und Kreativität anhaften. Diese wollen wir ihm auch gar nicht absprechen - schade nur, dass ihm der Respekt vor der demokratischen Verfassung, vor demokratischen Institutionen und Prozeduren gänzlich fehlt.
Darauf deuten auch die jüngsten „Ideen" hin, die der eher unbekannte FIDESZ-Abgeordnete Gergely Gulyás neulich ventilierte - gewiss nicht ohne entsprechende „Wegweisung" durch Orbán. Demnach sollen nun jene im Ausland lebenden ethnischen Ungarn, die durch die völkische Eingemeindung die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten werden, nun doch das Wahlrecht in Ungarn erhalten. Unabhängig von der tatsächlichen Zahl der eingebürgerten Fremdwohnsitz-Ungarn und unabhängig von ihrer Wahlaktivität sollen sie - in dem ab 2014 auf 200 Sitze verkleinerten Parlament - „sechs bis acht eigene Mandate" erhalten. Damit ergäbe sich eine flexible Manövriermasse für den FIDESZ, die in vier Jahren je nach Stand der Dinge zum Zünglein an der Waage dafür werden könnte, ob die Rechtspopulisten entweder die Zweidrittel- oder die einfache Regierungsmehrheit bewahren. Diese Art von election engeneering ist nicht ohne Präzedenz. Der kroatische Halb-Despot Franjo Tudjman hatte Anfang der 1990er-Jahre zwöf Sitze im Sabor den „Diaspora-Kroaten" vorbehalten. Orbán war ein großer Bewunderer des 1999 verstorbenen, für Kriegsverbrechen in Bosnien und an den kroatischen Serben mitverantwortlichen Tudjman.
Links:
www.pesterlloyd.net/2010_43/43verfassungsstreit/43verfassungsstreit.html
http://hungarianvoice.wordpress.com/2010/10/27/fidesz-fraktionsvorsitzender-reitet-angriff-auf-das-verfassungsgericht/#comment-145
http://esbalogh.typepad.com/hungarianspectrum/2010/10/on-the-road-to-dictatorship.html
http://esbalogh.typepad.com/hungarianspectrum/2010/10/who-is-surprised-and-who-is-not.html
(nur ungarisch):
www.es.hu/2010-10-30_nem-szeltolo
www.origo.hu/itthon/20101027-tobb-fideszes-nem-ert-egyet-az-ab-korlatozasaval.html
http://index.hu/belfold/2010/10/29/orban_kiallt_az_alkotmanybirosag_korlatozasa_mellett/?rnd=133
http://mno.hu/portal/744679
http://hetivalasz.hu/jegyzet/alkotmanytalan-koztarsasag-32834/
http://nol.hu/belfold/20101030-solyom_aggalyosnak_tartja_a_helyzetet__schmitt_nem
www.galamus.hu/index.php?option=com_content&view=article&id=35420:mi-marad-meg&catid=37:csfleckzoltan&Itemid=62
http://nol.hu/belfold/20101029-a_tulelesre_jatszanak_
www.es.hu/2010-10-30_kockazati-felar-8211-ketharmadbol
www.politicalcapital.hu/blog/?p=1937713
Quelle des Artikels: http://www.residenzverlag.at/?m=40&o=1&blg_txt_id=214 (abgerufen am 3. Nov. 2010)
Freitag, 29. Oktober 2010
Orbán über alles
In Ungarn wird zwischen rechts und rechtsextrem regiert: Paul Lendvai über ein national-populistisches Experiment mit offenem Ausgang und womöglich explosiven Polit-Folgen.
Der überwältigende Fidesz-Sieg bei der Parlamentswahl von April 2010 hat in Ungarn die Weichen für ein völlig neues System gestellt. Ministerpräsident Viktor Orbán nennt es das "System der Nationalen Zusammenarbeit" und lässt den schwülstigen Text des Manifests über die "Revolution an den Urnen", von seiner Zweidrittelmehrheit gehorsam bewilligt, in allen Ämtern (in einem 50 mal 70 Zentimeter großen Glasrahmen) aushängen.
Kritiker sprechen von dem unaufhaltsamen Gang in Richtung einer autoritären Ordnung, einer Politik der starken Hand, die die 1989-1990 eingebauten demokratischen Sicherungen und verfassungsmäßigen Grenzen der Macht im Blitztempo aus dem Weg räumt. Orbán rühmte sich in seiner Schlussrede nach der ersten Sitzungsperiode des neuen Parlaments, sein "nationales Zentrum" hätte in 56 Tagen mehr getan als die sozial-liberalen Regierungen in acht Jahren. Niemand kann nach dem schwungvollen Anfang des neuen Regimes daran zweifeln, dass der siegreiche Fidesz-Führer seine vor einem Jahr bei einer geschlossenen Veranstaltung zum ersten Mal geäußerten Gedanken über die Schaffung eines nationalen Zentrums im Gewand einer einzigen großen Partei tatsächlich verwirklichen will.
Worin liegt also die Einzigartigkeit des Sieges von Orbán im Endkampf gegen Sozialisten und Liberale? Wieso war es ihm überhaupt möglich, eine Zweidrittelmehrheit zu schaffen? Was sind die Folgen dieser politischen Weichenstellung für Ungarn und Europa?
Bei der Bewertung des auch im europäischen Maßstab außerordentlichen Erfolgs des Fidesz muss man allerdings auch den mehrheitsfördernden Effekt des ungarischen Wahlsystems in Betracht ziehen. Mit einem Anteil von über 52 Prozent konnte Fidesz nach zwei Wahlgängen am 11. und 25. April 2010 (zusammen mit der winzigen Satellitenpartei, der Christdemokratischen Volkspartei) mehr als zwei Drittel der Parlamentssitze gewinnen. Wenn man auch bedenkt, dass die Wahlbeteiligung nur 64 Prozent betrug, ist an der Tatsache nicht zu rütteln, dass Fidesz mit den Stimmen eines Drittels der Wahlberechtigten 68 Prozent der Parlamentssitze gewinnen konnte.
Angesichts des Geredes über das "System der Nationalen Zusammenarbeit" wies der scharfe Orbán-Kritiker, sein Biograf József Debreczeni, es als "eine auf lauter Lügen aufgebaute Geschichtsfälschung" zurück. Die auf die Fidesz-Liste abgegebenen 2,7 Millionen Stimmen machten knapp mehr als die Hälfte der tatsächlichen Stimmen, rund ein Drittel der Wahlberechtigten und etwa ein Viertel der Bevölkerung aus. Man könne also den Fidesz kaum als den Träger "des ungeteilten Willens der einheitlichen ungarischen Nation" bezeichnen.
In Wirklichkeit handelt es sich zwar um eine Zäsur in der politischen Geschichte Ungarns, allerdings keineswegs im Sinne der Schaffung eines Systems der nationalen Einheit nach einer "erfolgreichen Revolution an den Urnen", nach einer "historischen Tat der ungarischen Nation". Die hochmütigen Phrasen in dem von der parlamentarischen Mehrheit angenommenen "Manifest der Nationalen Zusammenarbeit" dienen nur als Dekoration für das Übergewicht der rechten und extrem rechten Kräfte im neuen Parlament. Es wäre allerdings unklug, die politische Brisanz der Jobbik, der neuen Kraft am extrem rechten Rand, zu unterschätzen. Für Orbán kann die rechtsradikale Partei im Falle der Verschlechterung der Wirtschaftslage gefährlich werden. Man muss auch betonen, dass die Gefahr für die absehbare Zukunft nur von rechts droht.
Warum? Es geht nicht nur darum, dass Jobbik, nicht zuletzt dank der Publizität um die Ungarische Garde, fast 17 Prozent der Stimmen und damit 47 Mandate gewonnen hat. Beobachter sehen eine potenzielle Gefahr auch darin, dass die Rechtsradikalen bei der Jugend außerordentlich stark sind. So stimmten 23 Prozent der zwischen 18 und 29 Jahre alten Wähler für Jobbik. Die Partei schnitt im Nordosten und Osten, in Regionen mit einem relativ hohen Roma-Anteil besonders gut ab. Die nationalistische, fremden- und romafeindliche sowie offen antisemitische Rhetorik wurde von den rechten Medien ausführlich wiedergegeben. Bei der Anziehungskraft der Jobbik für junge Wähler spielen auch die rechtsextremen Internetportale wie Kuruc.info und Barikad.hu eine wichtige, wenn auch von den der ungarischen Sprache nicht mächtigen Beobachtern oft ignorierte Rolle.
Es darf nicht verschwiegen werden, dass Orbán sich weder in der Kampagne für die Europawahlen im Juni 2009 noch vor den ungarischen Parlamentswahlen 2010 eindeutig und öffentlich vom extrem rechten Rand distanziert hat. Als er bei einer geschlossenen Sitzung mit Studenten befragt wurde, wie er als Ministerpräsident mit der Jobbik umzugehen gedenke, antwortete er salopp: Wie Horthy sich gegenüber den Pfeilkreuzlern verhielt, so würden die Jobbik-Leute von ihm auch "zwei Ohrfeigen kriegen, und damit hat sich's ..."
Die ideell-politische Nähe zwischen vielen Abgeordneten der 262 Mann starken Fidesz-Fraktion und den 47 Jobbik-Leuten im Parlament dürfte eine doppelbödige Strategie der Regierungspartei ermöglichen: durch die Zerschlagung der Gruppe der unverbesserlichen Extremisten und durch "Inhalieren" der paktfähigen Aufsteiger aus dem Jobbik-Lager die Lufthoheit in Sachen "Sammelpartei der Rechten" zu gewinnen. Dass übrigens der offensiv-nationale und rechtskonservativ-klerikale Kurs der Orbán-Regierung auf keinen Widerstand der Bevölkerung stößt, zeigen die letzten Umfragen, wonach über 70 Prozent der Befragten eine starke Regierung ohne Parteienhader und 50 Prozent sogar eine einzige dominante Partei wünschen. In ihrem "Manifest der Nationalen Zusammenarbeit" heben die erfolgreichen Fidesz-"Revolutionäre" die folgenden Säulen des "durch den Volkswillen entstandenen neuen politischen und wirtschaftlichen Systems" und "der Verbindung zwischen den Angehörigen der vielfarbigen ungarischen Nation" hervor: "Arbeit, Heim, Familie, Gesundheit und Ordnung". In der Präambel der Trianon-Deklaration (der Trianon-Vertrag wurde am 4. Juni 1920 unterzeichnet) zum "Tag der nationalen Zusammengehörigkeit" heißt es: "Gott ist der Herr der Geschichte". Die geplante neue Verfassung soll laut Mitgliedern des Redaktionsausschusses diverse Hinweise auf Gott, die christlichen Wurzeln des Ungartums und die Heilige Stephans-Krone enthalten.
Die verschiedenen hochtrabenden Reden Orbáns und die salbungsvollen Deklarationen bei den nationalen Feierlichkeiten lassen die Mahnung in Erinnerung rufen, welche Helmut Schmidt in einem Gespräch mit dem Historiker Fritz Stern geäußert hat: "Die Erziehung des Volkes zu einem Ideal hin oder in Richtung auf einen Wertekanon ist eigentlich nicht Sache der Politik und schon überhaupt nicht Sache der Regierungen. Natürlich gibt es immer wieder Politiker, die sich damit schmücken, dass sie pädagogischen oder volkserzieherischen Prinzipien folgen ... Politische Führer, die gleichzeitig kulturelle Führer sein wollen, sind mir zutiefst verdächtig."
Als der Publizist József Debreczeni, der ehemalige konservative Abgeordnete, in den letzten Jahren in aufsehenerregenden Artikeln und auch in seiner groß angelegten Orbán-Biografie vor den Folgen des bedenkenlosen Opportunismus und der unersättlichen Gier nach Macht warnte, fanden selbst manche liberale oder linke Fidesz-Gegner seine Analysen und Warnungen vor einer Zweidrittelmehrheit übertrieben pessimistisch. Im Epilog seines Werkes schrieb er: "Im Besitz der Verfassungsmehrheit kann er das Mandat in eine uneinnehmbare Festung der Macht umbauen. Man sollte keine Zweifel haben, dass Orbán hemmungslos und restlos die in seine Hände geratene Macht ausnutzen wird." Die seit dem Wahlsieg erfolgten Verschiebungen im Herrschafts- und Gesellschaftsgefüge bestätigen vollauf Debreczenis düstere Voraussagen.
Zwischen 2002 und 2010 bot das sozialistisch-liberale Lager ein jämmerliches, ja zuweilen ekelerregendes Bild von Filz, Vetternwirtschaft und politischer Verkommenheit. Die total diskreditierten Sozialisten bilden für die absehbare Zukunft keine schlagkräftige Opposition. Die meisten linksliberalen Politiker allerdings haben sich jahrzehntelang in der Brutstätte der Korruption und in dem von ihr genährten Klientelsystem bestens zurechtgefunden. Bei seinem Griff nach der absoluten Machtfülle konnte Orbán ohne den Widerstand einer funktionierenden Zivilgesellschaft den weit verbreiteten Wunsch nach einer starken, ordnenden Hand erfüllen. In einem tief enttäuschten linken Kreis kursierte vor Jahren das Bonmot: "Gyurcsány will das Gute, aber er macht es schlecht; Orbán will das Böse, aber er macht es gut ..."
Der willensstarke Stratege der Macht und gewiefte Taktiker der innerparteilichen Flurbereinigung wollte nach seinem Wahlsieg schnell und unwiderruflich die Rahmenbedingungen schaffen, um den Fidesz zum alleinherrschenden Machtfaktor in jenem "zentralen politischen Kraftfeld" zu machen, wo er für die "kommenden 15 bis 20 Jahre" von der Opposition unbehindert schalten und walten kann. Zur Verwirklichung dieses im demokratischen Europa einzigartigen Vorhabens musste Orbán rechtlich und faktisch die 1989 bis 1990 geschaffenen Verfassungsgarantien der Machtteilung rechtzeitig abschaffen. Es ging dabei um sachliche und personelle Entscheidungen, die der 47-jährige starke Mann in 56 Tagen nach Belieben treffen konnte. Der potenziell wichtigste und selbst in konservativen Kreisen Befremden und Erstaunen auslösende Beschluss war die Nominierung Pál Schmitts, des olympischen Medaillengewinners als einstiges Mitglied der ungarischen Fechtermannschaft in Mexiko und München, zum nächsten Staatspräsidenten. Der 68-jährige Vizepräsident von Fidesz ist eine zwar populäre Figur, doch zugleich ein politisches Leichtgewicht. Als Vizepräsident des Sportministeriums gehörte Schmitt zur privilegierten Machtelite des Kádár-Regimes. Er hatte dem kommunistischen System ebenso verlässlich gedient wie sowie die Ombudsmänner. Schmitt wird kaum je solche Persönlichkeiten ernennen oder vorschlagen, die gegenüber der Regierung kritisch eingestellt sind.
Viktor Orbán hat auf allen Ebenen eine beispiellose Umbesetzungswelle ins Rollen gebracht. Von der Armeespitze zu den Polizeichefs, vom Katastrophenschutz zum Pferderennen, von der Lotterie zu den Staatsbahnen, von der Rentenversicherung zum Statistischen Zentralamt wurden Fidesz-Kader eingesetzt oder traten manche Amtsleiter von sich aus zurück. Die umstrittensten Ernennungen erfolgten an der Spitze des Rechnungshofes und der Finanzaufsicht. Nicht Experten, sondern zwei Fidesz-Abgeordnete kamen zum Zug, die Presseberichten zufolge selbst wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten keine weiße Weste hatten. Ein neues Gesetz sorgt dafür, dass die Staatsbeamten jederzeit und ohne Begründung mit zweimonatiger Kündigungsfrist entlassen werden können. Dass Orbán auf die Empfindlichkeiten der geschlagenen Gegner keine Rücksicht nimmt, zeigt übrigens die Tatsache, dass er zum Vorsitzenden des Parlaments seinen engsten Weggefährten, jenen Laszlo Kövér, eingesetzt hat, der während der letzten zwei Jahrzehnte wiederholt mit den derbsten Ausdrücken die Gegner, zuletzt den damaligen Premier Gyurcsány, beschimpft hatte.
Wichtiger als diese Stilbrüche ist die totale Machtübernahme im Medienbereich. Alle staatlichen Medien, die Fernseh- und Radiosender sowie die Nachrichtenagentur MTI werden von der neuen Nationalen Medien- und Telekommunikationsbehörde zusammengefasst und kontrolliert. In einer zweiten Phase werden die Chefs bestellt und auch die privaten Medien, zumindest was ihre Programme betrifft, ins Visier genommen. Die Zusammensetzung aller Organe wird natürlich durch die Zweidrittelmehrheit des Fidesz bestimmt. Orbán hat bereits Anfang August eine langjährige Fidesz-Medienexpertin für neun Jahre (!) zur Chefin dieser Behörde ernannt. Die Proteste der verschiedenen internationalen Medieninstitutionen werden, abgesehen vom aggressiven Selbstmitleid der kritisierten Fidesz-Presseleute, kaum Wirkung haben.
Man darf allerdings bei der Abwägung der zukünftigen Chancen des Orbán-Regimes die bereits sofort nach der Machteroberung sogar international offensichtlich gewordene Mischung aus Dilettantismus, grenzenlosem Populismus und Voluntarismus (laut Duden: "die philosophische Lehre, die den Willen als Grundprinzip des Seins ansieht") nicht übersehen. Bereits Monate vor der Wahl hatten, mit Orbán angefangen, alle Fidesz-Politiker der Regierung Bajnai Budgetfälschung unterstellt und die dem Fidesz nahestehenden Medien über die Bedeutung der vielen "Leichen im Keller" spekuliert. Statt der offiziellen Angaben über ein voraussichtliches Budgetdefizit in der Höhe von 3,8 bis vier Prozent hatten die Fidesz-Wirtschaftssprecher verkündet, es könnte sechs bis 7,5 Prozent erreichen. In den ersten Junitagen hatte Lajos Kósa, der stellvertretende Fidesz-Chef und Bürgermeister von Debrecen, bei einer Wirtschaftskonferenz die Bombe gezündet: Er verglich den Zustand der ungarischen Staatsfinanzen mit dem der griechischen und sprach von der Gefahr eines Staatsbankrotts.
Statt das Feuer zu löschen, schüttete einen Tag später der Sprecher Orbáns, Péter Szijjártó, weiter Benzin auf die Flammen: Es sei keine Übertreibung, über einen Staatsbankrott zu sprechen, und er fügte noch stolz hinzu, jeder Politiker dürfe es als eine Ehre betrachten, wenn nach einem Wort von ihm Börsen- und Wechselkurse in Bewegung kommen ...
Die durchsichtige Diskreditierungskampagne der Amateure gegen die Vorgänger erwies sich bald als ein folgenschwerer Bumerang. Der dilettantische Versuch, die Wählererwartungen nach den vielen Wahlversprechungen zu dämpfen, schickte den Forint auf Talfahrt und hat dem Image Ungarns laut allen ausländischen Beobachtern ernsthaften Schaden zugefügt. Der Abbruch der Gespräche mit der Delegation des Internationalen Währungsfonds, die Einführung der - gemessen an der Wirtschaftsleistung - höchsten Bankenabgabe der Welt und nicht zuletzt die trotzigen nationalistischen Reaktionen des Ministerpräsidenten haben laut der angesehenen Finanzexpertin Zita Mária Petschnig das anfängliche Vertrauen der Auslandsinvestoren größtenteils verspielt. Angesichts der beinahe totalen Kontrolle über Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, Geheimdienste und staatliche Medien wird die Regierung weiterhin versuchen, alle Schuld auf die Vorgänger abzuschieben.
Der Ablenkung wird auch die bereits angelaufene Jagd nach Sündenböcken dienen. Die von Orbán und seinen Getreuen am laufenden Band verbreiteten Phrasen eines völkischen Antikapitalismus gegen die heimischen Oligarchen und die fremden Spekulanten und über den Schutz der "fleißig arbeitenden ungarischen Menschen" ziehen noch immer, so scheint es zumindest im Spiegel der Umfragen.
Dass die mit Orbán persönlich befreundeten, weitaus reichsten ungarischen Forintmilliardäre von Spitzenbankiers bis zu Großindustriellen und Ölbaronen fast alle Fäden in der Hand haben, wissen natürlich nur die eingeweihten Beobachter. "Macht ohne Missbrauch verliert an Reiz", meinte Paul Valéry schon Anfang des 20. Jahrhunderts. Das galt freilich auch für alle Regierungen seit der Wende. Das Schweigen und Verschweigen prägen nicht nur die Aufarbeitung der Vergangenheit, wie Fritz Stern in seinem Buch Das feine Schweigen erläutert hat, sondern auch das Krebsübel der Korruption im politisch-sozialen Bereich. Die Ungarn sind wie die meisten Menschen geneigt, sich an "angenehme Illusionen" (wie Edmund Burke es nannte) zu klammern, sich selbst, die eigene Familie und die eigene Nation zu verschonen.
Die Zukunft wird zeigen, ob die Ungarn während ihres zweiten Experiments mit Viktor Orbán ihre angenehmen Illusionen, so wie bei den Vorgängern, von Antall bis Gyurcsány, fallen lassen müssen. Eine noch wichtigere Frage für die Zukunft ist die europäische Dimension des ungarischen Sonderweges zu Orbáns "System der Nationalen Zusammenarbeit". Die Gesetze über die doppelte Staatsbürgerschaft und der Tag des Gedenkens für Trianon hatten
vor allem in der Slowakei, aber auch in Rumänien und Serbien Ängste, nationalistische Gegenreaktionen und eine Gewissenserforschung auch bei den Minderheiten ausgelöst. Wird die Regierung Orbán den offensiven Nationalismus aus der Oppositionszeit fortsetzen, und wie wird sie auf wahrscheinliche Provokationen der von fanatischem Wunschdenken getriebenen Rechtsextremisten von Jobbik reagieren?
Die Publizistin Krisztina Koenen hatte in der Welt gewarnt, Ungarn als einziger gefestigter Nationalstaat in der Region habe das Potenzial, mit sich selbst auch seine ganze Umgebung zu destabilisieren. Die historischen Erfahrungen zeigen, dass die am Donauraum aus geografischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen interessierten Staaten, vor allem also Österreich und Deutschland, ein eminentes Interesse am Erfolg der Europäisierung im Gegensatz zum Wiederaufleben des selbstmörderischen Nationalismus haben. Die deutsch-französische Versöhnung oder der österreichisch-italienische Weg zum Südtirol-Kompromiss sollten als Wegweiser für die Entschärfung der Trianon-Erbschaft in den Beziehungen zwischen Ungarn und den Nachbarländern mit großen ungarischen Minderheiten dienen. Nicht nur die politische Elite Ungarns, sondern auch Österreich und Deutschland und darüber hinaus die EU tragen eine besondere Verantwortung dafür, dass die Kräfte der Besonnenheit letzten Endes in Budapest und in der ganzen Region die Oberhand gewinnen. Vielleicht sollten sich die Ungarn und alle Mitteleuropäer an Karl Kraus erinnern: "Am Chauvinismus ist nicht so sehr die Abneigung gegen die fremden Nationen als die Liebe zur eigenen unsympathisch." (Paul Lendvi/DER STANDARD, ALBUM, 9./10.10.2010)
Prof. Paul Lendvai ist Publizist, Leiter des ORF-"Europastudios", Chefredakteur der "Europäischen Rundschau" und Standard-Kolumnist. Dieser Text ist das (leicht gekürzte) Schlusskapitel seines soeben erschienenen Buchs "Mein verspieltes Land. Ungarn im Umbruch".
Quelle: http://derstandard.at/1285200409421/Ungarn-Orban-ueber-alles
Der überwältigende Fidesz-Sieg bei der Parlamentswahl von April 2010 hat in Ungarn die Weichen für ein völlig neues System gestellt. Ministerpräsident Viktor Orbán nennt es das "System der Nationalen Zusammenarbeit" und lässt den schwülstigen Text des Manifests über die "Revolution an den Urnen", von seiner Zweidrittelmehrheit gehorsam bewilligt, in allen Ämtern (in einem 50 mal 70 Zentimeter großen Glasrahmen) aushängen.
Kritiker sprechen von dem unaufhaltsamen Gang in Richtung einer autoritären Ordnung, einer Politik der starken Hand, die die 1989-1990 eingebauten demokratischen Sicherungen und verfassungsmäßigen Grenzen der Macht im Blitztempo aus dem Weg räumt. Orbán rühmte sich in seiner Schlussrede nach der ersten Sitzungsperiode des neuen Parlaments, sein "nationales Zentrum" hätte in 56 Tagen mehr getan als die sozial-liberalen Regierungen in acht Jahren. Niemand kann nach dem schwungvollen Anfang des neuen Regimes daran zweifeln, dass der siegreiche Fidesz-Führer seine vor einem Jahr bei einer geschlossenen Veranstaltung zum ersten Mal geäußerten Gedanken über die Schaffung eines nationalen Zentrums im Gewand einer einzigen großen Partei tatsächlich verwirklichen will.
Worin liegt also die Einzigartigkeit des Sieges von Orbán im Endkampf gegen Sozialisten und Liberale? Wieso war es ihm überhaupt möglich, eine Zweidrittelmehrheit zu schaffen? Was sind die Folgen dieser politischen Weichenstellung für Ungarn und Europa?
Bei der Bewertung des auch im europäischen Maßstab außerordentlichen Erfolgs des Fidesz muss man allerdings auch den mehrheitsfördernden Effekt des ungarischen Wahlsystems in Betracht ziehen. Mit einem Anteil von über 52 Prozent konnte Fidesz nach zwei Wahlgängen am 11. und 25. April 2010 (zusammen mit der winzigen Satellitenpartei, der Christdemokratischen Volkspartei) mehr als zwei Drittel der Parlamentssitze gewinnen. Wenn man auch bedenkt, dass die Wahlbeteiligung nur 64 Prozent betrug, ist an der Tatsache nicht zu rütteln, dass Fidesz mit den Stimmen eines Drittels der Wahlberechtigten 68 Prozent der Parlamentssitze gewinnen konnte.
Angesichts des Geredes über das "System der Nationalen Zusammenarbeit" wies der scharfe Orbán-Kritiker, sein Biograf József Debreczeni, es als "eine auf lauter Lügen aufgebaute Geschichtsfälschung" zurück. Die auf die Fidesz-Liste abgegebenen 2,7 Millionen Stimmen machten knapp mehr als die Hälfte der tatsächlichen Stimmen, rund ein Drittel der Wahlberechtigten und etwa ein Viertel der Bevölkerung aus. Man könne also den Fidesz kaum als den Träger "des ungeteilten Willens der einheitlichen ungarischen Nation" bezeichnen.
In Wirklichkeit handelt es sich zwar um eine Zäsur in der politischen Geschichte Ungarns, allerdings keineswegs im Sinne der Schaffung eines Systems der nationalen Einheit nach einer "erfolgreichen Revolution an den Urnen", nach einer "historischen Tat der ungarischen Nation". Die hochmütigen Phrasen in dem von der parlamentarischen Mehrheit angenommenen "Manifest der Nationalen Zusammenarbeit" dienen nur als Dekoration für das Übergewicht der rechten und extrem rechten Kräfte im neuen Parlament. Es wäre allerdings unklug, die politische Brisanz der Jobbik, der neuen Kraft am extrem rechten Rand, zu unterschätzen. Für Orbán kann die rechtsradikale Partei im Falle der Verschlechterung der Wirtschaftslage gefährlich werden. Man muss auch betonen, dass die Gefahr für die absehbare Zukunft nur von rechts droht.
Warum? Es geht nicht nur darum, dass Jobbik, nicht zuletzt dank der Publizität um die Ungarische Garde, fast 17 Prozent der Stimmen und damit 47 Mandate gewonnen hat. Beobachter sehen eine potenzielle Gefahr auch darin, dass die Rechtsradikalen bei der Jugend außerordentlich stark sind. So stimmten 23 Prozent der zwischen 18 und 29 Jahre alten Wähler für Jobbik. Die Partei schnitt im Nordosten und Osten, in Regionen mit einem relativ hohen Roma-Anteil besonders gut ab. Die nationalistische, fremden- und romafeindliche sowie offen antisemitische Rhetorik wurde von den rechten Medien ausführlich wiedergegeben. Bei der Anziehungskraft der Jobbik für junge Wähler spielen auch die rechtsextremen Internetportale wie Kuruc.info und Barikad.hu eine wichtige, wenn auch von den der ungarischen Sprache nicht mächtigen Beobachtern oft ignorierte Rolle.
Es darf nicht verschwiegen werden, dass Orbán sich weder in der Kampagne für die Europawahlen im Juni 2009 noch vor den ungarischen Parlamentswahlen 2010 eindeutig und öffentlich vom extrem rechten Rand distanziert hat. Als er bei einer geschlossenen Sitzung mit Studenten befragt wurde, wie er als Ministerpräsident mit der Jobbik umzugehen gedenke, antwortete er salopp: Wie Horthy sich gegenüber den Pfeilkreuzlern verhielt, so würden die Jobbik-Leute von ihm auch "zwei Ohrfeigen kriegen, und damit hat sich's ..."
Die ideell-politische Nähe zwischen vielen Abgeordneten der 262 Mann starken Fidesz-Fraktion und den 47 Jobbik-Leuten im Parlament dürfte eine doppelbödige Strategie der Regierungspartei ermöglichen: durch die Zerschlagung der Gruppe der unverbesserlichen Extremisten und durch "Inhalieren" der paktfähigen Aufsteiger aus dem Jobbik-Lager die Lufthoheit in Sachen "Sammelpartei der Rechten" zu gewinnen. Dass übrigens der offensiv-nationale und rechtskonservativ-klerikale Kurs der Orbán-Regierung auf keinen Widerstand der Bevölkerung stößt, zeigen die letzten Umfragen, wonach über 70 Prozent der Befragten eine starke Regierung ohne Parteienhader und 50 Prozent sogar eine einzige dominante Partei wünschen. In ihrem "Manifest der Nationalen Zusammenarbeit" heben die erfolgreichen Fidesz-"Revolutionäre" die folgenden Säulen des "durch den Volkswillen entstandenen neuen politischen und wirtschaftlichen Systems" und "der Verbindung zwischen den Angehörigen der vielfarbigen ungarischen Nation" hervor: "Arbeit, Heim, Familie, Gesundheit und Ordnung". In der Präambel der Trianon-Deklaration (der Trianon-Vertrag wurde am 4. Juni 1920 unterzeichnet) zum "Tag der nationalen Zusammengehörigkeit" heißt es: "Gott ist der Herr der Geschichte". Die geplante neue Verfassung soll laut Mitgliedern des Redaktionsausschusses diverse Hinweise auf Gott, die christlichen Wurzeln des Ungartums und die Heilige Stephans-Krone enthalten.
Die verschiedenen hochtrabenden Reden Orbáns und die salbungsvollen Deklarationen bei den nationalen Feierlichkeiten lassen die Mahnung in Erinnerung rufen, welche Helmut Schmidt in einem Gespräch mit dem Historiker Fritz Stern geäußert hat: "Die Erziehung des Volkes zu einem Ideal hin oder in Richtung auf einen Wertekanon ist eigentlich nicht Sache der Politik und schon überhaupt nicht Sache der Regierungen. Natürlich gibt es immer wieder Politiker, die sich damit schmücken, dass sie pädagogischen oder volkserzieherischen Prinzipien folgen ... Politische Führer, die gleichzeitig kulturelle Führer sein wollen, sind mir zutiefst verdächtig."
Als der Publizist József Debreczeni, der ehemalige konservative Abgeordnete, in den letzten Jahren in aufsehenerregenden Artikeln und auch in seiner groß angelegten Orbán-Biografie vor den Folgen des bedenkenlosen Opportunismus und der unersättlichen Gier nach Macht warnte, fanden selbst manche liberale oder linke Fidesz-Gegner seine Analysen und Warnungen vor einer Zweidrittelmehrheit übertrieben pessimistisch. Im Epilog seines Werkes schrieb er: "Im Besitz der Verfassungsmehrheit kann er das Mandat in eine uneinnehmbare Festung der Macht umbauen. Man sollte keine Zweifel haben, dass Orbán hemmungslos und restlos die in seine Hände geratene Macht ausnutzen wird." Die seit dem Wahlsieg erfolgten Verschiebungen im Herrschafts- und Gesellschaftsgefüge bestätigen vollauf Debreczenis düstere Voraussagen.
Zwischen 2002 und 2010 bot das sozialistisch-liberale Lager ein jämmerliches, ja zuweilen ekelerregendes Bild von Filz, Vetternwirtschaft und politischer Verkommenheit. Die total diskreditierten Sozialisten bilden für die absehbare Zukunft keine schlagkräftige Opposition. Die meisten linksliberalen Politiker allerdings haben sich jahrzehntelang in der Brutstätte der Korruption und in dem von ihr genährten Klientelsystem bestens zurechtgefunden. Bei seinem Griff nach der absoluten Machtfülle konnte Orbán ohne den Widerstand einer funktionierenden Zivilgesellschaft den weit verbreiteten Wunsch nach einer starken, ordnenden Hand erfüllen. In einem tief enttäuschten linken Kreis kursierte vor Jahren das Bonmot: "Gyurcsány will das Gute, aber er macht es schlecht; Orbán will das Böse, aber er macht es gut ..."
Der willensstarke Stratege der Macht und gewiefte Taktiker der innerparteilichen Flurbereinigung wollte nach seinem Wahlsieg schnell und unwiderruflich die Rahmenbedingungen schaffen, um den Fidesz zum alleinherrschenden Machtfaktor in jenem "zentralen politischen Kraftfeld" zu machen, wo er für die "kommenden 15 bis 20 Jahre" von der Opposition unbehindert schalten und walten kann. Zur Verwirklichung dieses im demokratischen Europa einzigartigen Vorhabens musste Orbán rechtlich und faktisch die 1989 bis 1990 geschaffenen Verfassungsgarantien der Machtteilung rechtzeitig abschaffen. Es ging dabei um sachliche und personelle Entscheidungen, die der 47-jährige starke Mann in 56 Tagen nach Belieben treffen konnte. Der potenziell wichtigste und selbst in konservativen Kreisen Befremden und Erstaunen auslösende Beschluss war die Nominierung Pál Schmitts, des olympischen Medaillengewinners als einstiges Mitglied der ungarischen Fechtermannschaft in Mexiko und München, zum nächsten Staatspräsidenten. Der 68-jährige Vizepräsident von Fidesz ist eine zwar populäre Figur, doch zugleich ein politisches Leichtgewicht. Als Vizepräsident des Sportministeriums gehörte Schmitt zur privilegierten Machtelite des Kádár-Regimes. Er hatte dem kommunistischen System ebenso verlässlich gedient wie sowie die Ombudsmänner. Schmitt wird kaum je solche Persönlichkeiten ernennen oder vorschlagen, die gegenüber der Regierung kritisch eingestellt sind.
Viktor Orbán hat auf allen Ebenen eine beispiellose Umbesetzungswelle ins Rollen gebracht. Von der Armeespitze zu den Polizeichefs, vom Katastrophenschutz zum Pferderennen, von der Lotterie zu den Staatsbahnen, von der Rentenversicherung zum Statistischen Zentralamt wurden Fidesz-Kader eingesetzt oder traten manche Amtsleiter von sich aus zurück. Die umstrittensten Ernennungen erfolgten an der Spitze des Rechnungshofes und der Finanzaufsicht. Nicht Experten, sondern zwei Fidesz-Abgeordnete kamen zum Zug, die Presseberichten zufolge selbst wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten keine weiße Weste hatten. Ein neues Gesetz sorgt dafür, dass die Staatsbeamten jederzeit und ohne Begründung mit zweimonatiger Kündigungsfrist entlassen werden können. Dass Orbán auf die Empfindlichkeiten der geschlagenen Gegner keine Rücksicht nimmt, zeigt übrigens die Tatsache, dass er zum Vorsitzenden des Parlaments seinen engsten Weggefährten, jenen Laszlo Kövér, eingesetzt hat, der während der letzten zwei Jahrzehnte wiederholt mit den derbsten Ausdrücken die Gegner, zuletzt den damaligen Premier Gyurcsány, beschimpft hatte.
Wichtiger als diese Stilbrüche ist die totale Machtübernahme im Medienbereich. Alle staatlichen Medien, die Fernseh- und Radiosender sowie die Nachrichtenagentur MTI werden von der neuen Nationalen Medien- und Telekommunikationsbehörde zusammengefasst und kontrolliert. In einer zweiten Phase werden die Chefs bestellt und auch die privaten Medien, zumindest was ihre Programme betrifft, ins Visier genommen. Die Zusammensetzung aller Organe wird natürlich durch die Zweidrittelmehrheit des Fidesz bestimmt. Orbán hat bereits Anfang August eine langjährige Fidesz-Medienexpertin für neun Jahre (!) zur Chefin dieser Behörde ernannt. Die Proteste der verschiedenen internationalen Medieninstitutionen werden, abgesehen vom aggressiven Selbstmitleid der kritisierten Fidesz-Presseleute, kaum Wirkung haben.
Man darf allerdings bei der Abwägung der zukünftigen Chancen des Orbán-Regimes die bereits sofort nach der Machteroberung sogar international offensichtlich gewordene Mischung aus Dilettantismus, grenzenlosem Populismus und Voluntarismus (laut Duden: "die philosophische Lehre, die den Willen als Grundprinzip des Seins ansieht") nicht übersehen. Bereits Monate vor der Wahl hatten, mit Orbán angefangen, alle Fidesz-Politiker der Regierung Bajnai Budgetfälschung unterstellt und die dem Fidesz nahestehenden Medien über die Bedeutung der vielen "Leichen im Keller" spekuliert. Statt der offiziellen Angaben über ein voraussichtliches Budgetdefizit in der Höhe von 3,8 bis vier Prozent hatten die Fidesz-Wirtschaftssprecher verkündet, es könnte sechs bis 7,5 Prozent erreichen. In den ersten Junitagen hatte Lajos Kósa, der stellvertretende Fidesz-Chef und Bürgermeister von Debrecen, bei einer Wirtschaftskonferenz die Bombe gezündet: Er verglich den Zustand der ungarischen Staatsfinanzen mit dem der griechischen und sprach von der Gefahr eines Staatsbankrotts.
Statt das Feuer zu löschen, schüttete einen Tag später der Sprecher Orbáns, Péter Szijjártó, weiter Benzin auf die Flammen: Es sei keine Übertreibung, über einen Staatsbankrott zu sprechen, und er fügte noch stolz hinzu, jeder Politiker dürfe es als eine Ehre betrachten, wenn nach einem Wort von ihm Börsen- und Wechselkurse in Bewegung kommen ...
Die durchsichtige Diskreditierungskampagne der Amateure gegen die Vorgänger erwies sich bald als ein folgenschwerer Bumerang. Der dilettantische Versuch, die Wählererwartungen nach den vielen Wahlversprechungen zu dämpfen, schickte den Forint auf Talfahrt und hat dem Image Ungarns laut allen ausländischen Beobachtern ernsthaften Schaden zugefügt. Der Abbruch der Gespräche mit der Delegation des Internationalen Währungsfonds, die Einführung der - gemessen an der Wirtschaftsleistung - höchsten Bankenabgabe der Welt und nicht zuletzt die trotzigen nationalistischen Reaktionen des Ministerpräsidenten haben laut der angesehenen Finanzexpertin Zita Mária Petschnig das anfängliche Vertrauen der Auslandsinvestoren größtenteils verspielt. Angesichts der beinahe totalen Kontrolle über Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, Geheimdienste und staatliche Medien wird die Regierung weiterhin versuchen, alle Schuld auf die Vorgänger abzuschieben.
Der Ablenkung wird auch die bereits angelaufene Jagd nach Sündenböcken dienen. Die von Orbán und seinen Getreuen am laufenden Band verbreiteten Phrasen eines völkischen Antikapitalismus gegen die heimischen Oligarchen und die fremden Spekulanten und über den Schutz der "fleißig arbeitenden ungarischen Menschen" ziehen noch immer, so scheint es zumindest im Spiegel der Umfragen.
Dass die mit Orbán persönlich befreundeten, weitaus reichsten ungarischen Forintmilliardäre von Spitzenbankiers bis zu Großindustriellen und Ölbaronen fast alle Fäden in der Hand haben, wissen natürlich nur die eingeweihten Beobachter. "Macht ohne Missbrauch verliert an Reiz", meinte Paul Valéry schon Anfang des 20. Jahrhunderts. Das galt freilich auch für alle Regierungen seit der Wende. Das Schweigen und Verschweigen prägen nicht nur die Aufarbeitung der Vergangenheit, wie Fritz Stern in seinem Buch Das feine Schweigen erläutert hat, sondern auch das Krebsübel der Korruption im politisch-sozialen Bereich. Die Ungarn sind wie die meisten Menschen geneigt, sich an "angenehme Illusionen" (wie Edmund Burke es nannte) zu klammern, sich selbst, die eigene Familie und die eigene Nation zu verschonen.
Die Zukunft wird zeigen, ob die Ungarn während ihres zweiten Experiments mit Viktor Orbán ihre angenehmen Illusionen, so wie bei den Vorgängern, von Antall bis Gyurcsány, fallen lassen müssen. Eine noch wichtigere Frage für die Zukunft ist die europäische Dimension des ungarischen Sonderweges zu Orbáns "System der Nationalen Zusammenarbeit". Die Gesetze über die doppelte Staatsbürgerschaft und der Tag des Gedenkens für Trianon hatten
vor allem in der Slowakei, aber auch in Rumänien und Serbien Ängste, nationalistische Gegenreaktionen und eine Gewissenserforschung auch bei den Minderheiten ausgelöst. Wird die Regierung Orbán den offensiven Nationalismus aus der Oppositionszeit fortsetzen, und wie wird sie auf wahrscheinliche Provokationen der von fanatischem Wunschdenken getriebenen Rechtsextremisten von Jobbik reagieren?
Die Publizistin Krisztina Koenen hatte in der Welt gewarnt, Ungarn als einziger gefestigter Nationalstaat in der Region habe das Potenzial, mit sich selbst auch seine ganze Umgebung zu destabilisieren. Die historischen Erfahrungen zeigen, dass die am Donauraum aus geografischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen interessierten Staaten, vor allem also Österreich und Deutschland, ein eminentes Interesse am Erfolg der Europäisierung im Gegensatz zum Wiederaufleben des selbstmörderischen Nationalismus haben. Die deutsch-französische Versöhnung oder der österreichisch-italienische Weg zum Südtirol-Kompromiss sollten als Wegweiser für die Entschärfung der Trianon-Erbschaft in den Beziehungen zwischen Ungarn und den Nachbarländern mit großen ungarischen Minderheiten dienen. Nicht nur die politische Elite Ungarns, sondern auch Österreich und Deutschland und darüber hinaus die EU tragen eine besondere Verantwortung dafür, dass die Kräfte der Besonnenheit letzten Endes in Budapest und in der ganzen Region die Oberhand gewinnen. Vielleicht sollten sich die Ungarn und alle Mitteleuropäer an Karl Kraus erinnern: "Am Chauvinismus ist nicht so sehr die Abneigung gegen die fremden Nationen als die Liebe zur eigenen unsympathisch." (Paul Lendvi/DER STANDARD, ALBUM, 9./10.10.2010)
Prof. Paul Lendvai ist Publizist, Leiter des ORF-"Europastudios", Chefredakteur der "Europäischen Rundschau" und Standard-Kolumnist. Dieser Text ist das (leicht gekürzte) Schlusskapitel seines soeben erschienenen Buchs "Mein verspieltes Land. Ungarn im Umbruch".
Quelle: http://derstandard.at/1285200409421/Ungarn-Orban-ueber-alles
Mittwoch, 19. Mai 2010
In Ungarn dürfen die Neonazis alles
Am 17. Mai 2010 standen mitten in Budapest, am Ferenciek tere, an den Stiegen zur U-Bahn 3, zwei Personen, die in Uniformen der ungarischen Nazis, der Pfeilkreuzler, gekleidet waren und verteilten dieses Flugblatt:
Tod dem Liberalismus!
Erwache, bevor Dich der falsche Schein erwürgt! Zwei Jahrzehnte liberaler Demokratie haben nichts gebracht außer Qual und Leiden, das totale moralische, geistige und soziale Elend, das noch ärger werden wird! Eine Besserung kann nur ein neues, nationalistisches und sozialistisches System bringen, das das bisherige System vollständig auslöscht! Wähle nicht zwischen den Parteien, die sich an korrupten Machspielereien beteiligen, sondern lerne den ungarischen Nationalsozialismus kennen, nicht von seinen Gegnern, sondern von seinen Fahnenträgern!
Pax Hungarica Bewegung
www.mozgalom.org
Postfachadresse: 1593 Bp., Pf. 722
Wähle nicht, sondern wehre Dich!
Quelle: http://antifa-hungary.blogspot.com/2010/05/magyarorszag-az-ujnyilasoknak-mindent.html
Tod dem Liberalismus!
Erwache, bevor Dich der falsche Schein erwürgt! Zwei Jahrzehnte liberaler Demokratie haben nichts gebracht außer Qual und Leiden, das totale moralische, geistige und soziale Elend, das noch ärger werden wird! Eine Besserung kann nur ein neues, nationalistisches und sozialistisches System bringen, das das bisherige System vollständig auslöscht! Wähle nicht zwischen den Parteien, die sich an korrupten Machspielereien beteiligen, sondern lerne den ungarischen Nationalsozialismus kennen, nicht von seinen Gegnern, sondern von seinen Fahnenträgern!
Pax Hungarica Bewegung
www.mozgalom.org
Postfachadresse: 1593 Bp., Pf. 722
Wähle nicht, sondern wehre Dich!
Quelle: http://antifa-hungary.blogspot.com/2010/05/magyarorszag-az-ujnyilasoknak-mindent.html
Samstag, 15. Mai 2010
Éredekes világnézetek
voltam olyan szemtelen és szétküldtem az iwiw-en a felhívást a jobbik ellenes tűntetésre. 25 éves valamikori tanítványom, ma végzett gépészmérnök, ha jól emlékszem, nem volt rest és válaszolt.
Szia!
Én nem akarok vitatkozni, de ezzel nagyon nem értek egyet, s nem tartom helyesnek, hogy ilyenfajta tüntetéseket kelljen szervezni. Értelmetlen az egész. Tűlságosan fel vannak nagyítva a médiában a Jobbikkal kapcsolatos dolgok. Nincs Magyarországon semmiféle antiszemitizmus, nincs semmiféle antifasiszta erő. Ez téves manipuláció, amin szeretnek lovagolni egyesek a médiában és azon kívül. [Nézd majd csak meg, hogy a Parlamentben való politizáláshoz szélsőséges hangnemben, semmire nem fognak majd menni a Jobbikosok. Már most visszavettek azóta, hogy már látszott, hogy be fognak jutni a Parlamentbe.] Magyaroszágnak nem az a problémája, hogy a Jobbik benn van, bekerült a Parlamentben.
Mondom ezt most mind úgy, hogy nem vagyok Jobbikos!
A KÖZTÁRSASÁG VÁLSÁGA nem mélyült ezzel tovább. Amilyen állapotba az ország és a Köztársaság került, az az elmúlt szomrú 8 év eredménye. S ez mára már tény. Aki pedig ezt cáfolja, az nem mond igzat. Legfőképpen 2006 ősze óta van/volt erkölcsi válság...
Nem is folytatom...
Egyszerűen nagyon nem értek egyet az ellentüntetésekkel, bármi féle fajta is legyen az. Ez további provokációt és erőszakot szülhet, ami csak tovább rontja a helyzetet, ami nincs is. Az országnak egyáltalán nincs szüksége ilyen tüntetéseknek!
Az ország felemelkedéséhez összefogásra van szükség és nem pedig széthúzásra, provokációra. Most már az ország újjáépítése a feladata nem csak az új magyar országgyűlésnek, hanem minden magyar állampolgárnak is.
A levelemet nem kell személyesnek venni. Ezt úgy általánosan a felhívásra reagálva írtam meg.
Üdv.
K. Gábor
Ui: A demokrácia annak is fontos marad, aki ilyen értelmetlen, buta tüntetésre nem megy el.
------------
szia!
ugye te sem tudsz nagyon elvonatkoztatni a partpropagandától, mint ahogy olyan sokan.
de amikor mondtad egyszer az órán, hogy én ezt nem érthetem, mert nem vagyok magyar, bár kb. akkor jöttem ide, amikor te ledobtad a pelenkát, tudom, hogy soha nem fogjuk megérteni egymást, tehát tök fölösleges egymással beszélgetni.
clemens
-----------
Szia!
Biztos, hogy ilyet szó szerint nem mondtam az órán. Az sosem zavart, hogy más országból MO-ra jöttek itt élni és boldogulni külföldről emberek.
(Az itt élő emberek többségének ma nem az a legnagyobb problémája amúgy, hogy a Jobbik bekerült a Parlamentbe. Ennél vannak sokkal életbevágó fontosabb dolgok, amik megoldásra várnak. De ha már itt tartunk engem speciál sokkal inkább zavar, hogy megint bekerült egy Liberális párt, a zöldes szlogenük nem nagyon hatott meg. A zöldebb, tisztább országot is a parlementi többségnek kell megoldani, egy 16 fős frakció nem tud semmit csinálni. Gyakorlatilag minden választás után az van, hogy a kormányzó többség diktál, a többi pedig csak véleményt formál, ellenez vagy aszisztál.)
Hát igen, ilyen jellegű témában, akkor valóban nem sok értelme van eszmecserére, de másban ettől függetlenül igen. De ahogy gondolod.
Amúgy elért valamit a tüntetés? Nem is lehetett róla semmit hallani a hírekben. Pedig figyeltem, ha már így szóltál a tüntetéssel kapcsolatban.
[A parlamentális demokrácia az pedig nem más, mint népképviseleti diktatúra, de ennél jobbat nemigazán találtak ki. Ha viszont visszatekintünk a történelemben, azt láthatjuk, hogy mindenhol a világon a diktatúrák során voltak a leghatékonyabb az egyes országok. Ami szintén tény, nem mintha visszakéne sírni bármi ilyet. De pl. Ókori Egyiptom, Római Birodalom (ha később fel is bomlottak), különféle királyságok, de mégis csak sikeres, hatékony fejlődések voltak azon idők alatt. Vagy pl. ma Kínának is igen jól megy féldiktatúra között előrébb jutattnia saját országukat. Ezt csak úgy nagyon zárójelesen, vmiért eszembe jutott a minap, gondoltam megosztom.]
Jó hétvégét!
Üdv,
Gábor
Szia!
Én nem akarok vitatkozni, de ezzel nagyon nem értek egyet, s nem tartom helyesnek, hogy ilyenfajta tüntetéseket kelljen szervezni. Értelmetlen az egész. Tűlságosan fel vannak nagyítva a médiában a Jobbikkal kapcsolatos dolgok. Nincs Magyarországon semmiféle antiszemitizmus, nincs semmiféle antifasiszta erő. Ez téves manipuláció, amin szeretnek lovagolni egyesek a médiában és azon kívül. [Nézd majd csak meg, hogy a Parlamentben való politizáláshoz szélsőséges hangnemben, semmire nem fognak majd menni a Jobbikosok. Már most visszavettek azóta, hogy már látszott, hogy be fognak jutni a Parlamentbe.] Magyaroszágnak nem az a problémája, hogy a Jobbik benn van, bekerült a Parlamentben.
Mondom ezt most mind úgy, hogy nem vagyok Jobbikos!
A KÖZTÁRSASÁG VÁLSÁGA nem mélyült ezzel tovább. Amilyen állapotba az ország és a Köztársaság került, az az elmúlt szomrú 8 év eredménye. S ez mára már tény. Aki pedig ezt cáfolja, az nem mond igzat. Legfőképpen 2006 ősze óta van/volt erkölcsi válság...
Nem is folytatom...
Egyszerűen nagyon nem értek egyet az ellentüntetésekkel, bármi féle fajta is legyen az. Ez további provokációt és erőszakot szülhet, ami csak tovább rontja a helyzetet, ami nincs is. Az országnak egyáltalán nincs szüksége ilyen tüntetéseknek!
Az ország felemelkedéséhez összefogásra van szükség és nem pedig széthúzásra, provokációra. Most már az ország újjáépítése a feladata nem csak az új magyar országgyűlésnek, hanem minden magyar állampolgárnak is.
A levelemet nem kell személyesnek venni. Ezt úgy általánosan a felhívásra reagálva írtam meg.
Üdv.
K. Gábor
Ui: A demokrácia annak is fontos marad, aki ilyen értelmetlen, buta tüntetésre nem megy el.
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szia!
ugye te sem tudsz nagyon elvonatkoztatni a partpropagandától, mint ahogy olyan sokan.
de amikor mondtad egyszer az órán, hogy én ezt nem érthetem, mert nem vagyok magyar, bár kb. akkor jöttem ide, amikor te ledobtad a pelenkát, tudom, hogy soha nem fogjuk megérteni egymást, tehát tök fölösleges egymással beszélgetni.
clemens
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Szia!
Biztos, hogy ilyet szó szerint nem mondtam az órán. Az sosem zavart, hogy más országból MO-ra jöttek itt élni és boldogulni külföldről emberek.
(Az itt élő emberek többségének ma nem az a legnagyobb problémája amúgy, hogy a Jobbik bekerült a Parlamentbe. Ennél vannak sokkal életbevágó fontosabb dolgok, amik megoldásra várnak. De ha már itt tartunk engem speciál sokkal inkább zavar, hogy megint bekerült egy Liberális párt, a zöldes szlogenük nem nagyon hatott meg. A zöldebb, tisztább országot is a parlementi többségnek kell megoldani, egy 16 fős frakció nem tud semmit csinálni. Gyakorlatilag minden választás után az van, hogy a kormányzó többség diktál, a többi pedig csak véleményt formál, ellenez vagy aszisztál.)
Hát igen, ilyen jellegű témában, akkor valóban nem sok értelme van eszmecserére, de másban ettől függetlenül igen. De ahogy gondolod.
Amúgy elért valamit a tüntetés? Nem is lehetett róla semmit hallani a hírekben. Pedig figyeltem, ha már így szóltál a tüntetéssel kapcsolatban.
[A parlamentális demokrácia az pedig nem más, mint népképviseleti diktatúra, de ennél jobbat nemigazán találtak ki. Ha viszont visszatekintünk a történelemben, azt láthatjuk, hogy mindenhol a világon a diktatúrák során voltak a leghatékonyabb az egyes országok. Ami szintén tény, nem mintha visszakéne sírni bármi ilyet. De pl. Ókori Egyiptom, Római Birodalom (ha később fel is bomlottak), különféle királyságok, de mégis csak sikeres, hatékony fejlődések voltak azon idők alatt. Vagy pl. ma Kínának is igen jól megy féldiktatúra között előrébb jutattnia saját országukat. Ezt csak úgy nagyon zárójelesen, vmiért eszembe jutott a minap, gondoltam megosztom.]
Jó hétvégét!
Üdv,
Gábor
Sonntag, 11. April 2010
Ungarn ist angekommen
Daran kann sogar ich Vielgeprüfter nicht wortlos vorübergehen: Es ist halb zehn, und es gibt noch keine Ergebnisse der ungarischen Parlamentswahlen. Nicht weil sich die Auszähler in den Haaren liegen würden oder zu langsam wären - nein: wegen der großartigen und in den meisten Ländern der Welt völlig unbekannten Einrichtung des Kampagnenverbots. Von Samstag 0 Uhr bis Sonntag 19 Uhr, da schließen normalerweise die Wahllokale, darf nicht einmal im Nebensatz von Politik gesprochen werden, weil jedes kleine linke oder rechte Hüsteln laut Gesetzgeber zur Beeinflussung des Wählerwillens geeignet ist — der Wähler wird vom Gesetzgeber also als lallendes Kindlein, das man mit ein paar Pralinen verführen kann, als absoluter Vollidiot behandelt.
Das ungarische Staatsfernsehen hat pünktlich um 7 mit der Berichterstattung begonnen, sie aber dann nach einer viertel Stunde abgewürgt, weil die Nationale Wahlbehörde um zehn vor 7, so lange hat es wohl gedauert, bis die Nachricht zu den Medien vordrang, beschlossen, daß das Kampagnenverbot verlängert wird, bis der letzte Wähler seine Stimme abgegeben hat.
Der letzte Wähler hat seine Stimme noch nicht abgegeben, da man mit der Bestätigung eine Amtsnotars fern von seinem Wohnort abstimmen kann. Das ist aber in einem Bezirk, einem Wahlkreis nur in einem bestimmten Wahllokal möglich, weil man sich davor fürchtet, daß mache mit der Bestätigung in mehrere Wahllokale abstimmen gehen.
Hier setzt meine österreichische Logik aus. Hier verstehe ich nix mehr. In Afrika und in Ländern mit hohen Analphabetenraten werden die Leute abgestempelt, damit sie nicht 2x abstimmen. In Österreich gibt es eine Wahlkarte, einen Zettel, den man abgibt. Aus. Dann kann man nicht mehr abstimmen.
Hier war es nicht möglich, dieses scheinbar äußerst schwierige Problem zu lösen, deshalb stehen auch jetzt noch 300 Leute an verschiedenen Wahllokalen an, um ihre Stimme abzugeben. Um 19 Uhr wurden die Schlangen abgeschlossen und alle, die anstanden, dürfen noch abstimmen gehen.
Die Nationale Wahlbehörde hält wieder eine Sitzung, sie wird im Fernsehen übertragen: Alte Männer in schlecht sitzenden Anzügen, die mit blechernen, papierungarischen Sätzen versuchen, ihre Fehlentscheidung zu begründen und inzwischen schon die Schuld auf den Gesetzgeber schieben, in dem sie z.B. vorrechnen, daß eine Stunde 60 Minuten hat.
Ich denke, es ist schön-böser Zynismus, der die Redakteure des Staatsfernsehens dazu bewog, Boban Markovic als Pausenfüller auszuwählen. Ein Balkanisches Blechblasorchester. Wenn Ungarn bisher auf dem Weg zum Balkan war – jetzt ist es endlich angekommen.
Das ungarische Staatsfernsehen hat pünktlich um 7 mit der Berichterstattung begonnen, sie aber dann nach einer viertel Stunde abgewürgt, weil die Nationale Wahlbehörde um zehn vor 7, so lange hat es wohl gedauert, bis die Nachricht zu den Medien vordrang, beschlossen, daß das Kampagnenverbot verlängert wird, bis der letzte Wähler seine Stimme abgegeben hat.
Der letzte Wähler hat seine Stimme noch nicht abgegeben, da man mit der Bestätigung eine Amtsnotars fern von seinem Wohnort abstimmen kann. Das ist aber in einem Bezirk, einem Wahlkreis nur in einem bestimmten Wahllokal möglich, weil man sich davor fürchtet, daß mache mit der Bestätigung in mehrere Wahllokale abstimmen gehen.
Hier setzt meine österreichische Logik aus. Hier verstehe ich nix mehr. In Afrika und in Ländern mit hohen Analphabetenraten werden die Leute abgestempelt, damit sie nicht 2x abstimmen. In Österreich gibt es eine Wahlkarte, einen Zettel, den man abgibt. Aus. Dann kann man nicht mehr abstimmen.
Hier war es nicht möglich, dieses scheinbar äußerst schwierige Problem zu lösen, deshalb stehen auch jetzt noch 300 Leute an verschiedenen Wahllokalen an, um ihre Stimme abzugeben. Um 19 Uhr wurden die Schlangen abgeschlossen und alle, die anstanden, dürfen noch abstimmen gehen.
Die Nationale Wahlbehörde hält wieder eine Sitzung, sie wird im Fernsehen übertragen: Alte Männer in schlecht sitzenden Anzügen, die mit blechernen, papierungarischen Sätzen versuchen, ihre Fehlentscheidung zu begründen und inzwischen schon die Schuld auf den Gesetzgeber schieben, in dem sie z.B. vorrechnen, daß eine Stunde 60 Minuten hat.
Ich denke, es ist schön-böser Zynismus, der die Redakteure des Staatsfernsehens dazu bewog, Boban Markovic als Pausenfüller auszuwählen. Ein Balkanisches Blechblasorchester. Wenn Ungarn bisher auf dem Weg zum Balkan war – jetzt ist es endlich angekommen.
Freitag, 12. März 2010
a kerékpárjogosítvány javítja a közlekedési morált
takarítok. találtam egy hallgatói levelet, amit 2006. aug. 24-én elküldtem a napközben c. műsornak. akkor még hallgattam rádiót, főleg kossuthot... mindent tudtam az öregkori inkontinenciáról.
tisztelt szerkesztőség!
ami nagyon zavar a műsorukban, hogy valakik beszélnek valamiről - és ez olyan mint egy használtruha bolt. valaki mondja, hogy így van meg úgy van németországban - ő a szakember, mert valamikor két napig németországban tartozkodott. nem olyan nehéz az interneten utánajárni az ilyen dolgoknak, feltéve, hogy tudnak németül pl. - de kránitz balázs tud németül, ha én jól tudom.
de most az osztrák közlekedési morálhoz: ausztriában nőttem fel, most itt, a bme-n tanítok német nyelvet. nálunk azért jobb a helyzet, mert már az általános iskolában van közlekedési nevelés - nem mint itt, hogy valamikor két óra, hanem rendszeres, minden évben van fejtágítás, jön a rendőrbácsi, magyarázza a dolgokat, mutat érdekes felszerelést, még a kapitányságon is voltunk és megnéztünk még a börtöncellát is, megmutatták nekünk, mi van a rendőrautóban stb.
ami nálunk már kis korunktól biztosítja a kreszben való tájékozottságot - hogy tudjuk, mi szabad az úton és mi nem - hogy van az a lehetőség, ha a gyerek már 10 éves korától egyedül akar biciklizni (12 a törvényes határ), akkor megcsinálhat egy "bicikli-jogosítványt". s mivel - azt merem állítani - minden 10 éves gyerek egyedül szeretne biciklizni, majdnem mindenki megcsinálja ezt a jogosítványt (kresz: közlekedési táblák, elsőbbségi szabályok - pl. itt tanítják azt, hogy meg kell állni zebra előtt, ha látod, valaki át akar kelni az úton - stb. írásbeli vizsga van - olyan amit 10 éves is le tud tenni - tehát majdnem mindenkinek sikerül, és ez a tudás beívódik az emberbe, és mindig arra fog gondolni, hogy meg kell állni a zebra előtt stb.)
természetesen nálunk is vannak barmok a közlekedésben, de nagyobb az odafigyelés, mert már kiskorunkban kondicionáltak arra, hogy a közlekedésben figyelni kell, és engedni is - és soha sem szabad megbízni a többi a közlekedésben résztvevőben - tehát nem szabad abban bízni, hogy a másik engedni fog. ilyenkor "matematikai" feladatok is vannak, pl. hogy mennyivel gyorsabban érünk célba, ha száguldozunk - és ez rendszerint 3-5 perc, és még a hülye is megérti, hogy ennyiért nem ésszerű kockáztatni.
a bicikli jogosítvány különben egy igazi papír - fényképpel, pecséttel, aláírással, és jár hozzá egy kis zászlócska is, amit a biciklire lehet kötni. került az, amikor én csináltam, 25 schillingbe - de ennyit a gyerek még össze is spórol magának, mert biciklivel menni 10 évesen a nagy álom, a szabadság!
itt még az a baj még, hogy a rendőrség nem dolgozik tisztességesen. mert a kis embert cseszegetik, még a bringások is megbüntetik (mert túl gyorsan hajtottak pl.!!!) ha viszont egy csillogó mercédesz itt a ferenc körút közepén parkol, akkor nem történik semmi - a rozoga opelre raknak büntetőt...
jó, nem folytatom.
üdvözlettel:
pc
kép: (c) AOK-Mediendienst
tisztelt szerkesztőség!
ami nagyon zavar a műsorukban, hogy valakik beszélnek valamiről - és ez olyan mint egy használtruha bolt. valaki mondja, hogy így van meg úgy van németországban - ő a szakember, mert valamikor két napig németországban tartozkodott. nem olyan nehéz az interneten utánajárni az ilyen dolgoknak, feltéve, hogy tudnak németül pl. - de kránitz balázs tud németül, ha én jól tudom.
de most az osztrák közlekedési morálhoz: ausztriában nőttem fel, most itt, a bme-n tanítok német nyelvet. nálunk azért jobb a helyzet, mert már az általános iskolában van közlekedési nevelés - nem mint itt, hogy valamikor két óra, hanem rendszeres, minden évben van fejtágítás, jön a rendőrbácsi, magyarázza a dolgokat, mutat érdekes felszerelést, még a kapitányságon is voltunk és megnéztünk még a börtöncellát is, megmutatták nekünk, mi van a rendőrautóban stb.
ami nálunk már kis korunktól biztosítja a kreszben való tájékozottságot - hogy tudjuk, mi szabad az úton és mi nem - hogy van az a lehetőség, ha a gyerek már 10 éves korától egyedül akar biciklizni (12 a törvényes határ), akkor megcsinálhat egy "bicikli-jogosítványt". s mivel - azt merem állítani - minden 10 éves gyerek egyedül szeretne biciklizni, majdnem mindenki megcsinálja ezt a jogosítványt (kresz: közlekedési táblák, elsőbbségi szabályok - pl. itt tanítják azt, hogy meg kell állni zebra előtt, ha látod, valaki át akar kelni az úton - stb. írásbeli vizsga van - olyan amit 10 éves is le tud tenni - tehát majdnem mindenkinek sikerül, és ez a tudás beívódik az emberbe, és mindig arra fog gondolni, hogy meg kell állni a zebra előtt stb.)
természetesen nálunk is vannak barmok a közlekedésben, de nagyobb az odafigyelés, mert már kiskorunkban kondicionáltak arra, hogy a közlekedésben figyelni kell, és engedni is - és soha sem szabad megbízni a többi a közlekedésben résztvevőben - tehát nem szabad abban bízni, hogy a másik engedni fog. ilyenkor "matematikai" feladatok is vannak, pl. hogy mennyivel gyorsabban érünk célba, ha száguldozunk - és ez rendszerint 3-5 perc, és még a hülye is megérti, hogy ennyiért nem ésszerű kockáztatni.
a bicikli jogosítvány különben egy igazi papír - fényképpel, pecséttel, aláírással, és jár hozzá egy kis zászlócska is, amit a biciklire lehet kötni. került az, amikor én csináltam, 25 schillingbe - de ennyit a gyerek még össze is spórol magának, mert biciklivel menni 10 évesen a nagy álom, a szabadság!
itt még az a baj még, hogy a rendőrség nem dolgozik tisztességesen. mert a kis embert cseszegetik, még a bringások is megbüntetik (mert túl gyorsan hajtottak pl.!!!) ha viszont egy csillogó mercédesz itt a ferenc körút közepén parkol, akkor nem történik semmi - a rozoga opelre raknak büntetőt...
jó, nem folytatom.
üdvözlettel:
pc
kép: (c) AOK-Mediendienst
Dienstag, 9. März 2010
Wolfgang Schüssel und der Strick
[Zu einer Episode aus dem ungarischen Wahlkampf 2002 habe ich am 5. April 2002 diesen Artikel verfaßt. Das war noch vor dem ersten Wahldurchgang, bei dem Fidesz unterlag und daraufhin die Menschen aufhetzte, sodaß es Leute gibt, mit denen ich noch heute wegen damals zerstritten bin.]
Am 7. April wählt Ungarn ein neues Parlament. Die regierenden Jungdemokraten, die mit eiserner Hand in den letzten vier Jahren ihre mitunter eigenartigen Vorstellungen von Demokratie verwirklichten, bangen um ihre samtenen Sessel. Nachdem ihre Koalitionspartner, die Kleinlandwirte durch diverse Skandale es sich mit den Wählern verscherzten und mit Sicherheit nicht mehr die 5%-Hürde überspringen werden, dementiert man die eventuelle Zusammenarbeit mit der rechtsextremen MIÉP (Partei der Wahrheit und des Lebens) nicht mehr. Die letzten Tage des Wahlkampfes sind durch Schlammschlachten gekennzeichnet, und am Donnerstag hatte auch Wolfgang Schüssel seinen großen Auftritt in der ungarischen Politik.
Von den österreichischen Medien wurde Wolfgang Schüssels Kurzbesuch in Ungarn nicht wahrgenommen. Im grenznahen Köszeg unterstützte er den derzeitigen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán auf einer Wahlveranstaltung als Gastredner.
“Kanzler Schüssel ist ein mutiger Mensch, und wir brauchen den Mut, der für ihn charakteristisch ist“ – mit diesen Worten lobte Orbán seinen österreichischen Amtskollegen. Er sei ein Mensch, der die österreichischen nationalen Interessen in den Vordergrund gerückt habe und trotze dem westlichen Wind, der gegen ihn und seine Regierung blase, meinte Orbán.
Schüssel gab auf der Veranstaltung anschließend Sätze von sich, die ihm wohl ungarische Wahlkampfstrategen in den Mund gelegt haben. “Ungarn ist ein tief europäisches Land“, meinte er, “ohne das Europa nur ein Torso ist“. Weiters rühmte er die öffentliche Sicherheit in Ungarn und die guten Wirtschaftszahlen.
In den letzten vier Jahren wurde weder weniger eingebrochen als zuvor, noch weniger Autos gestohlen oder Menschen umgebracht, wie aus Statistiken ersichtlich ist, die Drogenkriminalität ist dank des strengsten Drogengesetzes Europas um mehrere 100% gestiegen; die positiven Wirtschaftszahlen wären ohne das Sparpaket der Sozialisten im Jahre 1996 nicht möglich gewesen.
Schüssel gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß die “Rechtsverschiebung“, die in ganz Westeuropa vor sich geht, auch in Ungarn einsetzen möge, und nicht die “guten Menschen der Sozialistischen Internationale“ über unser aller Zukunft entscheiden dürften. Zum Abschluß meinte Schüssel, daß Ungarn diese Regierung verdiene, und er am kommenden Sonntag für Orbán die Daumen halten würde.
Diese Regierung, Orbán und seine Mannen, haben es in den letzten vier Jahren geschafft, das Land in zwei feindliche Lager zu spalten. Die Opposition wird als mit allen Mitteln zu bekämpfender Feind betrachtet, was man auch den Wählern einzureden versucht, und was scheinbar auch gelingt. Letzte Woche wurde z.B. ein Plakatierer der oppositionellen Freien Demokraten bei seiner Arbeit niedergeschlagen. Viktor Orbán bezeichnete vor gut einem Monat im Parlament die Opposition als Landesverräter; hunderte Millionen öffentlichen Geldes sind während der letzten vier Jahre auf ungeklärte Weise verschwunden, Untersuchungsausschüsse weiß die Regierung zu verhindern. Notwendige, von der EU unterstützte Wirtschaftsförderung wird als Idee der Regierung ausgegeben, und die Regierung läßt das Land von den Olympischen Spielen 2012 träumen, während das Gesundheitswesen darniederliegt, die Lehrer, Ärzte und Pensionisten mit lächerlichen Summen ihr Auskommen finden müssen, und die Arbeitslosenrate in einigen Komitaten Ostungarns mehr als 20% beträgt.
Die regierenden Jungdemokraten appellierten während des ganzen Wahlkampfes ans Herz und nicht an den Verstand der Wähler und László Kövér, ehemaliger Geheimdienstminister und heute Mädchen-für-alles der Regierung, meinte auf einer Wahlveranstaltung in Steinamanger und in Békéscsaba, daß alle Andersdenkenden und Zweifler doch die Arbeit der Regierung erleichtern, und sich einen Strick nehmen sollten. Die Jungdemokraten können aller Wahrscheinlichkeit nach, nur mit der rechtsextremen MIÉP, die eine Revision der Grenzen Ungarns fordert, weiter regieren. Und sie haben sich auch schon ein neues Gebäude fürs Ministerpräsidentenamt ausgewählt: Den Sándor-Palast in der Budaer Burg, wo Reichsverweser (Diktator) Horthy gut 20 Jahre lang seine Amtsgeschäfte führte.
Am 7. April wählt Ungarn ein neues Parlament. Die regierenden Jungdemokraten, die mit eiserner Hand in den letzten vier Jahren ihre mitunter eigenartigen Vorstellungen von Demokratie verwirklichten, bangen um ihre samtenen Sessel. Nachdem ihre Koalitionspartner, die Kleinlandwirte durch diverse Skandale es sich mit den Wählern verscherzten und mit Sicherheit nicht mehr die 5%-Hürde überspringen werden, dementiert man die eventuelle Zusammenarbeit mit der rechtsextremen MIÉP (Partei der Wahrheit und des Lebens) nicht mehr. Die letzten Tage des Wahlkampfes sind durch Schlammschlachten gekennzeichnet, und am Donnerstag hatte auch Wolfgang Schüssel seinen großen Auftritt in der ungarischen Politik.
Von den österreichischen Medien wurde Wolfgang Schüssels Kurzbesuch in Ungarn nicht wahrgenommen. Im grenznahen Köszeg unterstützte er den derzeitigen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán auf einer Wahlveranstaltung als Gastredner.
“Kanzler Schüssel ist ein mutiger Mensch, und wir brauchen den Mut, der für ihn charakteristisch ist“ – mit diesen Worten lobte Orbán seinen österreichischen Amtskollegen. Er sei ein Mensch, der die österreichischen nationalen Interessen in den Vordergrund gerückt habe und trotze dem westlichen Wind, der gegen ihn und seine Regierung blase, meinte Orbán.
Schüssel gab auf der Veranstaltung anschließend Sätze von sich, die ihm wohl ungarische Wahlkampfstrategen in den Mund gelegt haben. “Ungarn ist ein tief europäisches Land“, meinte er, “ohne das Europa nur ein Torso ist“. Weiters rühmte er die öffentliche Sicherheit in Ungarn und die guten Wirtschaftszahlen.
In den letzten vier Jahren wurde weder weniger eingebrochen als zuvor, noch weniger Autos gestohlen oder Menschen umgebracht, wie aus Statistiken ersichtlich ist, die Drogenkriminalität ist dank des strengsten Drogengesetzes Europas um mehrere 100% gestiegen; die positiven Wirtschaftszahlen wären ohne das Sparpaket der Sozialisten im Jahre 1996 nicht möglich gewesen.
Schüssel gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß die “Rechtsverschiebung“, die in ganz Westeuropa vor sich geht, auch in Ungarn einsetzen möge, und nicht die “guten Menschen der Sozialistischen Internationale“ über unser aller Zukunft entscheiden dürften. Zum Abschluß meinte Schüssel, daß Ungarn diese Regierung verdiene, und er am kommenden Sonntag für Orbán die Daumen halten würde.
Diese Regierung, Orbán und seine Mannen, haben es in den letzten vier Jahren geschafft, das Land in zwei feindliche Lager zu spalten. Die Opposition wird als mit allen Mitteln zu bekämpfender Feind betrachtet, was man auch den Wählern einzureden versucht, und was scheinbar auch gelingt. Letzte Woche wurde z.B. ein Plakatierer der oppositionellen Freien Demokraten bei seiner Arbeit niedergeschlagen. Viktor Orbán bezeichnete vor gut einem Monat im Parlament die Opposition als Landesverräter; hunderte Millionen öffentlichen Geldes sind während der letzten vier Jahre auf ungeklärte Weise verschwunden, Untersuchungsausschüsse weiß die Regierung zu verhindern. Notwendige, von der EU unterstützte Wirtschaftsförderung wird als Idee der Regierung ausgegeben, und die Regierung läßt das Land von den Olympischen Spielen 2012 träumen, während das Gesundheitswesen darniederliegt, die Lehrer, Ärzte und Pensionisten mit lächerlichen Summen ihr Auskommen finden müssen, und die Arbeitslosenrate in einigen Komitaten Ostungarns mehr als 20% beträgt.
Die regierenden Jungdemokraten appellierten während des ganzen Wahlkampfes ans Herz und nicht an den Verstand der Wähler und László Kövér, ehemaliger Geheimdienstminister und heute Mädchen-für-alles der Regierung, meinte auf einer Wahlveranstaltung in Steinamanger und in Békéscsaba, daß alle Andersdenkenden und Zweifler doch die Arbeit der Regierung erleichtern, und sich einen Strick nehmen sollten. Die Jungdemokraten können aller Wahrscheinlichkeit nach, nur mit der rechtsextremen MIÉP, die eine Revision der Grenzen Ungarns fordert, weiter regieren. Und sie haben sich auch schon ein neues Gebäude fürs Ministerpräsidentenamt ausgewählt: Den Sándor-Palast in der Budaer Burg, wo Reichsverweser (Diktator) Horthy gut 20 Jahre lang seine Amtsgeschäfte führte.
Samstag, 27. Februar 2010
Sinti und Roma - Eine Zigeuner-Rhapsodie
Rund fünf Millionen Roma leben in der EU - meist am unteren Rand der Gesellschaft. Trotz aller Förderprogramme hat sich ihre Lage kaum gebessert.
VON HELMUT HÖGE
Roma-Junge auf einem Zeltplatz in der Nähe von Bukarest. Foto: dpa
In der autobiografischen Erzählung "Als ich noch Zigeuner war" schreibt der 1973 geborene Autor Tamas Jonas über seine Kindheit im sozialistischen Ungarn: "Damals spürte ich schon: es gibt irgendein großes Problem mit dem Sein. Das weiß ich auch heute noch. Aber heute weiß ich mehr: dieses Problem kann nicht gelöst werden."
Zwischendurch - in der Wende - sah es jedoch für kurze Zeit so aus, als wäre für die in Mitteleuropa lebenden Zigeuner mindestens eine Verbesserung möglich. Zwar zersetzte sich ab 1990 die Gleichheit unter den Roma - viele verarmten völlig und einige wenige wurden reich, aber gleichzeitig organisierten sie sich immer effektiver - nicht nur national, sondern auch international: in der "Romani Union". Eine solche entstand erstmalig bereits im Zusammenhang mit dem Prager Frühling 1969. Sie wurde jedoch 1973 verboten. Zuvor fand 1971 in London der 1. Roma-Weltkongress statt. Nach 1989 gründeten Dr. Emil Scuka und Jan Rusenko die erste politische Romapartei in der Tschechoslowakei: Bürgerinitiative der Roma (ROI) genannt, die im ersten nachkommunistischen Parlament elf Abgeordnete stellte. Außerdem wurden in den darauf folgenden zwei Jahren über 100 Romani-Bücher publiziert - mehr als in den ganzen 800 Jahren davor, seitdem Roma in der Region leben, die seit 1918 Tschechoslowakei heißt. Daneben entstanden eigene Roma-Zeitungen und -Magazine. Aus der ROI ging dann die IRU, die Internationale Romani Union, hervor.
Die Blüte der Romakultur währte jedoch nicht lange, denn gleichzeitig organisierten sich auch immer mehr rechtsradikale Skinheads gegen die Roma. Sie töteten bis heute etwa 50 von ihnen. Zuletzt starb ein Rom 2004 bei einer Hungerrevolte in der Ostslowakei, wahrscheinlich durch Polizistenhand. Die zunehmende Gewalt hat in den letzten Jahren bereits viele Roma in die Emigration getrieben: u. a. die Schriftsteller Margita Reiznerova und Frantisek Demeter nach Belgien und Malvina Lolova nach Australien. Derzeit leben etwa 300.000 Roma in Tschechien, das sind 3 Prozent der Bevölkerung. Umgekehrt gibt es eine zunehmende Zahl von Roma, die aus der Slowakei, wo rund 400.000 Roma leben, nach Tschechien emigrieren, weil sie in der Slowakei anscheinend noch mehr diskriminiert werden und die Arbeitslosenquote unter ihnen über 90 Prozent beträgt. Allein 2003 stellten über 1.000 slowakische Roma einen Asylantrag in Tschechien, wo man offiziell von inzwischen 15.000 "Übersiedlern" ausgeht. "Manchmal verschleißen die Sehnsüchte der Menschen wie alte Kleider. Auch die schönsten, feinsten zerfallen, in diesen Momenten spürt man immer, dass es nicht schön ist, zu leben", schreibt Tamas Jonas.
All dies ist auch den Dokumenten und Exponaten des 2006 eröffneten Roma-Museums im mährischen Brno zu entnehmen, das in der Bratislavska-Straße domiziliert ist, inmitten eines zumeist von Roma bewohnten Stadtviertels mit der entsprechenden "Hyperghetto"-Infrastruktur, die vor allem aus Pfandhäusern, Bordellen, Spielhallen, Nachtbars, einem Stützpunkt der Heilsarmee, mehr oder weniger verfallenden Sozialwohnungen und einer städtischen Berufsberatung für Mädchen besteht. 2004 hatte amnesty international kritisiert, dass der tschechische Staat keine Ausbildungsförderung für junge Roma in seinem Etat vorsehe (Romakinder besuchen in der Mehrzahl Sonderschulen).
Nach einem Besuch des Roma-Museums im mährischen Brno fragte ich die Leiterin Frau Dr. Horvathova, ob ihre Einrichtung mit dem Roma-Museum in Jerusalem kooperiere und was sie von den Roma-Museen in Holland, in der Ukraine und in Wien halte, die demnächst eröffnet werden sollen. Sie teilte mir mit, mit den Roma-Museen überall auf der Welt in Verbindung zu stehen und dass sie die Gründung weiterer Museen begrüße. "Die Reichweite der Arbeit unseres Museums in Brno ist noch nicht so groß, wie wir es uns wünschen, nichtsdestotrotz kann es als Aufklärung wirken, und zwar langfristig. Aber natürlich müssen die Leute zuerst eine Arbeit haben, eine gesicherte Existenz, und erst dann werden sie sich für die Kultur interessieren, das gilt auch für die Roma." Damit sieht es allerdings immer schlechter aus.
Lärmschutzwand gegen Roma: "Die Zigeuner arbeiten nicht und feiern die ganze Nacht". Foto: dpa
Frau Dr. Horvathova hatte ihr Museumskonzept bereits im Herbst 2004 auf einem Symposium der EU über "Roma und Sinti im Europäisierungsprozess" vorgestellt. Diese Veranstaltung mit zig Künstlern und Referenten, die in Berlin stattfand, war die erste nach dem EU-Beitritt der osteuropäischen Länder. Wenig später verpflichteten sich Bulgarien, Mazedonien, Montenegro, die Slowakei, Serbien, Rumänien, Ungarn und Tschechien, ihre Roma-Minderheiten besser zu integrieren - vor allem ihre Ausbildungs- und damit Berufschancen zu erhöhen. Weltbank, EU und Soros-Stiftung legten dazu einen "Roma-Erziehungsfonds" (REF) in Höhe von 42 Millionen Euro auf. Zuvor - 2003 - hatte jedoch die Slowakei, wo besonders viele Sinti leben, bei ihrem EU-Beitritt "die strikte Anweisung aus Brüssel erhalten, dafür Sorge zu tragen, dass das slowakische Problem nicht zu dem werde, was es immer war, nämlich zu einer europäischen Angelegenheit. Der freie Verkehr von Waren und Personen, der einer der wichtigsten Gründe war, dass sich die EU überhaupt formierte, sollte denen erschwert werden, die diesen Verkehr in Europa seit Jahrhunderten praktizierten", empörte sich der Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß in seinem Buch "Die Hundeesser von Svinia".
Zuvor war es in der nahen Kreisstadt Trebisov bereits zu einem regelrechten Hungeraufstand der dort in sogenannten Elends-"Osadi" konzentrierten Zigeuner gekommen, nachdem die rechtsnationale Regierung ihnen die Sozialhilfe um die Hälfte gekürzt hatte (115 Euro bekommt dort seitdem eine achtköpfige Familie im Monat). Um die Wohlfahrtsempfänger "zur Arbeitssuche zu motivieren", wie es offiziell hieß. Im Osten der Slowakei gibt es rund 700 solcher "Osadi", die man ebenfalls gerne einmauern würde, wäre da nicht die EU mit ihren Menschenrechtsparagrafen sowie die sich organisierenden und sich wehrenden Roma selbst, die, wie ein Sprecher des tschechischen Romasenders "Rota" meinte, "einen regelrechten Krieg mit der Regierung und dem Staat führen".
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man sie zunächst in den ehemals von Sudentendeutschen bewohnten böhmischen und mährischen Grenzgebieten zwangsangesiedelt. Das betraf Sinti und Roma aus der Slowakei, Rumänien und Ungarn. Zudem wurden Frauen mit vielen Kindern von den Sozialämtern gedrängt, sich sterilisieren zu lassen (auch aus der Zeit nach 1991 sind noch 31 solcher Fälle bekannt geworden; auf Vorschlag der tschechischen Ombudsstelle für Roma will man sie demnächst entschädigen). Nachdem sich 1993 die Slowakei von Tschechien abgetrennt hatte, sollten alle Zigeuner, die einen slowakischen Pass besaßen, das Land verlassen, die Slowakei verlangte jedoch, dass Tschechien ihnen einen Teil der davon Betroffenen abnehme. Es kam zu einem üblen Hin und Her, das noch dadurch verschärft wurde, dass an den Grenzübergängen nach Bayern und Sachsen immer mehr arbeitslos gewordene Romafrauen und -mädchen der Prostitution nachgingen - bis heute.
In der grenznahen westböhmischen Industriestadt Usti nad Labem (Aussig) versuchte man 1999, einige Sozialwohnungen, in denen Roma lebten, mit einer langen, 1,80 Meter hohen Mauer von den besser gestellten Anwohnern der Maticni-Straße abzugrenzen. Noch jetzt sagen viele Bewohner der Stadt: "Es sollte doch nur eine Lärmschutzwand sein. Die Zigeuner arbeiten nicht und feiern die ganze Nacht, während wir jeden Morgen früh rausmüssen." Zuerst demonstrierten die tschechischen Roma dagegen, dann kam es auch zu Protesten im Ausland. Tschechiens Außenminister Jan Kavan meinte daraufhin: "Diese Mauer ist eine Wand zwischen uns und der Europäischen Union." Staatspräsident Václav Havel setzte schließlich durch, dass sie wieder abgerissen wurde. Aber die Segregationstendenzen und den wieder zunehmenden Rassismus hielt er damit nicht auf.
Bereits fünf Jahre nach der "samtenen Revolution" schätzte der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal die Entwicklung seines Landes in jeder Hinsicht äußerst pessimistisch ein. Unter anderem in einem Brief an seinen langjährigen Freund Arnost Lustig, der als Judaistikprofessor in den USA im Exil geblieben war und wissen wollte, was denn nun - nach dem Zusammenbruch des Sozialismus - in seiner alten Heimat geschehe: "Es ist nicht gerade lustig in Böhmen. Wir sind an einem toten Punkt angelangt", teilte ihm Hrabal laut seiner Biografin Monika Zgustova mit. "Woher wissen Sie das?", fragte Lustig zurück. "Von dem Gesindel, mit dem ich verkehre. Das ist mein Barometer", erklärte ihm Hrabal.
In ihren für die Europäische Union 2002 zusammengestellten "Kapiteln aus der Geschichte der Roma" lässt ihn die Autorin Dr. Jana Horvathova am Schluss zu Wort kommen. Es handelt sich dabei um einen Abschnitt aus Hrabals letztem 1991 geschriebenen Werk "Zigeunerrhapsodie", das ein Loblied auf die klassische Romamusik enthält. Auch in vielen anderen Werken von Hrabal kommen Zigeuner vor, deren minoritäre Lebensweise ihm nicht nur die eher kleinbürgerlichen Neigungen der Mehrheit der tschechischen Bevölkerung so "schön" kontrastierte. Als ehemaligem Hilfsarbeiter und Bohemien - ein Wort, das sich von "Zigeuner" herleitet - standen ihm auch die Ersteren näher.
Frau Dr. Horvathovas kurze "Geschichte der Roma" fungiert inzwischen als der erste Katalog des von ihr gegründeten Roma-Museums. Ihr Vater, Ing. Holomek, hatte zuvor bereits die inzwischen größte tschechische Roma-Organisation - "Die Gemeinschaft der Roma in Mähren" - gegründet, deren Vorsitzender er noch immer ist. Das Museum stützt sich u. a. auf Leihgaben des von Adam Bartosz im polnischen Tarnow gegründeten "Ethnografischen Museums" und der slowakischen Gemer-Malohontske-Sammlung von Roma-Exponaten in Rimavska-Sobota.
In der Tschechoslowakei wurde 1958 und in Polen 1964 ein Gesetz zur Sesshaftmachung aller Nomaden verabschiedet. Das galt in etwa für den gesamten Ostblock. Ein Nachbar in der ungarischen "Zigeunersiedlung", wo Tamas Jonas aufwuchs, meinte dazu rückblickend: "Ich hab immer schöne Erfolge gehabt. Aber dann haben sie sich in mein Leben eingemischt, darum hab ich nicht weiterkönnen, bis nach Miskolc bin ich gekommen, aber weiter nicht." Gleichzeitig bekamen die Roma Arbeitsplätze in der Industrie zugewiesen. Da es sich dabei zumeist um Hilfsarbeiten handelte, gehörten sie nach Auflösung des Sozialismus zu den Ersten, die arbeitslos wurden. In der Zwischenzeit waren jedoch auch ihre früheren Handwerke - wie Scherenschleifen, Schmieden und Kesselflicken - überflüssig geworden. Ähnliches galt für ihren alten Handelsobjekte - Pferde und Teppiche etwa.
Nur die Prostitution und die Musik blühten wieder auf. Bei Letzterer unterscheidet man heute zwischen traditioneller - "phurikane" - und moderner Musik - "rom-pop" genannt. Derzeit leben rund fünf Millionen Roma in der Europäischen Union, das sind zwei Prozent ihrer Bevölkerung, die meisten am unteren Rand der Gesellschaft und am äußersten Rand der Städte bzw. Dörfer. Die Mutter von Tamas Jonas musste immer wieder um Geld betteln: "Mutti konnte vieles ertragen. Sie wurde verjagt, ihr wurden Obszönitäten an den Kopf geworfen, vom 'Parasiten' bis zum 'dreckigen Zigeuner'." Über seinen Vater schreibt Jonas: "Er tat recht daran, niemals bauen zu wollen, auch nicht im übertragenen Sinne, er trieb nur Raubbau, beraubte alle. Uns, unsere Mutter, sich selbst, den Alkohol, seinen Körper. Etwas anderes kann man ohnehin nicht machen. Wer plant, der scheitert. Wer sorgsam ist, wird unglücklich."
Sogar die sorgsamen Zigeuner-"Experten" des oben erwähnten europäischen "Roma-Erziehungsfonds" (REF) sind - nach gut zweijähriger Tätigkeit - unglücklich: die Roma-Gemeinden würden weiterhin benachteiligt und die Roma-Kinder immer noch gerne als "geistig und körperlich zurückgeblieben" in Sonderschulen gesteckt, die Regierungen hätten zwar umfassende Aktionspläne vorgelegt. An deren Verwirklichung hapere es jedoch. Vor allem fehle allgemein "die Erkenntnis, dass die ungarische Gesellschaft es sich nicht leisten kann, bis zu zehn Prozent ihrer Bevölkerung links liegen zu lassen".
Ganz ähnlich sieht es in Bulgarien aus, wo es Mitte August 2007 zu einer kleinen Roma-Revolte in Sofia kam, die sich gegen Skinheads richtete. Von den dortigen 650.000 Roma sind sieben Prozent arbeitslos, zwei Drittel müssen von weniger als 100 Lewa (50 Euro) im Monat leben und 68 Prozent haben keinen Schulabschluss. Die bulgarischen Roma leben faktisch in einer "Parallelwelt". Auch hier wurden auf Druck der EU einige "Integrationsprojekte" eingerichtet. Dagegen gründete sich in mehreren Städten eine an der Hitler-Jugend orientierte rechte "Freiwilligen-Garde".
In Deutschland, das sich mit zwei Millionen Euro am REF beteiligt hat, leben mehr als 600.000 Sinti, um deren Schulbildung und Fortkommen es ebenfalls nicht zum Besten bestellt ist. In Osteuropa gebe es inzwischen sogar mehr gut ausgebildete Roma als in Deutschland, meint ein Vertreter der deutschen Freudenberg-Stiftung, die sich seit Jahren um die Integration der Roma und Sinti bemüht. Weil dem "Roma-Erziehungsfonds" langsam das Geld ausgeht, will Deutschland seinen Beitrag 2008 eventuell aufstocken. Die REF-Experten haben unterdes aber auch noch andere Finanzierungshebel gefunden. Sie beteiligen sich an einem Roma-Musikverlagsprogramm, mit dem bisher ungefähr 1,5 Millionen CDs verkauft werden konnten. In der Musikbranche hat die "Eth-Nische" gerade Konjunktur. Es bleibt also - wohl oder übel - dabei: "Tanz, Zigan, tanz!"
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Quelle: http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/eine-zigeuner-rhapsodie/?src=SE&cHash=3e0d55d18b 27. Feber 2010
VON HELMUT HÖGE
Roma-Junge auf einem Zeltplatz in der Nähe von Bukarest. Foto: dpa
In der autobiografischen Erzählung "Als ich noch Zigeuner war" schreibt der 1973 geborene Autor Tamas Jonas über seine Kindheit im sozialistischen Ungarn: "Damals spürte ich schon: es gibt irgendein großes Problem mit dem Sein. Das weiß ich auch heute noch. Aber heute weiß ich mehr: dieses Problem kann nicht gelöst werden."
Zwischendurch - in der Wende - sah es jedoch für kurze Zeit so aus, als wäre für die in Mitteleuropa lebenden Zigeuner mindestens eine Verbesserung möglich. Zwar zersetzte sich ab 1990 die Gleichheit unter den Roma - viele verarmten völlig und einige wenige wurden reich, aber gleichzeitig organisierten sie sich immer effektiver - nicht nur national, sondern auch international: in der "Romani Union". Eine solche entstand erstmalig bereits im Zusammenhang mit dem Prager Frühling 1969. Sie wurde jedoch 1973 verboten. Zuvor fand 1971 in London der 1. Roma-Weltkongress statt. Nach 1989 gründeten Dr. Emil Scuka und Jan Rusenko die erste politische Romapartei in der Tschechoslowakei: Bürgerinitiative der Roma (ROI) genannt, die im ersten nachkommunistischen Parlament elf Abgeordnete stellte. Außerdem wurden in den darauf folgenden zwei Jahren über 100 Romani-Bücher publiziert - mehr als in den ganzen 800 Jahren davor, seitdem Roma in der Region leben, die seit 1918 Tschechoslowakei heißt. Daneben entstanden eigene Roma-Zeitungen und -Magazine. Aus der ROI ging dann die IRU, die Internationale Romani Union, hervor.
Die Blüte der Romakultur währte jedoch nicht lange, denn gleichzeitig organisierten sich auch immer mehr rechtsradikale Skinheads gegen die Roma. Sie töteten bis heute etwa 50 von ihnen. Zuletzt starb ein Rom 2004 bei einer Hungerrevolte in der Ostslowakei, wahrscheinlich durch Polizistenhand. Die zunehmende Gewalt hat in den letzten Jahren bereits viele Roma in die Emigration getrieben: u. a. die Schriftsteller Margita Reiznerova und Frantisek Demeter nach Belgien und Malvina Lolova nach Australien. Derzeit leben etwa 300.000 Roma in Tschechien, das sind 3 Prozent der Bevölkerung. Umgekehrt gibt es eine zunehmende Zahl von Roma, die aus der Slowakei, wo rund 400.000 Roma leben, nach Tschechien emigrieren, weil sie in der Slowakei anscheinend noch mehr diskriminiert werden und die Arbeitslosenquote unter ihnen über 90 Prozent beträgt. Allein 2003 stellten über 1.000 slowakische Roma einen Asylantrag in Tschechien, wo man offiziell von inzwischen 15.000 "Übersiedlern" ausgeht. "Manchmal verschleißen die Sehnsüchte der Menschen wie alte Kleider. Auch die schönsten, feinsten zerfallen, in diesen Momenten spürt man immer, dass es nicht schön ist, zu leben", schreibt Tamas Jonas.
All dies ist auch den Dokumenten und Exponaten des 2006 eröffneten Roma-Museums im mährischen Brno zu entnehmen, das in der Bratislavska-Straße domiziliert ist, inmitten eines zumeist von Roma bewohnten Stadtviertels mit der entsprechenden "Hyperghetto"-Infrastruktur, die vor allem aus Pfandhäusern, Bordellen, Spielhallen, Nachtbars, einem Stützpunkt der Heilsarmee, mehr oder weniger verfallenden Sozialwohnungen und einer städtischen Berufsberatung für Mädchen besteht. 2004 hatte amnesty international kritisiert, dass der tschechische Staat keine Ausbildungsförderung für junge Roma in seinem Etat vorsehe (Romakinder besuchen in der Mehrzahl Sonderschulen).
Nach einem Besuch des Roma-Museums im mährischen Brno fragte ich die Leiterin Frau Dr. Horvathova, ob ihre Einrichtung mit dem Roma-Museum in Jerusalem kooperiere und was sie von den Roma-Museen in Holland, in der Ukraine und in Wien halte, die demnächst eröffnet werden sollen. Sie teilte mir mit, mit den Roma-Museen überall auf der Welt in Verbindung zu stehen und dass sie die Gründung weiterer Museen begrüße. "Die Reichweite der Arbeit unseres Museums in Brno ist noch nicht so groß, wie wir es uns wünschen, nichtsdestotrotz kann es als Aufklärung wirken, und zwar langfristig. Aber natürlich müssen die Leute zuerst eine Arbeit haben, eine gesicherte Existenz, und erst dann werden sie sich für die Kultur interessieren, das gilt auch für die Roma." Damit sieht es allerdings immer schlechter aus.
Lärmschutzwand gegen Roma: "Die Zigeuner arbeiten nicht und feiern die ganze Nacht". Foto: dpa
Frau Dr. Horvathova hatte ihr Museumskonzept bereits im Herbst 2004 auf einem Symposium der EU über "Roma und Sinti im Europäisierungsprozess" vorgestellt. Diese Veranstaltung mit zig Künstlern und Referenten, die in Berlin stattfand, war die erste nach dem EU-Beitritt der osteuropäischen Länder. Wenig später verpflichteten sich Bulgarien, Mazedonien, Montenegro, die Slowakei, Serbien, Rumänien, Ungarn und Tschechien, ihre Roma-Minderheiten besser zu integrieren - vor allem ihre Ausbildungs- und damit Berufschancen zu erhöhen. Weltbank, EU und Soros-Stiftung legten dazu einen "Roma-Erziehungsfonds" (REF) in Höhe von 42 Millionen Euro auf. Zuvor - 2003 - hatte jedoch die Slowakei, wo besonders viele Sinti leben, bei ihrem EU-Beitritt "die strikte Anweisung aus Brüssel erhalten, dafür Sorge zu tragen, dass das slowakische Problem nicht zu dem werde, was es immer war, nämlich zu einer europäischen Angelegenheit. Der freie Verkehr von Waren und Personen, der einer der wichtigsten Gründe war, dass sich die EU überhaupt formierte, sollte denen erschwert werden, die diesen Verkehr in Europa seit Jahrhunderten praktizierten", empörte sich der Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß in seinem Buch "Die Hundeesser von Svinia".
Zuvor war es in der nahen Kreisstadt Trebisov bereits zu einem regelrechten Hungeraufstand der dort in sogenannten Elends-"Osadi" konzentrierten Zigeuner gekommen, nachdem die rechtsnationale Regierung ihnen die Sozialhilfe um die Hälfte gekürzt hatte (115 Euro bekommt dort seitdem eine achtköpfige Familie im Monat). Um die Wohlfahrtsempfänger "zur Arbeitssuche zu motivieren", wie es offiziell hieß. Im Osten der Slowakei gibt es rund 700 solcher "Osadi", die man ebenfalls gerne einmauern würde, wäre da nicht die EU mit ihren Menschenrechtsparagrafen sowie die sich organisierenden und sich wehrenden Roma selbst, die, wie ein Sprecher des tschechischen Romasenders "Rota" meinte, "einen regelrechten Krieg mit der Regierung und dem Staat führen".
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man sie zunächst in den ehemals von Sudentendeutschen bewohnten böhmischen und mährischen Grenzgebieten zwangsangesiedelt. Das betraf Sinti und Roma aus der Slowakei, Rumänien und Ungarn. Zudem wurden Frauen mit vielen Kindern von den Sozialämtern gedrängt, sich sterilisieren zu lassen (auch aus der Zeit nach 1991 sind noch 31 solcher Fälle bekannt geworden; auf Vorschlag der tschechischen Ombudsstelle für Roma will man sie demnächst entschädigen). Nachdem sich 1993 die Slowakei von Tschechien abgetrennt hatte, sollten alle Zigeuner, die einen slowakischen Pass besaßen, das Land verlassen, die Slowakei verlangte jedoch, dass Tschechien ihnen einen Teil der davon Betroffenen abnehme. Es kam zu einem üblen Hin und Her, das noch dadurch verschärft wurde, dass an den Grenzübergängen nach Bayern und Sachsen immer mehr arbeitslos gewordene Romafrauen und -mädchen der Prostitution nachgingen - bis heute.
In der grenznahen westböhmischen Industriestadt Usti nad Labem (Aussig) versuchte man 1999, einige Sozialwohnungen, in denen Roma lebten, mit einer langen, 1,80 Meter hohen Mauer von den besser gestellten Anwohnern der Maticni-Straße abzugrenzen. Noch jetzt sagen viele Bewohner der Stadt: "Es sollte doch nur eine Lärmschutzwand sein. Die Zigeuner arbeiten nicht und feiern die ganze Nacht, während wir jeden Morgen früh rausmüssen." Zuerst demonstrierten die tschechischen Roma dagegen, dann kam es auch zu Protesten im Ausland. Tschechiens Außenminister Jan Kavan meinte daraufhin: "Diese Mauer ist eine Wand zwischen uns und der Europäischen Union." Staatspräsident Václav Havel setzte schließlich durch, dass sie wieder abgerissen wurde. Aber die Segregationstendenzen und den wieder zunehmenden Rassismus hielt er damit nicht auf.
Bereits fünf Jahre nach der "samtenen Revolution" schätzte der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal die Entwicklung seines Landes in jeder Hinsicht äußerst pessimistisch ein. Unter anderem in einem Brief an seinen langjährigen Freund Arnost Lustig, der als Judaistikprofessor in den USA im Exil geblieben war und wissen wollte, was denn nun - nach dem Zusammenbruch des Sozialismus - in seiner alten Heimat geschehe: "Es ist nicht gerade lustig in Böhmen. Wir sind an einem toten Punkt angelangt", teilte ihm Hrabal laut seiner Biografin Monika Zgustova mit. "Woher wissen Sie das?", fragte Lustig zurück. "Von dem Gesindel, mit dem ich verkehre. Das ist mein Barometer", erklärte ihm Hrabal.
In ihren für die Europäische Union 2002 zusammengestellten "Kapiteln aus der Geschichte der Roma" lässt ihn die Autorin Dr. Jana Horvathova am Schluss zu Wort kommen. Es handelt sich dabei um einen Abschnitt aus Hrabals letztem 1991 geschriebenen Werk "Zigeunerrhapsodie", das ein Loblied auf die klassische Romamusik enthält. Auch in vielen anderen Werken von Hrabal kommen Zigeuner vor, deren minoritäre Lebensweise ihm nicht nur die eher kleinbürgerlichen Neigungen der Mehrheit der tschechischen Bevölkerung so "schön" kontrastierte. Als ehemaligem Hilfsarbeiter und Bohemien - ein Wort, das sich von "Zigeuner" herleitet - standen ihm auch die Ersteren näher.
Frau Dr. Horvathovas kurze "Geschichte der Roma" fungiert inzwischen als der erste Katalog des von ihr gegründeten Roma-Museums. Ihr Vater, Ing. Holomek, hatte zuvor bereits die inzwischen größte tschechische Roma-Organisation - "Die Gemeinschaft der Roma in Mähren" - gegründet, deren Vorsitzender er noch immer ist. Das Museum stützt sich u. a. auf Leihgaben des von Adam Bartosz im polnischen Tarnow gegründeten "Ethnografischen Museums" und der slowakischen Gemer-Malohontske-Sammlung von Roma-Exponaten in Rimavska-Sobota.
In der Tschechoslowakei wurde 1958 und in Polen 1964 ein Gesetz zur Sesshaftmachung aller Nomaden verabschiedet. Das galt in etwa für den gesamten Ostblock. Ein Nachbar in der ungarischen "Zigeunersiedlung", wo Tamas Jonas aufwuchs, meinte dazu rückblickend: "Ich hab immer schöne Erfolge gehabt. Aber dann haben sie sich in mein Leben eingemischt, darum hab ich nicht weiterkönnen, bis nach Miskolc bin ich gekommen, aber weiter nicht." Gleichzeitig bekamen die Roma Arbeitsplätze in der Industrie zugewiesen. Da es sich dabei zumeist um Hilfsarbeiten handelte, gehörten sie nach Auflösung des Sozialismus zu den Ersten, die arbeitslos wurden. In der Zwischenzeit waren jedoch auch ihre früheren Handwerke - wie Scherenschleifen, Schmieden und Kesselflicken - überflüssig geworden. Ähnliches galt für ihren alten Handelsobjekte - Pferde und Teppiche etwa.
Nur die Prostitution und die Musik blühten wieder auf. Bei Letzterer unterscheidet man heute zwischen traditioneller - "phurikane" - und moderner Musik - "rom-pop" genannt. Derzeit leben rund fünf Millionen Roma in der Europäischen Union, das sind zwei Prozent ihrer Bevölkerung, die meisten am unteren Rand der Gesellschaft und am äußersten Rand der Städte bzw. Dörfer. Die Mutter von Tamas Jonas musste immer wieder um Geld betteln: "Mutti konnte vieles ertragen. Sie wurde verjagt, ihr wurden Obszönitäten an den Kopf geworfen, vom 'Parasiten' bis zum 'dreckigen Zigeuner'." Über seinen Vater schreibt Jonas: "Er tat recht daran, niemals bauen zu wollen, auch nicht im übertragenen Sinne, er trieb nur Raubbau, beraubte alle. Uns, unsere Mutter, sich selbst, den Alkohol, seinen Körper. Etwas anderes kann man ohnehin nicht machen. Wer plant, der scheitert. Wer sorgsam ist, wird unglücklich."
Sogar die sorgsamen Zigeuner-"Experten" des oben erwähnten europäischen "Roma-Erziehungsfonds" (REF) sind - nach gut zweijähriger Tätigkeit - unglücklich: die Roma-Gemeinden würden weiterhin benachteiligt und die Roma-Kinder immer noch gerne als "geistig und körperlich zurückgeblieben" in Sonderschulen gesteckt, die Regierungen hätten zwar umfassende Aktionspläne vorgelegt. An deren Verwirklichung hapere es jedoch. Vor allem fehle allgemein "die Erkenntnis, dass die ungarische Gesellschaft es sich nicht leisten kann, bis zu zehn Prozent ihrer Bevölkerung links liegen zu lassen".
Ganz ähnlich sieht es in Bulgarien aus, wo es Mitte August 2007 zu einer kleinen Roma-Revolte in Sofia kam, die sich gegen Skinheads richtete. Von den dortigen 650.000 Roma sind sieben Prozent arbeitslos, zwei Drittel müssen von weniger als 100 Lewa (50 Euro) im Monat leben und 68 Prozent haben keinen Schulabschluss. Die bulgarischen Roma leben faktisch in einer "Parallelwelt". Auch hier wurden auf Druck der EU einige "Integrationsprojekte" eingerichtet. Dagegen gründete sich in mehreren Städten eine an der Hitler-Jugend orientierte rechte "Freiwilligen-Garde".
In Deutschland, das sich mit zwei Millionen Euro am REF beteiligt hat, leben mehr als 600.000 Sinti, um deren Schulbildung und Fortkommen es ebenfalls nicht zum Besten bestellt ist. In Osteuropa gebe es inzwischen sogar mehr gut ausgebildete Roma als in Deutschland, meint ein Vertreter der deutschen Freudenberg-Stiftung, die sich seit Jahren um die Integration der Roma und Sinti bemüht. Weil dem "Roma-Erziehungsfonds" langsam das Geld ausgeht, will Deutschland seinen Beitrag 2008 eventuell aufstocken. Die REF-Experten haben unterdes aber auch noch andere Finanzierungshebel gefunden. Sie beteiligen sich an einem Roma-Musikverlagsprogramm, mit dem bisher ungefähr 1,5 Millionen CDs verkauft werden konnten. In der Musikbranche hat die "Eth-Nische" gerade Konjunktur. Es bleibt also - wohl oder übel - dabei: "Tanz, Zigan, tanz!"
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Quelle: http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/eine-zigeuner-rhapsodie/?src=SE&cHash=3e0d55d18b 27. Feber 2010
Sonntag, 21. Februar 2010
Samstag, 20. Februar 2010
Nazi 2.0
Extremismus. In Osteuropa erobert eine neue Generation von Rechtsradikalen die Parlamente und öffentlichen Räume. Sie schüren ein Klima des Hasses und gefährden damit die Stabilität der Region.
Von Gregor Mayer
Das realsozialistisch anheimelnde Kulturhaus in der kleinen nordungarischen Ortschaft Nagyrede war am vergangenen Mittwochabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Zum Großteil kamen Männer jenseits der 40, mit kantigen Gesichtern und klobigen Händen, Kleinbauern, Tagelöhner, Pensionisten. Sie wollten Gabor Vona sehen, den Chef der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren) und zugleich Spitzenkandidat für die Parlamentswahl am 11. und 25. April. Der Jobbik werden gute Chancen auf den Einzug in die ungarische Volksvertretung eingeräumt. 15 Prozent bekam sie bei der Europawahl im vorigen Juni, acht bis zehn Prozent könnten es diesmal werden.
Vona, 31 Jahre alt, Geschichtslehrer und ehemaliger Hochschülerschafts-Funktionär, stammt aus der Nachbarstadt Gyöngyös. Er strahlt Gelassenheit aus, spielt nahezu beiläufig auf der Klaviatur jener Ressentiments, die Jobbik groß gemacht haben. Dass die Roma „nicht arbeiten wollen“, sei nicht rassisch bedingt, sondern „kulturell“. Seine Partei werde, wenn sie an die Macht komme, die Kinderbeihilfe ab dem dritten Kind streichen und durch Steuerfreibeträge ersetzen. Dann hätten nur jene etwas davon, die einer Arbeit nachgingen, und nicht „Berufs-Kindermacher“, die von der Sozialhilfe lebten. „Wer schon so ein Stier ist, dass er sechs Kinder macht, der kann auch arbeiten“, ätzt Vona. Gelächter im Saal.
Weitgehend unbemerkt von westlichen Beobachtern und Medien sind in vielen neuen Mitgliedsstaaten der EU und an ihren Rändern in den vergangenen Jahren neue rechtsextreme Bewegungen entstanden, die sich in Auftreten und Selbstdarstellung deutlich von den etablierten nationalistischen Parteien unterscheiden. Sie wenden sich vor allem an Jugendliche und haben mit ihrer Werbung Erfolg. Viele junge Ungarn, Tschechen, Rumänen oder Bulgaren sind 20 Jahre nach der Wende von Marktwirtschaft und Demokratie enttäuscht. Sie halten – nicht zu Unrecht – Politiker und Parteien für korrupt und prinzipienlos, sie suchen nach ideologischem Halt und neuen Werten, aber auch nach Mitteln der Provokation. Die rechtsextremen Bewegungen bieten ihnen scheinbar einfache und klare Antworten: Heimat und Vaterland als Ideologie, Roma, Juden oder Ausländer als Feindbilder, Nazi-Symbole als Provokation. In Tschechien oder der Slowakei erreichen sie bei Wahlen nur eine kleine Minderheit. In Ungarn aber sprechen sie damit die Mitte der Gesellschaft an.
Die Jobbik ist auf Erfolgskurs, ihre Politiker strotzen vor Selbstvertrauen. Die Partei wurde 2003 von rechts-rechten Studenten wie Vona und enttäuschten Jungaktivisten der traditionalistisch-rechtsextremen MIEP von Istvan Csurka gegründet. Der Durchbruch gelang ihr 2007. Damals formulierten Vona und seine Freunde den Kampfbegriff „Zigeunerkriminalität“ und gründeten die paramilitärische Ungarische Garde, die „echte Ungarn“ vor den „Zigeunern“ schützen soll.
Nach zahlreichen provokativen Aufmärschen durch Roma-Ghettos wurde die Garde im Vorjahr gerichtlich verboten, doch der Mobilisierungseffekt war erzielt. Und er ist nur ein Teil des Erfolgs. Denn die Jobbik wurzelt in einer in vielen Jahren gewachsenen patriotisch-esoterischen Subkultur in Ungarn. Dazu gehören Rockbands, Liedermacher, eigene Festivals, Bogenschützenvereine, Buchverlage, Sympathisanten in den Kirchen und exzentrische Gruppen, die im Pilis-Gebirge nördlich von Budapest den „Mittelpunkt der Welt“ vermuten.
Zusammengeschweißt wurde dieses Lager der Wende-Frustrierten und Sinnsuchenden auch durch die Unruhen im Herbst 2006. Nach dem Bekanntwerden der „Lügenrede“ des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany hatte der radikale rechte Mob das Fernsehgebäude gestürmt und sich wochenlang mit der Polizei Straßenschlachten geliefert. Es war auch die Geburtsstunde des Internet-Portals kuruc.info, angeblich der meistbesuchte rechte Internet-Auftritt in Ungarn. Es bedient sich einer offenen Nazi-Sprache, hetzt gegen Roma und Juden und macht Werbung für Hitlers „Mein Kampf“. Die Jobbik bestreitet zwar, hinter dem von US-Servern aus agierenden, gegen ungarische Gesetze verstoßenden kuruc.info zu stecken, doch wird dort die Jobbik-Politik dermaßen zustimmend kommentiert (bis hin zu Veranstaltungsempfehlungen), als wäre es ein Jobbik-Organ.
Arbeiterpartei. Dieser neue, mediengeübte und lebenskulturell verankerte Extremismus ist in Ungarn am deutlichsten sichtbar – und doch nur die Spitze eines Eisbergs. In Tschechien sorgte die Arbeiterpartei (Delnická strana) erstmals im November 2008 für Furore. Mehrere hundert Mitglieder stürmten gemeinsam mit Neonazis des Nationalen Widerstands eine hauptsächlich von Roma bewohnte Plattenbausiedlung in der nordböhmischen Industriestadt Litvínov und verwickelten die Polizei in eine mehrstündige Straßenschlacht. Die Stärke der Rechtsextremen, noch mehr aber die massive Unterstützung durch die Nicht-Roma der Stadt, überraschte die Sicherheitskräfte und die Regierungsparteien in Prag.
Ein erster Versuch des Innenministeriums, die Arbeiterpartei zu verbieten, scheiterte an der schlecht vorbereiteten Beweisführung. Über einen zweiten, besser ausgearbeiteten Verbotsantrag wird diese Woche das Verfassungsgericht entscheiden. Der Vorsitzende der Arbeiterpartei, Tomáš Vandas, zeigt sich unbeeindruckt: Er werde auf alle Fälle bei den Parlamentswahlen Ende Mai kandidieren.
Nach Schätzung der Anti-Extremismus-Abteilung der tschechischen Polizei gibt es in Tschechien zwischen 3000 und 4000 Neonazis, 500 bis 1000 von ihnen sind Aktivisten. Ihr Feindbild stößt in allen tschechischen Gesellschaftsschichten auf Akzeptanz: Roma werden – so wie die Juden in antisemitischen Kampagnen – als faul, fett, parasitär, aber international gut vernetzt dargestellt. Auf Plakaten fordert die Arbeiterpartei eine „Schädlingsbekämpfung“ (Deratizace). Die der Arbeiterpartei ideologisch nahestehende Nationalpartei (NS) kündigte in einer TV-Werbung die „Endlösung der Zigeunerfrage“ an.
Das Schüren dieser Art von Hass ließ sich leicht in die benachbarte Slowakei exportieren. Dort marschiert die Slowakische Gemeinschaft (Slovenská pospolitos) beinahe jedes Wochenende durch die tristen Dörfer der östlichen Landesteile, um gegen die „Zigeunerkriminalität“ zu protestieren. Als Vorbild dient die Straßenschlacht im tschechischen Litvínov. Bei Lokalwahlen im vergangenen November kam der ideologische Kopf der Gemeinschaft, Márian Kotleba, aus dem Stand auf zehn Prozent, obwohl er nur über das Internet Wahlkampf führte. Zur gleichen Zeit traten innerhalb kürzester Zeit 71.000 Slowaken der Facebook-Gruppe „Keine Vorteile für Zigeuner“ bei. Als Forderungen wie „Zigeuner ins Gas“ auftauchten, wurde sie vom Netz genommen.
Die Slowakische Gemeinschaft verwendet Symbole und Sprache aus der Zeit des slowakischen Staates von Hitlers Gnaden. Márian Kotleba grüßt mit dem alten Gruß der Hlinka-Garde: „Auf Wache!“ Die Gardisten waren Killerkommandos und halfen den deutschen Nazis bei den Deportationen zehntausender slowakischer Juden in die Vernichtungslager. Für Kotleba war das Regime unter Jozef Tiso zwar „nicht ohne Fehler, aber es war der erste moderne slowakische Staat“.
SS-Uniformen. Kotlebas erste Partei wurde vom Innenministerium verboten. Nun will er mit einer neu gegründeten Partei bei den Parlamentswahlen im Juni antreten. Auch in der Slowakei dürften die Rechtsradikalen jedoch eher auf kommunaler Ebene Erfolge verbuchen und hier vor allem der Slowakischen Nationalpartei (SNS) Wähler wegnehmen. Deren Parteiführer Jan Slota wollte zwar einst die ungarischen Nachbarn mit Panzern plattwalzen. Als kleine Partner in der Regierungskoalition machen Slota und seine Partei jedoch nur mehr mit Korruptionsaffären Schlagzeilen. Die neuen Rechtsextremisten nennen Slota einen „Verräter“.
Ganz ähnlich ergeht es den Nationalisten von Ataka in Bulgarien. Schon kurz nach ihrer Gründung vor fünf Jahren gelang ihr mit antisemitischer und antitürkischer Propaganda der Einzug ins bulgarische und ins europäische Parlament. Doch die Propaganda nutzte sich schnell ab. Ataka ist heute nur mehr noch eine Kleinpartei, die sich den Mächtigen anbiedert. Ihre Rolle am rechten Rand hat der Bulgarische Nationalbund (BNS) des in Deutschland aufgewachsenen Bojan Rasate übernommen. Der BNS erklärt faschistische Generäle, in Nazi-Deutschland ausgebildete Kampfflieger und mazedonische Terroristen zu Idolen. Rasate würde gerne eine Art Ariernachweis einführen (siehe Interview). Nach ungarischem Vorbild hat er eine „Nationalgarde“ gegründet, in schwarz-brauner Uniform, wie sie schon von der SS getragen wurde. Die Mitglieder des Nationalbunds sind meist jugendlich, kommen auch aus gebildeten Schichten. Im Gegensatz zu Bewegungen in den Nachbarländern gehören ihm auch viele Mädchen an.
Todesschwadron. Die Verbindungen zwischen all diesen Organisationen sind sehr lose, aber es gibt ernsthafte Anläufe zur Zusammenarbeit. Die tschechische Arbeiterpartei knüpfte Verbindungen zur rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Seit einem Jahr besuchen einander die Kameraden aus Böhmen und Sachsen, treten bei Veranstaltungen gemeinsam auf und versichern einander ewige Treue. Auch österreichische Rechtsextremisten kamen zu Besuch. Der ehemalige Führer der verbotenen Neonazi-Organisation Vapo, Gottfried Küssel, trat 2009 in Brünn und in Iglau (Jihlava) auf. In der Slowakei halten rechtsextreme Gruppen aus Tschechien, Polen und Rumänien gemeinsam Wehrsportübungen ab. Die Bulgaren stellten Kontakte zur NPD, zur rumänischen Neuen Rechten und zur spanischen Falanga her. Die „Internationale der Nationalisten“ ist noch ein Hirngespinst. Doch die Formen des Auftritts und des Protests werden immer ähnlicher. Was sich in einem Land bewährt, wird von Gruppen in anderen Ländern schnell übernommen.
Die Nostalgie der Jobbik für das historische „Groß-Ungarn“ und die von ihr hochgepeitschten Grenzrevisionsgelüste stören hingegen nicht nur die Nachbarschaftsverhältnisse in der Region, sondern bilden auch eine unüberwindliche Kluft zwischen den Ungarn und ihren Gesinnungsgenossen in Rumänien, der Slowakei und Serbien. Dafür sucht man die Nähe zu Russland, zum Regime im Iran und zu den Ultras im Westen. Offiziell kooperiert die Jobbik mit der British National Party des Rassisten Nick Griffin und mit dem Front National des Franzosen Jean-Marie Le Pen. Auch mit der deutschen NPD versteht sich die Jobbik gut. Ihre deutschsprachige Webseite ziert ein Interview, das Jobbik-Chef Vona dem NPD-Organ „Deutsche Stimme“ gab. Darin sorgt er sich um den angeblich drohenden „Ausverkauf“ seiner Heimat an die „Juden“. Kontakte werden auch zur FPÖ angebahnt – deren Außenpolitik-Sprecher Johannes Hübner hielt beim Jobbik-Wahlkampfauftakt im Vormonat in Budapest eine aufmunternde Ansprache.
In Ungarn haben rechtsextreme Denkmuster und Haltungen die Mitte der Gesellschaft erreicht. Schon während der Ministerpräsidentschaft des Rechtspopulisten Viktor Orban (1998–2002), der die April-Wahl mit großer Sicherheit gewinnen dürfte, waren viele Hemmschwellen gefallen, war noch vor der Jobbik ein neuer, rechtsextremer Diskurs salonfähig geworden, solange dabei auch Orban politisch unterstützt wurde. Letzte Woche veröffentlichte der Budapester Thinktank Political Capital die verblüffenden Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung über das „Bedürfnis nach ausgrenzenden, autoritären Ideologien und Lösungen“. Die Ungarn werden dabei nur von den Türken, Ukrainern und Bulgaren übertroffen, ihre Nachbarn in der Region, die Tschechen, Slowaken und Rumänen, lassen sie weit hinter sich. So entsteht ein Klima, das zu Gewalttaten ermuntert. Von 2008 bis 2009 ermordete eine rechtsextreme Todesschwadron sechs Roma, unter ihnen ein fünfjähriges Kind. Die vier mutmaßlichen Täter sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Doch viele Roma wollen nicht glauben, dass diese Mörder keine Hintermänner haben, dass die ungeheure Mordserie tatsächlich zu Ende ist. Ihre zunehmende Ausgrenzung durch den meinungsbildenden Mainstream bestärkt sie in ihrer eigenen Ghetto-Isolation. Der soziale und ethnisch aufgeladene Konflikt droht das Land zu destabilisieren.
Quelle: http://www.profil.at/articles/1006/560/261903/nazi-2-0
Von Gregor Mayer
Das realsozialistisch anheimelnde Kulturhaus in der kleinen nordungarischen Ortschaft Nagyrede war am vergangenen Mittwochabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Zum Großteil kamen Männer jenseits der 40, mit kantigen Gesichtern und klobigen Händen, Kleinbauern, Tagelöhner, Pensionisten. Sie wollten Gabor Vona sehen, den Chef der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren) und zugleich Spitzenkandidat für die Parlamentswahl am 11. und 25. April. Der Jobbik werden gute Chancen auf den Einzug in die ungarische Volksvertretung eingeräumt. 15 Prozent bekam sie bei der Europawahl im vorigen Juni, acht bis zehn Prozent könnten es diesmal werden.
Vona, 31 Jahre alt, Geschichtslehrer und ehemaliger Hochschülerschafts-Funktionär, stammt aus der Nachbarstadt Gyöngyös. Er strahlt Gelassenheit aus, spielt nahezu beiläufig auf der Klaviatur jener Ressentiments, die Jobbik groß gemacht haben. Dass die Roma „nicht arbeiten wollen“, sei nicht rassisch bedingt, sondern „kulturell“. Seine Partei werde, wenn sie an die Macht komme, die Kinderbeihilfe ab dem dritten Kind streichen und durch Steuerfreibeträge ersetzen. Dann hätten nur jene etwas davon, die einer Arbeit nachgingen, und nicht „Berufs-Kindermacher“, die von der Sozialhilfe lebten. „Wer schon so ein Stier ist, dass er sechs Kinder macht, der kann auch arbeiten“, ätzt Vona. Gelächter im Saal.
Weitgehend unbemerkt von westlichen Beobachtern und Medien sind in vielen neuen Mitgliedsstaaten der EU und an ihren Rändern in den vergangenen Jahren neue rechtsextreme Bewegungen entstanden, die sich in Auftreten und Selbstdarstellung deutlich von den etablierten nationalistischen Parteien unterscheiden. Sie wenden sich vor allem an Jugendliche und haben mit ihrer Werbung Erfolg. Viele junge Ungarn, Tschechen, Rumänen oder Bulgaren sind 20 Jahre nach der Wende von Marktwirtschaft und Demokratie enttäuscht. Sie halten – nicht zu Unrecht – Politiker und Parteien für korrupt und prinzipienlos, sie suchen nach ideologischem Halt und neuen Werten, aber auch nach Mitteln der Provokation. Die rechtsextremen Bewegungen bieten ihnen scheinbar einfache und klare Antworten: Heimat und Vaterland als Ideologie, Roma, Juden oder Ausländer als Feindbilder, Nazi-Symbole als Provokation. In Tschechien oder der Slowakei erreichen sie bei Wahlen nur eine kleine Minderheit. In Ungarn aber sprechen sie damit die Mitte der Gesellschaft an.
Die Jobbik ist auf Erfolgskurs, ihre Politiker strotzen vor Selbstvertrauen. Die Partei wurde 2003 von rechts-rechten Studenten wie Vona und enttäuschten Jungaktivisten der traditionalistisch-rechtsextremen MIEP von Istvan Csurka gegründet. Der Durchbruch gelang ihr 2007. Damals formulierten Vona und seine Freunde den Kampfbegriff „Zigeunerkriminalität“ und gründeten die paramilitärische Ungarische Garde, die „echte Ungarn“ vor den „Zigeunern“ schützen soll.
Nach zahlreichen provokativen Aufmärschen durch Roma-Ghettos wurde die Garde im Vorjahr gerichtlich verboten, doch der Mobilisierungseffekt war erzielt. Und er ist nur ein Teil des Erfolgs. Denn die Jobbik wurzelt in einer in vielen Jahren gewachsenen patriotisch-esoterischen Subkultur in Ungarn. Dazu gehören Rockbands, Liedermacher, eigene Festivals, Bogenschützenvereine, Buchverlage, Sympathisanten in den Kirchen und exzentrische Gruppen, die im Pilis-Gebirge nördlich von Budapest den „Mittelpunkt der Welt“ vermuten.
Zusammengeschweißt wurde dieses Lager der Wende-Frustrierten und Sinnsuchenden auch durch die Unruhen im Herbst 2006. Nach dem Bekanntwerden der „Lügenrede“ des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany hatte der radikale rechte Mob das Fernsehgebäude gestürmt und sich wochenlang mit der Polizei Straßenschlachten geliefert. Es war auch die Geburtsstunde des Internet-Portals kuruc.info, angeblich der meistbesuchte rechte Internet-Auftritt in Ungarn. Es bedient sich einer offenen Nazi-Sprache, hetzt gegen Roma und Juden und macht Werbung für Hitlers „Mein Kampf“. Die Jobbik bestreitet zwar, hinter dem von US-Servern aus agierenden, gegen ungarische Gesetze verstoßenden kuruc.info zu stecken, doch wird dort die Jobbik-Politik dermaßen zustimmend kommentiert (bis hin zu Veranstaltungsempfehlungen), als wäre es ein Jobbik-Organ.
Arbeiterpartei. Dieser neue, mediengeübte und lebenskulturell verankerte Extremismus ist in Ungarn am deutlichsten sichtbar – und doch nur die Spitze eines Eisbergs. In Tschechien sorgte die Arbeiterpartei (Delnická strana) erstmals im November 2008 für Furore. Mehrere hundert Mitglieder stürmten gemeinsam mit Neonazis des Nationalen Widerstands eine hauptsächlich von Roma bewohnte Plattenbausiedlung in der nordböhmischen Industriestadt Litvínov und verwickelten die Polizei in eine mehrstündige Straßenschlacht. Die Stärke der Rechtsextremen, noch mehr aber die massive Unterstützung durch die Nicht-Roma der Stadt, überraschte die Sicherheitskräfte und die Regierungsparteien in Prag.
Ein erster Versuch des Innenministeriums, die Arbeiterpartei zu verbieten, scheiterte an der schlecht vorbereiteten Beweisführung. Über einen zweiten, besser ausgearbeiteten Verbotsantrag wird diese Woche das Verfassungsgericht entscheiden. Der Vorsitzende der Arbeiterpartei, Tomáš Vandas, zeigt sich unbeeindruckt: Er werde auf alle Fälle bei den Parlamentswahlen Ende Mai kandidieren.
Nach Schätzung der Anti-Extremismus-Abteilung der tschechischen Polizei gibt es in Tschechien zwischen 3000 und 4000 Neonazis, 500 bis 1000 von ihnen sind Aktivisten. Ihr Feindbild stößt in allen tschechischen Gesellschaftsschichten auf Akzeptanz: Roma werden – so wie die Juden in antisemitischen Kampagnen – als faul, fett, parasitär, aber international gut vernetzt dargestellt. Auf Plakaten fordert die Arbeiterpartei eine „Schädlingsbekämpfung“ (Deratizace). Die der Arbeiterpartei ideologisch nahestehende Nationalpartei (NS) kündigte in einer TV-Werbung die „Endlösung der Zigeunerfrage“ an.
Das Schüren dieser Art von Hass ließ sich leicht in die benachbarte Slowakei exportieren. Dort marschiert die Slowakische Gemeinschaft (Slovenská pospolitos) beinahe jedes Wochenende durch die tristen Dörfer der östlichen Landesteile, um gegen die „Zigeunerkriminalität“ zu protestieren. Als Vorbild dient die Straßenschlacht im tschechischen Litvínov. Bei Lokalwahlen im vergangenen November kam der ideologische Kopf der Gemeinschaft, Márian Kotleba, aus dem Stand auf zehn Prozent, obwohl er nur über das Internet Wahlkampf führte. Zur gleichen Zeit traten innerhalb kürzester Zeit 71.000 Slowaken der Facebook-Gruppe „Keine Vorteile für Zigeuner“ bei. Als Forderungen wie „Zigeuner ins Gas“ auftauchten, wurde sie vom Netz genommen.
Die Slowakische Gemeinschaft verwendet Symbole und Sprache aus der Zeit des slowakischen Staates von Hitlers Gnaden. Márian Kotleba grüßt mit dem alten Gruß der Hlinka-Garde: „Auf Wache!“ Die Gardisten waren Killerkommandos und halfen den deutschen Nazis bei den Deportationen zehntausender slowakischer Juden in die Vernichtungslager. Für Kotleba war das Regime unter Jozef Tiso zwar „nicht ohne Fehler, aber es war der erste moderne slowakische Staat“.
SS-Uniformen. Kotlebas erste Partei wurde vom Innenministerium verboten. Nun will er mit einer neu gegründeten Partei bei den Parlamentswahlen im Juni antreten. Auch in der Slowakei dürften die Rechtsradikalen jedoch eher auf kommunaler Ebene Erfolge verbuchen und hier vor allem der Slowakischen Nationalpartei (SNS) Wähler wegnehmen. Deren Parteiführer Jan Slota wollte zwar einst die ungarischen Nachbarn mit Panzern plattwalzen. Als kleine Partner in der Regierungskoalition machen Slota und seine Partei jedoch nur mehr mit Korruptionsaffären Schlagzeilen. Die neuen Rechtsextremisten nennen Slota einen „Verräter“.
Ganz ähnlich ergeht es den Nationalisten von Ataka in Bulgarien. Schon kurz nach ihrer Gründung vor fünf Jahren gelang ihr mit antisemitischer und antitürkischer Propaganda der Einzug ins bulgarische und ins europäische Parlament. Doch die Propaganda nutzte sich schnell ab. Ataka ist heute nur mehr noch eine Kleinpartei, die sich den Mächtigen anbiedert. Ihre Rolle am rechten Rand hat der Bulgarische Nationalbund (BNS) des in Deutschland aufgewachsenen Bojan Rasate übernommen. Der BNS erklärt faschistische Generäle, in Nazi-Deutschland ausgebildete Kampfflieger und mazedonische Terroristen zu Idolen. Rasate würde gerne eine Art Ariernachweis einführen (siehe Interview). Nach ungarischem Vorbild hat er eine „Nationalgarde“ gegründet, in schwarz-brauner Uniform, wie sie schon von der SS getragen wurde. Die Mitglieder des Nationalbunds sind meist jugendlich, kommen auch aus gebildeten Schichten. Im Gegensatz zu Bewegungen in den Nachbarländern gehören ihm auch viele Mädchen an.
Todesschwadron. Die Verbindungen zwischen all diesen Organisationen sind sehr lose, aber es gibt ernsthafte Anläufe zur Zusammenarbeit. Die tschechische Arbeiterpartei knüpfte Verbindungen zur rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Seit einem Jahr besuchen einander die Kameraden aus Böhmen und Sachsen, treten bei Veranstaltungen gemeinsam auf und versichern einander ewige Treue. Auch österreichische Rechtsextremisten kamen zu Besuch. Der ehemalige Führer der verbotenen Neonazi-Organisation Vapo, Gottfried Küssel, trat 2009 in Brünn und in Iglau (Jihlava) auf. In der Slowakei halten rechtsextreme Gruppen aus Tschechien, Polen und Rumänien gemeinsam Wehrsportübungen ab. Die Bulgaren stellten Kontakte zur NPD, zur rumänischen Neuen Rechten und zur spanischen Falanga her. Die „Internationale der Nationalisten“ ist noch ein Hirngespinst. Doch die Formen des Auftritts und des Protests werden immer ähnlicher. Was sich in einem Land bewährt, wird von Gruppen in anderen Ländern schnell übernommen.
Die Nostalgie der Jobbik für das historische „Groß-Ungarn“ und die von ihr hochgepeitschten Grenzrevisionsgelüste stören hingegen nicht nur die Nachbarschaftsverhältnisse in der Region, sondern bilden auch eine unüberwindliche Kluft zwischen den Ungarn und ihren Gesinnungsgenossen in Rumänien, der Slowakei und Serbien. Dafür sucht man die Nähe zu Russland, zum Regime im Iran und zu den Ultras im Westen. Offiziell kooperiert die Jobbik mit der British National Party des Rassisten Nick Griffin und mit dem Front National des Franzosen Jean-Marie Le Pen. Auch mit der deutschen NPD versteht sich die Jobbik gut. Ihre deutschsprachige Webseite ziert ein Interview, das Jobbik-Chef Vona dem NPD-Organ „Deutsche Stimme“ gab. Darin sorgt er sich um den angeblich drohenden „Ausverkauf“ seiner Heimat an die „Juden“. Kontakte werden auch zur FPÖ angebahnt – deren Außenpolitik-Sprecher Johannes Hübner hielt beim Jobbik-Wahlkampfauftakt im Vormonat in Budapest eine aufmunternde Ansprache.
In Ungarn haben rechtsextreme Denkmuster und Haltungen die Mitte der Gesellschaft erreicht. Schon während der Ministerpräsidentschaft des Rechtspopulisten Viktor Orban (1998–2002), der die April-Wahl mit großer Sicherheit gewinnen dürfte, waren viele Hemmschwellen gefallen, war noch vor der Jobbik ein neuer, rechtsextremer Diskurs salonfähig geworden, solange dabei auch Orban politisch unterstützt wurde. Letzte Woche veröffentlichte der Budapester Thinktank Political Capital die verblüffenden Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung über das „Bedürfnis nach ausgrenzenden, autoritären Ideologien und Lösungen“. Die Ungarn werden dabei nur von den Türken, Ukrainern und Bulgaren übertroffen, ihre Nachbarn in der Region, die Tschechen, Slowaken und Rumänen, lassen sie weit hinter sich. So entsteht ein Klima, das zu Gewalttaten ermuntert. Von 2008 bis 2009 ermordete eine rechtsextreme Todesschwadron sechs Roma, unter ihnen ein fünfjähriges Kind. Die vier mutmaßlichen Täter sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Doch viele Roma wollen nicht glauben, dass diese Mörder keine Hintermänner haben, dass die ungeheure Mordserie tatsächlich zu Ende ist. Ihre zunehmende Ausgrenzung durch den meinungsbildenden Mainstream bestärkt sie in ihrer eigenen Ghetto-Isolation. Der soziale und ethnisch aufgeladene Konflikt droht das Land zu destabilisieren.
Quelle: http://www.profil.at/articles/1006/560/261903/nazi-2-0
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